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Das weisse Haus Gol Baithak

2.3.1995, Dakshin Kali, Pharping und Chobar


Poems by Nepali Women edited by Shailendra K. Singh, published by Singh Prakashan, Kathmandu
Gestern in dem Buchgeschäft im Thamel kaufte ich Karten und ein Buch mit englischen Übersetzungen von Gedichten nepalesischer Frauen, herausgegeben von Shailendra K. Singh. Ein Gedicht heißt "Tradition".

 For years
 A picture is hanging in my room,
 A moth-eaten picture
 Defying its original look.
 It was proudly hanged on the wall
 By my mother,
 which my grandmother has been worshiping ever since.
 Today my eyes can´t endure it.
 There is a limit to everything,
 Including the faith.
 Time has come
 When I must smear this picture
 With the colour of fire
 And reduce it to ashes
 With a burning match-stick.

Übersetzt ist dieses Gedicht von der Herausgeberin. Die Dichterin ist Benju Sharma, geboren 1947. "Her poetry has a voice of protest", lese ich in den Büchlein. Benju Sharma lebt in Kathmandu und unterrichtet Kultur an der Tribhuvan-Universität.

Eine unruhige Nacht. Jetzt ist es vormittags. Wir sind auf der Dachterrasse. Der Aufräumer kehrt mit dem hier typischen Rutenbesen. Hans sagt, so einen nehmen wir uns mit. Der Himmel ist blau. Swayambunath und schon weiße Berge am Horizont. Ein großer Birnbaum blüht. Der ist auch von unserem Turmzimmer aus zu sehen. Er hat büschelartige Blüten. Zum ersten Mal bemekrte ich, dass auch hier Glöckchen an den Dachvorsprüngen hängen. Große Töpfe mit Blumen stehen auf der Terrasse, Stiefmütterchen, gelb und violettgelb, tiefrote Nelken, Ringelblumen, die sind am häufigsten. Weißrosa margaritenartige Blumen und tief orange leuchtende große Blüten, Anemonen, aber mit festen Blättern. Dann sehr viele Löwenmaul, rot, rosa und weiß. Das Hotel besteht aus einem alten Flügel, in dem wir wohnen, und aus dem neuen Flügel, und dazwischen drängt sich ein niederes Haus, das ganz überwachsen ist von einem gelb blühenden Trompetenbaum, oder Tulpenbaum.
Hans ist für Angelika das Rad zurückbringen gefahren und Geld wechseln.
Blick von der Terrasse des Hotels Vajra Richtung Swayambunath
Diese Terrasse ist fantastisch. Gestern Nacht bewunderten wir von hier aus den Sternenhimmel und das beleuchtete Swayambunath. In der Nacht bellen die Hunde heftig. Raufen sie sich um die Beute? Zwischen fünf und sechs Uhr früh beginnen Hähne zu krähen. Gegen sechs Uhr setzen die Vögelchen in den Bäumen des Vajra-Gartens mit ihrem Gesang ein. Jetzt bebt ein allgemeins Stadtsurren in der Luft, immer wieder ist ein Gockelhahn, Motorradbrummen, ab und zu ein Hupen zu hören, das Fegen des Kellners mit seinem Besen, des Kellners in rotem Hemd und dunkelroten Gilet.
Außer mir sitzt ein jüngeres Paar hier, das seit gestern immer dort sitzt, wo wir sitzen.
Die Stadt liegt noch im leichten Dunst. Auf den Dächern Riesensatelitenschüsseln aus eigener Anfertigung, eine Frau, die Wäsche zum Trocknen aufhängt. Viel Wäsche flattert auf den Dachterassen. In Richtung Durbarplatz angedeutet die Pagoden und der Bhimsen-Tower. In der Nähe sieht man den Weg am Fluß entlang, die Straße auf dem Müll am Ufer des Bishnumati, wo Räder und Motorräder fahren, die Brücke, die nach Chetrapati und Thamel führt. Ein Dachglöckchen bimmelt. Ein Traktor rattert. Ein Kind weint. Hühner gackern.
Es riecht nach Essen und anderen Dingen.
Das Hotel gehört eine amerikanisch-nepalesischen Gruppe, sagt man. Managerin sei Sabine Lehmann. Sie sei Schauspielerin beim Berliner Grips-Theater gewesen (einem Kindertheater mit sozialkritischem Hintergrund der Endesechziger Jahre). Lebensgefährte oder Mann, sagt Susanne F., sei ein Tibeter und ich nehme an, es ist der Mann, der öfters chefhaft in der Rezeption steht oder im Restaurant und der zu mir sagte "No problem", als wir bis zum 13. 3. hierbleiben wollten.
Sabine ist eine lebhafte Dame mit längeren vielen rötlichen Haaren, meistens trägt sie, wenn ich sie von unserem Turmfenster aus beobachte, eine schwarze Jacke und Leggings. Im Hotel habe ich sie noch nie gesehen. Gestern abends, vielleicht um 1/2 1 Uhr, hatten die Theaterleute ihre Proben beendet und ich hörte sie "Julius" zu jemandem sagen.

