Ruth Linhart | Reisen | Fotos Marokko 2009


Bis zu den Dünen der Sahara, Marokko 2009

Inhalt Casablanca / Rabat Meknes, Fès Fès Erfoud Ouarzazate Ouarzazate und Fahrt nach Marrakèsch Marrakèsch Vallée de l´Ourika
Casablanca Meknes Fès Erfoud Ouarzazate Kasbahs Marrakèsch V. de l`Ourika

8. 10. 2009, Fahrt in den Süden, Erfoud

Es ist sechs Uhr früh. Morgendämmerung. Vor kurzem ist die "Weihnachtsbeleuchtung" auf dem Boulevard erloschen und fast gleichzeitig damit haben sich in den Palmen im Park die Vogelstimmen erhoben. Eine ganze Wolke aus Vogelgezwitscher liegt darüber und tönt ins Hotelzimmer herein. Der Himmel ist schon lichtblau und die Sterne sind verblasst.
Auf dem breiten Boulevard rauschen nur wenige Autos. Bald wird es ein ohrenbetäubender Lärm sein. Heute ist um halb acht Uhr Abreise. Es geht 500 km in den Süden.

Im Bus. Unser neuer Reiseführer heißt Said, das bedeutet Felix bei uns, sagt er. Er ist groß und schlank, mit Bart, und 55 Jahre alt, wie er preisgibt. Said stellt uns nochmals den Fahrer vor, Hafid, einen bulligen Mann mittleren Alters, der in den Fahrpausen mit einer Zigarette vor dem Bus steht, und den Beifahrer Rachid. Letzterer ist ein magerer junger Mann mit Schildmütze, zuständig für die Sauberkeit des Busses. Er hat unsere Sachen, die im Bus liegen bleiben können, zu bewachen und steht für diverse andere Dienst zur Verfügung, zum Beispiel sorgt er dafür, dass während der Fahrt immer Flaschen mit Mineralwasser zur Hand sind. Mohamed hat uns sofort nach unserer Ankunft davor gewarnt, anderes Wasser als Mineralwasser zu trinken.
im Bus
Said erklärt uns nun, dass wir heute 500 Kilometer in den Süden fahren, es ist die längste Busstrecke auf dieser Reise, die wir an einem Tag zu bewältigen haben. Wir werden den Mittleren Atlas und den Hohen Atlas überqueren, bis zum Antiatlas kommen und dabei zwei Pässe passieren, die um die 2000 Meter hoch sind. Dann lehrt uns Said das Wort, das "Wacha" ausgesprochen wird. Es heißt "Ok". Außerdem begrüßt er uns mit "Salem aleikum" und lehrt uns als Antwort "Aleikum Salam".
Im Unterschied zu Mohamed lacht Said und macht ab und zu einen Scherz, um die Stimmung aufzulockern. Ich notiere mir, was er während der Fahrt erzählt.
Said sagt, der höchste Berg Marokkos sei der Berg Toubkal im Hohen Atlas, 4165 Metern Seehöhe, der sich in der Nähe von Marrakesch befindet. 500 Kilometer Küste habe Marokko am Mittelmeer und 3000 Kilometer am Atlantik. 30 Prozent des Landes nehme die Sahara ein. Wahrscheinlich rechnet er das Territorium Westsahara dazu, dessen politischer Status seit einem Waffenstillstand 1991 zwischen Marokko und den Polisario, der ursprünglich kommunistisch orientierten "Befreiungsfront" der Sahrauis (der Bevölkerung der Westsahara) ungeklärt ist. Das von den Vereinten Nationen verlangte Referendum über den endgültigen Status des 266 000 km2 großen Gebietes mit zirka 400 000 Einwohnern wurde bisher noch nicht durchgeführt. Die Polisario haben bereits 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara ausgerufen, die Marokko aber nicht anerkennt. Marokko hat seinerseits 1976 den Großteil des Gebietes annektiert. Die Vereinten Nationen erkennen vor Abhaltung des Referendums weder die Annexion noch den Staat Westsahara an.
Said und auch Mohamed haben dieses Kapitel je erwähnt, und von uns hat auch niemand gefragt. Ich las im Reiseführer, dass man dieses Thema mit Marokkanern vermeiden solle, wie auch Kritik am Königshaus, an der Stellung der Frau, am Islam … Und außerdem solle man nie sagen, man sei ohne Religion.
Die Marokkaner seien ein junges Volk, erzählt Said weiter, über 60 Prozent der Bevölkerung sei unter 50 Jahren. Marokko habe 13 Häfen und 15 Flughäfen. Und nach der Unabhängigkeit habe man über 100 Stauseen erbaut. Der zweitgrößte Stausee von Afrika - nach dem Nasser-Stausee in Ägypten - sei eine Stunde von Fès entfernt. Ein Haupterwerb der Marokkaner sei die Landwirtschaft, und für die Bewässerung spielten die Stauseen eine wichtige Rolle.
Wir überqueren eine große Ebene mit Olivenplantagen. Auch einen Golfplatz passieren wir. Vor uns taucht der Mittlere Atlas auf.
Said erzählt uns nun auch, dass es zwischen Berbern, der sogenannten Urbevölkerung, und den Arabern keine Probleme gebe. Aber die diversen Berberstämme hätten Probleme untereinander. Es gebe verschiedene Berberdialekte der Berber im Rif-Gebirge am Mittelmeer und im Hochatlas. Standard sei die Berbersprache des Mittelatlas. Heute werde die Berbersprache wieder gefördert und es werden TV- und Radiosendungen in der Berbersprache ausgestrahlt. Im Süden überwiege der Anteil der Berber an der Bevölkerung.
Langsam steigt die Straße an. Das Gebiet ist bekannt für seine Apfelplantagen. Delizius nennt Said die Sorte, die hier wächst. Von der Straße weg erstrecken sich Pinienwälder. Bald kommen wir nach Imouzzèr-du-Kandar, eine Urlaubsstadt, die von den Franzosen gegründet wurde. Auch Firmen und Administrationen hätten hier Ferienhäuser.
Möwensee
Der Mittelatlas sei ein Wasserreservoir für Marokko, erzählt Said weiter. Es gebe sehr viele Wildschweine hier und weiße Trüffel. Hauptsächlich wachsen Steineichen hier.
An einem schönen, heute an einem Wochentag stillen See in den Bergen, machen wir eine kurze Rast. Hans nimmt ihn in Besitz, indem er wie überall an Gewässern flache Steine auf der Oberfläche tanzen lässt. Auf Deutsch übersetzt heißt dieser Lieblingssee von Said "Möwensee". Er liegt 1300 Meter hoch. Im Umkreis von 50 Kilometern gebe es hier mehr als 15 Seen.

