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Das weisse Haus Gol Babaithak

13.3.1995, Abschied


Abschied von Kathmandu, Blick auf die Stupa von Bodnath
Heute in der Früh gab es noch keine "Kathmandu Post" und kein "Rising Nepal". Mir kam zu Bewußtsein, daß, wenn wir von hier wegfahren, der Vorhang fällt, absolut. Über Nepal ist bei uns nichts zu hören, nichts zu lesen. Ja, es gibt wunderbare Reiseführer mit den schönsten Bildern und manchmal eine Dokumentation übers Bergsteigen in Nepal. Aber sonst nicht die geringste Information. Wie soll ich mir ein bißchen Information erwerben, wie es in Nepal weitergeht, mit "Sun" und "Tree", Kommunisten und Kongreßpartei, Frauen, Kindern, Dreck, Müll, "Build our own village-movement" und "Master Plan for the Nepalese Forests"?

Im Flugzeug, Richtung Karachi. Unter uns eine riesige Wüste. Sandfarben. und ein Fluß, den Hans Indus nennt. Mir ist nicht sehr wohl. Ich schlief schlecht und die Krampfadern ziehen schrecklich, schon in der Nacht, erst recht beim Sitzen. Der Hals tut mir weh, die Nase ist verstopft, der Kopf ist mir dumpf. Das Flugzeug bebt etwas, obwohl wir 10 700 m hoch sind. Ich saß beim Fenster, aber da kriegte ich richtig Platzangst. Es ist auch so heiß.
Mit uns reist eine große Gruppe etwa 30- bis 40jähriger nepalesischer Männer. Sie kamen an, als wir schon lange in der Abflughalle saßen. Jeder trug ein Käppchen, hatte einen leichten Anzug an und Blumenkränze um den Hals oder Glitzerkränze oder beides, gelbe Blumen und Kornblumen. Und ein rotes Tikka auf der Stirn. Die ganze Gruppe marschierte vor uns durch die Absperrung zum Flugzeug, war aber nicht hier, als wir einstiegen, sondern stand etwas entfernt auf dem Flugfeld. Als das Flugzeug schon fast zu rollen begann, strömten sie auf die leeren Mittelsitze der Touristenklasse. Ihre schönen Kränze stopften sie achtlos in die Fächer für das Handgepäck. Jetzt, so hat der Flugkapitän verkündet, beginnen wir mit dem Anflug auf Karachi. Das Flugzeug hat, im Unterschied zum Herflug, sehr viel Gegenwind. Beim Herfliegen hatten wir ein Tempo von bis zu 1100 km/h, jetzt 650 bis 700 km/h.

Ja, jetzt geht es heimwärts. Gestern abends im Bett, heute früh beim Frühstück, auf dem Dach, flossen mir einfach die Tränen. Ich weiß gar nicht, daß ich traurig bin. Hans sagte, ich sei sicher traurig wegen des Abschieds vom weißen Haus, vom "Vaterhaus". Ich glaube, ich bin auch traurig, weil der schöne Urlaub zu Ende geht. In Karachi hat es 32 Grad.
Beim Abfliegen könnte noch ein Malheur passiert sein. Bei dem Gerät, das die Koffer durchleuchtet, stand eine Aufschrift "Film not save". Hans riß 21 Filme aus der Reisetasche, für die anderen reichte die Zeit nicht mehr. Sonst klappte alles wie am Schnürchen. Leider saßen wir wieder auf der falschen Seite des Flugzeugs, wie bei der Ankunft. Wir saßen rechts und es flog nach Süden, sodaß wir weder auf Kathmandu noch auf die hohen Berge sahen. Aber auf der Rollbahn hatten wir noch einen letzten Blick auf Thapatali, Bimsen-Tower, Swayambunath und Bodnath. Unter uns eine sehr triste Landschaft, Wasseradern, die ebenso sandfarben sind wie die Ebenen und Täler. Riesenwasserarme, Felder, ein Eisenbahnbahnhof, sagt Hans. Alles sandfarben. Fabriken. Wovon leben die Leute hier, fragt Hans. Ich habe keine Ahnung. Karachi ist ein Hexenkessel von über zehn Millionen Einwohnern mit mehreren Terroranschlägen in den letzten Wochen, seit wir hier sind. Gelandet.
Karachi
Karachi, ein Meer von Häusern. Große breite Asphaltstraßen ziehen durch. Ab und zu eine große unbebaute Fläche oder ein Wasserbasin, weiße Gebäude, die Moscheen sein könnten. Wir bleiben wieder an Bord. Die Nepali haben alle ihre Kränze, Sakkos und Kappen abgelegt. Sie gingen sehr viel herum und fotographierten einander. Wahrscheinlich werden sie in Deutschland schrecklich frieren. Wir dachten, daß sich am Flugfeld vielleicht eine Segnung für ihre Reise vollzogen haben könnte. Die Pakistanische Fluglinie heißt PIA. Ortszeit 13.48 Uhr,.
Ich denke an den deutschen Arzt im Hotel Vajra, der erzählt hat, bei seiner Ausbildung sprach ein Arzt mit ihnen auch darüber, ob man es den Leuten sagen solle, wenn sie sterben müssen. Es gibt nur fünf Prozent, die sind so stark, daß sie ruhigen Herzens sterben, denen hilft ihr starker Glaube, und fünf Prozent, die sind so rationalistisch eingestellt, daß sie wissen möchten, wie sie dran sind. Die restlichen neunzig Prozent wollen es nicht wissen.