Es ist komisch, aber ich habe doch das Gefühl, als wäre ich genau richtig hier. Schon einige Male hatte ich dieses Gefühl. Es stimmt genau, daß ich hier bin. Von der Zeit vor 36 Jahren geht eine gerade Linie bis zum Jetzt. Hier, Ruth im Hotel Vajra in Kathmandu. Auch was dazwischen war, alles stimmt. Es rührt mich fast zu Tränen, dieses Gefühl. Damals waren wir vielleicht im Royal Hotel, vielleicht! Sicher sogar. Mit Helle und Soren. Chinesisch essen. Mein erstes chinesisches Essen. Gyosa. Hier Momo (?) genannt. Hängt ein Kalender, so eine Art Wandbild mit chinesischen Zeichen und einer Zen-Landschaft, an der Wand? Helle erzählt mir, daß es 2000 oder 3000 chinesische Zeichen gibt und ich denke mir, die möchte ich lernen. Heute, jetzt, habe ich das alles hinter mir. 36 Jahre. Und ich komme wieder her, ich bin wieder da.
Damals war ich 13 und nichts mehr existiert davon, nicht das Haus, nicht die Eltern, obwohl die noch leben. Damals ist vorbei und jetzt ist jetzt und es gibt keine Anknüpfung, aber es ist doch ein gerader Weg von dort hierher und es ist alles ganz recht.
Viele Vögel fliegen herum. Ich schreibe meine restlichen Ansichtskarten.
Hans ist zurück. Die Rad-Rückgabe hat geklappt. Er wurde nur einmal auf Haschisch angeredet.

Abends. Das Geld aus Wien vom dortigen Reisebüro für unser Hotel ist eingetroffen. Es kam per Post. Daß es solange dauerte, war schon lästig, weil uns die Herren der Rezeption immer wieder darauf anredeten.
Was war heute? So viel! Wir fuhren mit dem Taxi nach Dakshin Kali, Pharping, Chobar und Kirtipur.
Wir bestellten den Aufenthalt in Nagarkot an der Rezeption, wechselten Geld und orderten ein Taxi. Das Taxi war blau, kleiner als das letzte und der Taxichauffeur ein junger dünner Mann, kein Charmeur. Aber der Weg war sehr mühsam für ihn.
Die lieblichste Landschaft, aber eine sehr schlechte Straße. Dakshin Kali liegt 20 km südlich von Kathmandu. Raps blüht, grünes Gemüse. Wie in Wellen plätschert die terrassierte Landschaft an die Hänge. Viele immergrüne Bäume, riesige Bambusse und Pipalbäume und zart auskeimende weiß blühende bizarr geformte Obstbäume, Mandeln und Pfirsiche, die hellrosa blühen und gelbe Blüten an den Hecken, von denen ich beobachtete, wie Kinder diese Blüten pflückten. Ich glaube, für die Blumenketten, die sie opfern. Ich kaufte eine bei netten Mädchen um 10 Rupien oder so und gelbe und orange Fäden, ich weiß gar nicht, wofür die sind, Hans sagt, er habe eine Frau gesehen, die solche Fäden in den Zopf geflochten hatte.
Die Mädchen in Dakshin Kali verkauften mir auch Räucherstäbchen.
Und so viele Vögel gibt es hier. Elstern. Winzige Stare, Häher, Raben, Greifvögel, diverseste Arten. In der Ferne sahen wir auch einen bunten Schmetterling davonfliegen.