Die Fahrt im Bus nützt Said, um uns ein bisschen etwas über das Schulsystem zu erzählen. Schulpflicht herrsche von sechs bis 14, 15 Jahren, und zwar für Buben und Mädchen. Weil es in den Städten zu wenig Schulen gebe, werde der Unterricht geteilt. Eine Gruppe geht von acht bis zehn Uhr, die zweite Gruppe von zehn bis ein Uhr, die erste wieder von eins bis vier, und die zweite von vier bis sechs.
Deshalb sah ich also Kinder um zirka halb elf Uhr mit Schultaschen auf der Straße. Im ersten Jahr ist der Unterricht auf Arabisch. Aber ab dem zweiten Jahr ist die Unterrichtssprache den halben Tag Arabisch und den halben Tag Französisch. 80 Prozent der Marokkaner sprechen Französisch. Vor allem in der Wirtschaft und der Administration werde Französisch verwendet. Mit 12 Jahren sei die Grundschule zu Ende, mit 18 Jahren mache man das Abitur. Danach kommt die Universität. Said berichtet, dass seine Tochter spanische Literatur studiere und dieses Jahr ihren Magister mache. Die staatlichen Schulen kosten nichts. Man zahle nur eine Versicherung und den Elternverein. Aber es gibt auch Privatschulen mit einem total anderen System für die Mittelklasse und Reiche. Er habe vier Kinder und könne sich nur die öffentliche Schule leisten. Privatschulen kosten zwischen 30 und 50 Euro monatlich, das Gymnasium bis 100 oder 120 Euro pro Monat.
Zedern
Nun fahren wir auf einem Hochplateau, auf dem im Winter sehr viel Schnee fällt. Die Stadt Ifrane liegt 1600 Meter hoch. Hier habe es eine Schlacht der Berber gegen die Franzosen gegeben. Ifrane sei die einzige Stadt in Marokko, die das ganze Jahr grün sei. Natürlich gibt es auch hier einen Königspalast. Kastanienbäume, aber vor allem Zedernwälder bedecken die Bergkuppen. Zedern, berichtet Said, wachsen bis über 3000 Meter Seehöhe und werden 50 Meter und höher. Der älteste Baum war 851 Jahre alt. Teer aus Zedern werde zum Schutz vor Skorpionen und Schlangen verwendet.
Schafe im Atlas
Das Gebiet ist ein Paradies für Schafe, erfahren wir, und tatsächlich sehen wir aus dem Bus viele viele Schafherden. Die Schafe haben die Farbe der Landschaft. Die nomadische Bevölkerung sei mit den Schafen immer dorthin gezogen, wo es Wasser und Nahrung für die Tiere gab. Das Land gehöre dem Staat und die Schafe können überall grasen.
Nun sind wir schon fast auf 2000 Meter und haben auch eine Wintersportstation hinter uns gelassen.

