Ruth Linhart | Reisen | Texte Start Nepal 95 | weiter | Fotos

Das weisse Haus Gol Baithak

7.3.1995, Nagarkot


Terrassenlandschaft bei Nagarkot
Ich sitze auf dem fremden, nicht überzogenen Bett im Schein einer Neonlampe, die von einem Generator betrieben wird. Wir warten minütlich, daß sie uns abgestellt wird und wir auf Taschenlampe und Kerze angewiesen sind. Es riecht feucht, etwas muffig. Es ist nicht geheizt hier. Hans sagt, wir befinden uns hier auf dem 26. Breitengrad, zu Hause auf dem 48. Breitengrad. Wir sind so südlich wie die Sahara. Und auf 1800 Meter Meereshöhe. Es ist für diese südliche Lage reichlich kalt, obwohl wahrscheinlich der Schnaps von Hansis Onkel, der von der Schwester Maria übergeben in einem neuen Flachmann seinen Weg nach Nepal gemacht hat, bewirkte, daß meine Hände warm geworden sind. Hans hat in der "Bibliothek" hier "Sieben Jahre in Tibet" gefunden, ein altes Exemplar des Buches von Heinrich Harrer, das ich vor 36 Jahren in Nepal las. Auf der Innenseite des umschlags steht "Meinem Hans" und eingelegt ist eine handschriftliche ziemlich unleserliche Notiz vom Zimmer 301 des Hotels Vajra. 301 ist unsere Zimmernummer!
Ich lese "Snow leopard" von Peter Matthiesen. So sind wir beide einschlägig in unsere Lektüre vertieft, und es ist gegenüber den Härten des Himalaya, denen unsere Lesestofflieferanten ausgesetzt sind, sehr luxeriös hier. Es gibt Zimmer mit Dusche und WC, aber es ist eiskalt und das Wasser ist eiskalt und das Licht ist das einer Taschenlampe. Wir sind im äußersten nordöstlichen Zimmer der vier dieses Bungalows aus Ziegel mit Strohdach.
Obwohl wir hier am entferntesten vom Haus sind und das Schloß von außen nicht zu schließen geht, beruhigte uns der Mann, einer von mehreren Burschen, die hier allein zu unseren Diensten sind: "There is a man who watch, goes round in the night". Wir sind die einzigen Gäste hier! Kein Wunder. Es ist kalt, so kalt, daß man im Zimmer weiß den Atem sieht und es regnete leicht, als wir ankamen. Nichtsdestoweniger zeigten sich die Spitzen des Langtang gegen Abend kurzzeitig im Nebel, unten alles Wolken, oben schwammen wolkenumspielte Gipfel. Meine Barbourjacke ist hier bestens am Platz. Ich nahm auch den Schirm mit zum Spazieren. Ich trage die rosa Bluse, beide Pullover, die ich mithabe und das unschätzbare Wolltuch, das ich in Bhaktapur gekauft habe und bereits nepalesisch herumschlinge.

3. Heft 7.5.95, Nagarkot, Fortsetzung

Hans liest, daß die Tibeter bis zu 60 Tees am Tag trinken, Buttertee. Der wird auch nicht viel anders schmecken als der "buttered rum" und der schmeckt gut. Obwohl ich, seit meiner Magenkrise vor einer Woche, keinen mehr getrunken habe. Hans erzählt ab und zu von seiner Lektüre - vom tibetanischen Neujahr.
"Der Manager is home, Christmas-holiday", erklärte uns der junge Mann, der einheizte in der Bibliothek und Öl auf das Holz goß bzw. in die Flammen, um die nassen Scheiter zum Brennen zu bringen. Dann rauchte es und die ganze Zeit, während der das Feuer brannte, mußte das Fenster offen sein, sodaß ich ein Eiszapfen wurde. Es ist sehr still hier. Wir sind freiwillig ins entfernteste Erkerzimmer gezogen, weil hier die Sicht am besten ist, zwei Fenster, nach Norden und nach Osten. Nur eben, bisher zeigten sich Ihre Majestäten uns noch nicht oder kaum. "Tomorrow sun will shine", wurde uns von einem Mann auf der Straße versichert, der uns ansprach. "Where are you from?" "Austria." "Ah, Australia". "No Austria. "Ah, Austria..."
Heute früh noch Kathmandu. Alles von Ruthi wohlorganisiert. Ich schlief gut ein. "Alles morgen", war mein Mantra. Heute werde ich vielleicht wieder zu "Omanipadmehum" greifen oder zu "alles bestens". Das ist auch ganz gut. Frühstück. Porridge. Bißchen "Kathmandu-Post". Ich las, daß die National Women's Organization in einer Zweitagesversammlung beschlossen hat, daß ein stufenweiser Plan mit diversen Aktionen zur Verbesserung der Situation der Frauen realisiert werden soll.
Danach Einpacken. Gegen zehn Uhr klopfte unsere Zimmerfrau an, praktisch, um sich das Trinkgeld abzuholen. Aber sie war nett, hat das Bett neu überzogen, die Spinnen entfernt und mir heiße Flaschen aufgelegt, als ich krank war. "Come again?" Same room?" Wir sagten, das wissen wir nicht. Der grüne Koffer blieb im Vajra. Die Bezahlung der Rechnungen war ein bißchen kompliziert. Bis zum ersten März bezahlten wir schon in Wien. Vom ersten bis heute und Nagarkot wieder extra. Ich zahlte mit Visa-card. Dann fragte uns der Rezeptionist, ob es uns etwas ausmache, wenn einer vom Staff von Nagarkot mitfahre, aber der war dann doch nicht dabei. Vielleicht war der Mann an der Rezeption Herr Lama, der Manager hier ist. Er ist jedenfalls für die Auspflanzung von 10 000 Bäumchen auf dem Grund des Farmhouse verantwortlich und gehört zum Dreierkonsortium, die das Vajra managen, neben Sabine Lehmann, der Schauspielerin. Die probt übrigens mit ihrer Crew jeden Abend so um zehn Uhr im Theater und man hört ihre sehr laute charakteristische Stimme bis ins unser Zimmer hallen.
Stupa im Garten von Nagarkot Farmhouse
Wir fuhren mit "our best car" zwei Stunden, zehn Kilometer Luftlinie, sagt Hans, dreißig Kilometer Straßentfernung von Kathmandu. Der der letzte Teil besteht zuerst aus einer schmalen asphaltierten Straße mit einer Unzahl enger Kurven auf einem Höhenrücken bis Nagarkot und dann aus einer sandigen Staße, auf der man nur im Schritttempo fahren konnte, bergab bis zu der kleinen Stupa, die das Bauwerk einzige ist, das man von den zwei, drei strohgedeckten Häuschen hier sieht. Sehr landschaftsfreundlich. Als wir später den Weg bis zu den häßlichen Hotels nach oben gingen, brauchten wir vielleicht zwanzig Minuten. Es regnete leicht. Die Luft ist durchwegs grau und es ist ganz unwirklich hier.