Bei Chobar
Wir fuhren also über Swayambunath, passierten ein ziemlich neues Spital und einen sehr großen Exerzierplatz, auf dem mit gespreizten Beinen Soldaten standen, lauter grüne kleine Figuren. Dann über den Bagmati, Richtung Dakshin Kali. Der Taxifahrer bestimmte: "First to the Pass". An einem Zementwerk bei Chobar vorbei. Eine Bergstraße. Kurvenreich, voller Löcher, staubig. Schöne Aussichten tauchten auf. Der Bagmati von oben fast blau im Grün und Gelb der Landschaft, bei Chobar floß er durch eine kleine Schlucht. Ziegeleien, viele Leute, die Steine klopfen. Die sitzen auf dem Boden, Frauen neben der Straße, und zerklopfen größere Steine mit einem Hammer, bis sie zerfallen. Beim Heimfahren fuhren wir eine Weile hinter einem Laster her, der dieses Material geladen hatte.
Wir passierten kleine Siedlungen, auch einen kleinen See. Ziegelhäuschen, zum Teil mit Strohdächern, direkt neben der Straße, Ziegen stehen dabei, Kinder, elende Häuschen, aber die Leute wirken wieder zufrieden. Ganze Familien sitzen im Schatten davor. Oder stehen am Tor. Ein fescher Nepali lehnt in blütenweißer Hose im Türrahmen. Hühner laufen herum. Auch Kühe gibt es, die offenbar geweidet werden. Bei den Ziegen dachte ich, ob die für die Opferung in Dakshin Kali bestimmt sind?
In den Orten auch Geschäfte. Viele Leute lachen freundlich zum Auto, manche schauen finster, andere neugierig, andere unbeteiligt. Auf den Häusern sehr oft Sonnen gezeichnet, ab und zu auch Bäume, mir kommt vor, vor allem in Pharping.
Und es steht zum Beispiel "Vote the sun", "Vote the tree". Ich glaube, der Baum ist das Symbol des zerfallenen uneinigen Nepalesischen Kongreßpartei (siehe zum Beispiel heutige Kathmandu Post) und die Sonne ist das Symbol der Kommunisten.
Wir fuhren und fuhren und bewunderten die Landschaft und machten die Fenster auf und zu nach Maßgabe des Dieselgehaltes der Luft und des Staubanfalls. Wir begegneten etlichen Autobussen, die genauso ausschauten wie in den Reiseführern beschrieben. Sogar auf dem Dach drängten sich Massen von Menschen. Die Fahrt dauerte ein bis zwei Stunden.