Said kommt wieder auf die Hauptertragszweige Marokkos zurück. Marokko besitzt etwa zwei Drittel der Weltreserven an Phosphat, und das Land ist der weltweit größte Phosphatexporteur. Das lese ich im Reiseführer, ebenso wie die Tatsache, dass die wichtigen Abbaugebiete in der West-Sahara liegen. Außerdem vermutet man dort Vorkommen von Erdöl und Erdgas. Weiters werden in Marokko Kupfer, Kobalt, Magnesium, Silber und Quecksilber abgebaut, sagt Said, und ein bisschen Gold.
Wir sitzen sehr gemütlich im Bus, denn wir sind nur zwanzig, und jeder und jede hat eine Sitzbank für sich allein. Während ich auf die vorbei gleitende Landschaft schaue und oft nicht ganz verstehe, was Said vorne sagt, horche ich nun auf, denn er spricht von der Klitorisbeschneidung. "Die gibt es in Marokko nicht", sagt er. Buben würden aber zwischen ein und drei Jahren aus hygienischen Gründen beschnitten.

Esel nahe Col du Zad
Derzeit bewegen wir uns auf einem Hochplateau auf 1900 Meter Seehöhe, es ist begrenzt von grün bewachsenen noch höheren Bergen. Schwarz-weiß gefleckte Kühe weiden, Schafherden. Neben der Straße ein Esel. Said erklärt, dass die Besitzer dieser alleinstehenden Esel Bauern seien, die auf ihren Tieren bis zur Straße reiten, dann per Bus oder Taxi einkaufen fahren. Viele LKWs mit Äpfeln begegnen uns. Gerade ist Apfelernte. Die Stadt Midelt habe angefangen, vor 25 Jahren Äpfel zu züchten, mittels eines Bewässerungssystems mit Tropfen. Um diese Jahreszeit feiere man Apfelfeste und "Miss Apfel" wird gewählt. Es sei eine Kultur geworden in Marokko, Miss Dattel, Miss Mandarine oder Miss Mandel zu küren. Die Missen seien Mädchen zwischen 17 und 25 Jahren.

Fotostop am Col du Zad
Der erste Pass unserer Reise, der Col du Zad, 2178 Meter Hoch. Natürlich ein Fotostop.
Später bittet Said, dass wir beim Mittagessen Futter für wilde Hunde mitnehmen, Hunde würden von LKW-Fahrern und Busfahrern gefüttert. Und das, obwohl Hunde im Islam als unrein gesehen werden. "Man glaubt, wenn ein Hund im Haus ist, kommen keine Engel", verstehe ich, Hans meint, es handle sich um Enkel.
Weiter geht unsere Fahrt auf einem Hochplateau. Sehr karge Landschaft. Ab und zu Häuser, die fensterlose niedrige Kuben aus Ziegeln sind. Wir passieren die Stadt Zeida.
Mittagessen in einer Kasbah, einer Art Burg. Wieder schöne Innenräume, geflieste bunte Wände, Innenhöfe, Polstersofas. Die Toilette steht auch auf Japanisch angeschrieben. Und schon kommt ein Bus mit Japanern angefahren. Die Preise sind überall landesunüblich hoch, wie ich vermute. Nicht viel billiger als bei uns. Und bei jedem Toilettenbesuch, auch in Restaurants, ist ein Bakschisch für die Kloverantwortliche fällig. Es sind fast immer junge Frauen mit Kopftuch und langem Kleid, manchmal hat ein Mann diese Position inne.
Wir befinden uns in der Stadt Midelt, 1450 Meter hoch gelegen, inmitten einer heißen wüstenähnlichen gelbbraunen Landschaft. Vor kurzem hat ein Gewitter bewirkt, dass der Fluss die Brücke niederriß. Eine Umleitung führt über staubige trockene Straßen ohne Asphalt.