Blick von Nagarkot Farmhouse ins Tal
Nagarkot liegt auf dem Höhenrücken. Auf jeder Seite geht es - Hans meint im 45-Grad-Winkel - ich meine steiler, völlig abschüssig, aber gegliedert in viele, viele kleine Terrassen, ins Tal hinunter. Auch vom Zimmer aus haben wir diesen Blick. Zuerst kommen die Terrassen des Farmhouse, verziert mit intensiv rosa blühenden Pfirsichbäumchen, erst wenige sind aufgeblüht, aber die platzen fast vor Farbenpracht. Weiter unten blühen weiße Bäumchen. Ich mußte an Akio Kurosawas "Traum"-Film denken. Ein kleiner Bub weint, weil die Bäume des Gartens gefällt werden. Und er sieht im Traum, wie sie alle wieder blühen. Terrassen voll rosa blühender Bäumchen. Wie hier. Hinamatsuri-Puppen-Altäre, übrgens um dieselbe Zeit, Anfang März, sind auch oft mit solchen rosa Bäumchen verziert.
Als wir zum ersten Mal hinunter schauten, flog ein knallrotes Vögelchen in den Ästen herum. Und einer wie ein Wellensittich oder besser wie ein Kanarienvogel, grün und leuchtend gelb. Und gerade wollten wir eine Art Wiedehopf bewundern, der braunrötlich und mit schwarzem Kamm sich auf einem Pfirsichzweig niedergelassen hatte, da flog er weg, weiter ins Tal und gegen andere Höhenrücken zu.
Nur in Talnähe, in den Mulden, sind die Terrassen grün und gelb, Gemüse, Getreide, Raps. Sonst braun. Als wir herfuhren, war ich ganz konsterniert. Eine Mondlandschaft. Hügelkuppen verschiedener Höhe, zum Teil terrassiert bis oben, zum Teil nicht - aber alles braun. Erdbraun.
Im Zimmer ist es an sich relativ sauber, nur das Bett, das ist sicher nicht frisch! Als wir vom Haupthaus hergingen, war es schon finster. Hans leuchtete übermütig mit der Stabtaschenlampe in die Gegend. Nebelschwaden trieben daher, rund um uns. Aber man sah den Mond. Der flach geschwungene Teller ist schon eine Schale geworden. Zwar vom Nebel etwas getrübt im Glanz, aber immerhin, man sah den Mond. Ich fantasiere jetzt, während ich schreibe, Spinnen, Schlangen, unter dem Bett hervorkriechen, den man-killing-tiger ums Haus schleichen. Wie bezähme ich meine inneren Ungeheuer? Das ist eine der Hauptfragen für mich. "Ich fürchte mich heute nicht!" Doch das ist kein Mantra. Es muß positiv sein. "Alles ist gut!" "Alles ist ok." "Alles bestens". Wir schlafen in einer bewirtschafteten Gegend. Nepalis sind freundliche Leute. Es gibt Wächter und von wilden Tieren hier hat niemand etwas erzählt.
Angst ist ein Teufel. Die kleine Angelika haute sich ab darüber, daß ich mich vor Hunden oder im Finstern fürchte. "Da sind Sie ja völlig beschnitten in Ihrer Handlungsfreiheit!" "Ja. Ja, genau so ist es." Mathiessen schrieb über Meditation bzw. an einer anderen Stelle über die Überwindung dessen, vor dem man sich fürchtet, durch Konfrontation damit. Das hat wirklich sehr viel für sich. Ab und zu betreibe ich das. Aber ich will mich jetzt gar nicht fürchten, sondern halbwegs gut schlafen, bis uns die Sonne und ein herrlicher Anblick des Himalaya weckt. Auf dem Tisch im anderen Haus drüben standen Rhododenronblüten, große, rote, eine Blüte in einem Glas auf einem kleinen Tisch, zwei auf der Theke. Die habe ein Kollege gebracht, von irgendwo oben. Dorthin will ich morgen. Ich möchte so gerne in Nepal die Rhododendren blühen sehen.

Ruth Linhart | Reisen | weiter | Fotos Email: Ruth Linhart