|
Gestern war wieder ein Tag, wo
ich Dir nicht geschrieben habe, aber in der Nacht vorher hatten wir zum
erstenmal in Wien Fliegeralarm, und zwar begann er nach 2 Uhr nachts und war
etwas nach 3 Uhr zu Ende. Da es zum erstenmal in meinem Leben war, war die
Sache für mich einigermaßen neu und aufregend, sämtliche
Bewohner unseres Hauses waren aufgestanden, und schießlich versammelten
sich alle auf Stiegen und Gängen und wir landeten zum Schluss im Haustor.
Da niemand wußte, was eigentlich zu tun sei, ob wir zu unserem
zuständigen Luftschutzraum vis à vis in der Kirche gehen sollten
oder sonstwohin, so warteten wir, bis die als Kundschafter ausgeschickten
Hausbewohner eine Weisung bringen würden. Aber der Luftschutzraum in der
Kirche gegenüber erwies sich als fest verschlossen, und schließlich
wurde in Erfahrung gebracht, daß er bereits aufgelassen sei und wir daher
in die Waidhausenstraße zu gehen hätten. Die Meinungen gingen
sehr erregt hin und her, und bevor wir zu einem Entschluß gelangten,
ertönte die Entwarnung. Ich selbst habe mich bei der ganzen Angelegenheit
sehr wenig aufgeregt, eigentlich nur im ersten Augenblick, als die Sirene
ertönte. Später erheiterte mich die ganze Sache mehr als sie mich
aufregte, besonders als ich das Durcheinander der aufgeregten Hausbewohner
mitansehen konnte. Wie Du die Osterfeiertage zubringen wirst, davon habe
ich nicht einmal eine Vorstellung, und ich werde die Feiertage unter den
bescheidensten Bedingungen zubringen, die man sich nur denken kann. Wir werden
so gut wie nichts zu essen haben, nirgends hinfahren können, sondern
werden froh sein müssen, wenn es wenigstens die Sonne ein bißchen
gut mit uns meint.
Immer wieder muß ich an jene Nacht vom 11.
zum 12. März 1938 zurückdenken, als ich mit fast prophetischem Blick
inmitten des Jubels großer Menschenmassen eine düstere Zukunft vor
uns sah. Ich kann es heute sagen, es ist alles so eingetroffen, was ich damals
vorausahnte: Nicht schrecklicher, da ich ohnehin das Schrecklichste
befürchtete, und nicht leichter. |