Aufstieg zum hohen Atlas. Grasvegetation.
Weiterfahrt. Aufstieg zum Hohen Atlas. An den Straßen wachsen Menthol, Rosmarin, Thymian und ein Gras, das Said "Halva" nennt und die Erosion hintan hält. Die Strecke ist nun sehr kurvig und Hafid fährt ziemlich schneidig. Weihrauchbäume, Tujenbäume, Schafe, am Straßenrand Kinder, die Honig in Cola-Flaschen verkaufen. "Ein Kilo kostet bis 50 Dirham", so Said. Außerdem sagt er, dass die Kinder der Nomaden, die hier leben, oft nicht zur Schule gehen. "Aber jetzt gibt es schon Mobilschulen".
Zypressenforst
Der nächste Pass, N´zala heißt er. Dann Zypressenaufforstungen gegen die Erosion.
Bergketten und Ebenen, Bergketten und Ebenen, Olivenhaine. Noch keine Palmen, denn die gibt es erst unter 1200 Metern, erfahren wir. Derzeit bewegen wir uns auf 1300 Metern.
Ziz Fluss
Nun taucht der Fluss Ziz auf, der uns bis Erfoud begleitet und nach dem auch die wunderschöne Oase heißt. Vorerst aber noch wüstenhafte heftige Landschaft mit schroffen Feldswänden und Berge mit flachen Kuppen, die den blauen Fluss begleiten. Darüber blauer Himmel. Am Tunnel der Legionäre steigen wir aus, um die spektakuläre Gegend zu bewundern. Überall, wo wir anhalten, lösen sich sofort einige Kinder aus der Landschaft und eilen herbei.
Ziz Schlucht in der Nähe des Tunnels der Legionäre
Hier bieten sie uns Kamele an, geflochten aus Palmenblättern (?). Wir kaufen natürlich eines von einem hübschen Buben.
Weiter geht die Fahrt, durch die schroffen roten Felsen der Ziz-Schlucht, vorbei an einem traumartig in der gelben Wüste leuchtenden blauen Stausee - eine einsame Palme steht im Wasser.
Stausee in der Nähe von Er Rachidia
Wir erreichen Er-Rachidia, eine rosa Stadt in der Wüste. Said erklärt, dass alle Städte im Süden in Ocker gehalten seien, statt in Weiß, wobei ich die Bezeichnung "Ocker" nicht verstehe, denn tatsächlich ist die Farbe ein deutliches Rosa. Said bringt den Begriff des "Ksar" ins Spiel und erklärt, das seien Wohngebiete einer Familie, die im Laufe der Zeit sehr groß werden können und mit einer Mauer umgeben sind. In Wikipedia lese ich, dass man als Ksar traditionelle befestigte Siedlungen der Berber bezeichnet, die oft an den traditionellen Karawanenstraßen durch die Sahara liegen und als Wohnsiedlung, Handelsposten und religiöses Zentrum dienen. Sie werden von Verteidigungsmauern umschlossen.
Die Hälfte der Einwohner von Er-Rachidia seien beim Militär, sagt Said. Die Gegend sei touristisch noch nicht sehr "exploitiert", aber man bemühe sich, Fremdenverkehr auch hierher zu bringen. Den internationalen Flughafen von Er-Rachidia hätten die Saudis erbaut, die zur Jagd anreisen, mit allem Drum und Dran, sogar mit eigenen Toiletten. Es ist alles hier, in dieser Stadt, wir passieren eine Krankenhaus, ein Fussballstadium, eine Agrikulturschule. Die kleinen Taxis sind blau, die großen, Mercedes, fassen sieben Personen.
In der ganzen Gegend kommen sehr viele Schlangen und Skorpione vor, erzählt Said auch.