Die Flugzeug-Besatzung zieht ab, die neue ein. Jetzt kommt eine Putzbrigade, die aber wenig zum Putzen hat. Stewardess ist kein "leinwandener" Job, obwohl ich ihn als Kind als Traumberuf emp fand - nach Nepal, als das Fliegen so ein Abenteuer war. "Flugbegleiter auf ihre Position" heißt es und die Stewardessen setzen sich auf ihre Sitzen. Ein junger Steward stand im Gang. "Sascha, du mußt auf deiner Position bleiben, falls irgendetwas passiert!" Karachi ist derzeit ein unsicheres Pflaster. Jeden Tag ein anderer Anschlag. Und so viele Putzmänner kriechen hier herum. Beim Herfliegen mußten die Flugbegleiter, glaube ich, nicht so streng auf ihrer Position bleiben. Mir scheint, daß das Flugzeug während des Besatzungswechsels ganz verwaist gewesen ist. Aber vielleicht erinnere ich mich nicht richtig. Die Nepali steigen vielleicht in Frankfurt aus, mit dem roten Tikka auf ihrer Stirn, das ihnen Glück bringen soll. Unterhalb des Flugzeugs steht ein Mann mit einer Maschinenpistole.

Gestern haben wir noch in aller Ruhe eingepackt, wir haben den Sonnenuntergang angeschaut, von der Dachterrasse aus, es gab kein Abendglühen, denn es war praktisch wolkenlos. So konnte ich das nicht fotographieren. Haare waschen. Abendessen. Wir gönnten uns eine Nachspeise "Explorer's creme", sehr gut, sehr fett. Heute früh duschte ich nochmals. Ich bin vielleicht wirklich ein bißchen krank. Man sah die Berge, Schönwetter, über der Stadt leichter Dunst.

Am Flughafen redete mich der Herr aus Deutschland an, der ebenfalls heute zurückfliegt. "Auch traurig?" "Ja." Er war in Gorkha, einer Stadt mit einer Festung, die Residenz der jetzt herrschenden Shah-Dynastie war. 14 Stunden Fahrt, aber kein Ausblick auf die Berge, sie waren in Wolken. Er fand wie ich, daß die Tiroler Berge eigentlich imposanter zum Anschauen sind, hier ist man so weit weg. Wenn man direkt dorthin trekkt, ist es vielleicht anders. Aber es zieht mich nicht hin. Der Mann mit der Pistole steht beim Aufstieg zum Flugzeug, beim Gangway.

Derzeit findet der Sozial- oder Armutsgipfel in Kopenhagen statt. Ein sehr dicker Bundeskanzler Kohl bzw. die BRD geben 50 Millionen DM (oder 500?) für eine Aktion gegen Kinderarbeit. Ich frage mich, wie Kohl an die Kinder herankommen möchte, die in Nepal am Straßenrand Schuhe putzen oder in den Teppichfabriken Nepals Teppiche knüpfen oder Steine klopfen, vom Samstag zum Samstag, vom Morgen zum Abend. Bei dem Sozialgipfel versammelten sich 180 (oder 138) Regierungschefs aus der ganzen Welt. Österreich erläßt Zinsen in der Höhe von 150 000 Mark (?) Sonst nichts Konkretes. Mir kamen schon wieder die Tränen angesichts der unendlichen Entfernung Kohls vom den im Dreck lebenden nepalesischen Kindern.

So, wir fliegen wieder. Es bebt leicht. Es gibt Getränke. Vielleicht habe ich Fieber. Übrigens gibt es vor dem Flugplatz in Kathmandu einen ausgedörrten Golfplatz und eine Kuhschranke bei der Einfahrtsstraße zum Flughafen. Die Nepaligruppe besteht nach Aussage der Stewardess aus Polizisten, die zu einem Friedenskongreß nach Frankfurt fliegen.
Um dem enormen Gegenwind in der Türkei auszuweichen, fliegen wir heute anders als sonst, über Armenien, Georgien, Rußland, Ukraine, Ungarn, Österreich, Linz, Frankfurt. Und dann fliegen wir wieder zurück, Frankfurt, Linz, Wien. Unter uns braune Berge, nichts als braune Berge.

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