Die Blaue Quelle von Meski, eine in der Karte eingezeichnete Sehenswürdigkeit, lassen wir links liegen, wohl aus Zeitgründen, denn wir sollten um vier Uhr in Erfoud sein, um rechtzeitig unser Wüstenerlebnis zu starten.
Oase Tafilalet
Einen Halt muss es aber noch geben, bei der Oase von Ziz. Ich habe noch nie eine Oase gesehen. Sattgrün und breit windet sie sich durch ein orangerotes Felsental. Wir sehen von oben die Palmwipfel. Dattelpalmen. Gerade ist Dattelernte. 43 Arten von Datteln kenne man, so Said. Aber auch Feigen, Aprikosen und Pfirsiche wachsen in der Oase, wenn auch kleiner als sonstwo. Die sattgrüne Vegetation, zwischen den Palmen leuchten auch Felder herauf, wird von niedrigen rosa Häusern begleitet. Auf den Dächern trocknen Früchte, die wir nicht erkennen können. An den Ufern des Flusses blühende Tamarisken.
Als wir wieder einsteigen, fahren wir an der Oase entlang, rechts aus dem Busfenster Wüste und Berge. Bald tauchen die Hotels und Palmen von Erfoud auf, einem Ort, der von den Franzosen als Militärgarnison gegründet wurde und ein Zentrum des Tafilalet ist, wie die Oasenlandschaft heißt.
Das Gebiet des Tafilalet umfasst 30 Kilometer in Nord-Süd-Richtung und 5 bis 15 km in Ost-West-Richtung und ist eine der historisch bedeutendsten Regionen von Marokko. 757 nach Chr., vor Fès, wurde hier das sagenhafte Sijilmassa gegründet, die alte Hauptstadt des Tafilalet. Diese Stadt wurde eines der wichtigsten Zentren des Karawanenhandels. Besonders der Sklavenhandel mit Timbuktu war bedeutsam. Das Tafilalet ist auch das Stammland der Alaouiten, der bis heute herrschenden Dynastie. Sie eroberten ab der Mitte des 17. Jahrhundert ganz Marokko. Im 19. Jahrhundert verlor der Transsahara-Handel seine Bedeutung und damit das Tafilalet seine wirtschaftliche Bedeutung. Der Widerstand gegen die Franzosen war hier besonders groß. Heute, lese ich im Reiseführer weiter, ist die Region von Landflucht betroffen. Die Bevölkerung nimmt dramatisch ab, die Flüsse führen immer weniger Wasser, die Brunnen versalzen, Versandung droht. Mit Tourismus versucht man, die einst blühende Gegend wieder zu beleben.
Später, nachts, dieser Tag war wunderschön. Die landschaftlichen Schönheiten steigerten sich, je mehr wir in den Süden kamen. Am schönsten war das Wüstenerlebnis. Wir erreichten gegen halb fünf Uhr das Hotel Palms Club und hatten es schon sehr eilig, denn die Sonne geht nun einmal vor sechs Uhr unter. Und wir sollten den Sonnenuntergang auf den Wüstenbergen des Erg Chebbi erleben, einem der Dünengebiete der nördlichen Sahara, an der Marokko nur einen geringen Anteil hat. Die vier Landrover warteten schon, und junge Berber mit Turbanen und langem Gewand, die sich Tuaregs nannten, versuchten uns, während wir wartend im Auto saßen, bunte Schals zu verkaufen. Bei mir hatten sie Erfolg. Ich kaufte nach einem lustigen Handelsgespräch einen dunkelblauen "Tuareg-Schal" um 25 Dirham.

Ziz Fluss
Auch am Lenkrad saß ein sehr junger Mann in Turban und langem Kleid. Es ging los. Die erste Hürde war eine Furt über den Fluss Ziz, über die kniehoch das Wasser brauste. Die Landrover vor uns manövrierten sich schon hin- und herschlitternd durch. Auf der rechten Seite stürzte die Flut in ein Gewässer mit uns unbekannter Tiefe. Unser junger Mann lenkte unseren Landrover so geschickt durch das Hindernis, dass wir applaudierten. Aber die Rückfahrt, in der Nacht!?
Weiter ein Stück Asphaltstraße, dann in die gelbe Wüste hinein. Pistenfahrt und im schnellstmöglichen Tempo, denn die Sonne stand schon bedenklich nahe dem Horizont. Wir und unsere Reisegefährten flogen nur so durch das Auto. (Von Angurten war keine Rede). Statt einer Stunde wie angekündigt, brauchten wir so nur eine halbe Stunde bis zu den rötlich chanchierenden Dünenbergen vor dem hellblauen Spätnachmittagshimmel. Wie in einem Traum oder im Kino. Lawrence von Arabien soll in den marokkanischen Dünen gedreht worden sein.
Wüstenfahrt
Schon von weitem sahen wir vor den Dünen ein burgartiges Gebäude (dort könne man einen Kaffee trinken, so Said, der auch mit von der Partie war) und etwa 20 Landrover aufgefädelt, deren Insassen denselben Wunsch hatten wie wir und die schon per bereit stehender Kamele die Sandrücken erklommen hatten. Fast alle Reisegefährten ließen sich von den Kameltreibern zu einem Ritt bewegen. Wir und wenige andere machten uns zu Fuß auf den Weg. Aber nur kurz allein. Denn nach wenigen Schritten stürzten hinter dem nächsten Dünenrücken fünf, sechs junge Männer in der traditionellen Tracht hervor. Zwei von ihnen waren für uns zuständig. Wie alle der jungen Männer, die man hier auf uns ansetzte, waren sie hübsch und manierlich und bedrängten uns nicht allzu sehr - aber sie ließen uns auch nie allein, bevor wir nicht zu unserem Auto zurückkehrten. Sie zeigten uns den Weg und versuchten zu plaudern, fotografierten uns in den Dünen und wollten abschließend natürlich irgendetwas verkaufen. Als wir ihnen ohne Handel einige Euro in die Hand drückten, waren sie verstimmt.
Dünenritt
Bei der Ankunft stand die Sonne knapp über dem Horizont. Sie ging schon unter, als wir noch auf halber Höhe der zirka 150 Meter hohen Dünen waren. Der Sonnenuntergang war aber nicht das Spektakulärste. Die nachfolgenden Farbspiele, die Weite, die Stille, die waren das Erlebnis. Wenn auch objektiv gesehen vielleicht nur ein winziger Zipfel der Sahara, so reichten die Dünenberge doch bis zum Horizont, der Himmel verfärbte sich rosa und lila und orange und gelb und auch die ineinander übergehenden Ketten der Sandberge tauchten in diese Farben. Hans war noch dazu begeistert von der trockenen Luft, alle seine Nasen- und Bronchienprobleme waren verflogen. Wir kletterten bis zu unseren ReisegenossInnen, die per Kamel schon vor uns auf der höchsten Stelle angekommen waren und genossen das kurze Schnuppern an der Wüstenschönheit in vollen Zügen.
Ein weiterer Höhepunkt erwartete uns auf der Rückfahrt. Es war bereits vollkommene Nacht. Said ließ unsere vier Landrover anhalten, um den Sternenhimmel über der Wüste zu bewundern. Die Milchstraße wand sich breit und glitzernd über den schwarzen Nachthimmel, alle Sternbilder blinkten zum Greifen klar. Stille unsererseits wäre jetzt angebracht gewesen, um die Stille in den Weiten um und über uns zu genießen - mit 20 Reisekollegen aber leider ein unerfüllbarer Wunsch. "Wir fahren sowieso nochmals und länger in die Wüste", diesen Beschluss hatten wir längst gefasst.
Sonnenuntergang in der Wüste
Auch die letzte Hürde, die Fahrt durch die Furt, überstanden wir lebend!
 |  Casablanca  |  Meknes  |  Fès  |  Erfoud  |  Ouarzazate  |  Kasbahs  |  Marrakèsch  |  V. de l`Ourika
Ruth Linhart | Reisen | Fotos Marokko 2009 Email: ruth.linhart@chello.at