Bei Pharping, oder vielleicht schon früher, verengte sich das Tal fast zur Schlucht. Vorher passierten wir einen Steinbruch und Hänge, die aufgeforstet ausschauten. Mit Kiefern. Alles sehr stark erodiert. Man hatte den Eindruck, der Boden sei aus getrocknetem Lehm. Es gab jetzt viele Kiefern. Auch Lärchen haben wir gesehen.
Bei Pharping ein großes Gebäude am Hang - ein tibetanisch-buddhistisches Kloster. Und ein Tempel. Der hing bunt bemalt, rot und gelb, auf dem Hang.
Dakshin Kali
Der Chauffeur sagte, wir würden diese Stätten bei der Rückfahrt besuchen. Schließlich war die Straße zu Ende. Es gab einige leere Parkplätze. "Hier sind wir!"
Das war nun Dakshin Kali, wie im Baedeker steht, das wichtigste der Heiligtümer, die der mächtigen und schrecklichen Göttin Kali geweiht ist. (Kali scheint mir sehr verwandt der Göttin unseres Hotels, Vajra Jogini). Wir stiegen aus. Links die Stufen hinunter zu einem Gewässer, hier fließen zwei Flüsse zusammen, Betonterrassen. Am Ende der kleinen Schlucht der Tempel mit dem Kultbild der Göttin aus schwarzem Stein unter einem Baldachin aus vier vergoldeten Schlangen. Kali hockt auf einem Leichnam und hält in ihren Händen einen Schädelbecher, einen abgetrennten Kopf und ein Schwert. Da ich wußte, daß Kali heute Tiere geopfert werden, näherte ich mich vorsichtig. Bald sah ich wirklich ein totes Huhn und einen Mann, der einen abgehackten Ziegenkopf in der Hand hielt und den Rest einer schwarzen Ziege hinter sich herschleppte.

Becare of pickpocket - Dakshin Kali
Das Areal wirkte ansonsten ziemlich ausgestorben. Ein Schild "Becare of pick pocket" mit Mengen von Pickpockets darauf gemalt, die den Leuten das Geld aus der Tasche stehlen, erheiterte uns. Eine Einbahnregelung beim Stiegenabgang und Aufgang deutete ebenfalls darauf hin, dass sich hier manchmal Menschenmassen drängen - im Jahr rund 400 000 Pilger. Heute eine einzige alte Bettlerin auf der Stufe, die Hans gleich mal befriedigte. Schuhausziehplätze, falls man den Tempel betreten wollte, was uns als "Heiden" untersagt war. Wir begaben uns auf die "Touristenterrasse", wo wir die einzigen Touristen waren.
Am anderen Ende des Areals war ein Platz, auf dem die toten Tiere zum Essen vorbereitet wurden - zum Braten? Denn nach der rituellen Opfertod des Tieres folgte ein Familienpicknick. Bis vor kurzem seien der Göttin noch Menschenopfer dargebracht worden, behauptet der Baedeker. Ein Hühnchen wurde gerade von einem Mann gerupft. Immer wieder ertönte ein Gong. Hans vermutete, daß gleichzeitig jeweils ein Tierchen sein Leben lassen mußte.
Ich bemühte mich, so wenig wie möglich dieser Vorgänge zu sehen und weiß daher auch nicht, wie es dort wirklich zuging.
Wir spazierten um die ganze Anlage herum und schauten von hinten herunter auf das Heiligtum mit Kali unter ihrem Baldachin, einem Mann, der laufend mit einem Wasserschlauch das Blut wegspritzte und einen anderen Mann, der Leuten lachend etwas erklärte.
Gut, Hühner und Ziegen werden bei uns auch getötet, ohne Kali. Der Glaube an Kali hat den Vorteil, daß die Göttin dadurch befriedigt wird. Die Tiere müssen männlich und jung sein, und dafür tut Kali alles, sie vergibt sogar Sünden.
Wir spazierten weiter zu einem Tempelchen auf einem Gipfel hinter dem großen Tempel, die Stufen keuchten wir gemeinsam mit einer jungen Familie hinauf. Oben waren auch ein paar Leute. Wir durften auch diese Opferstätte nicht betreten, auch nicht fotographieren. Wir fotograpierten aber den Ausblick, gelbgrüne Hänge, weiße Wolken, blauer Himmel und prächtige schimmernde Kiefernnadeln, wir fotographierten uns und fanden heraus, daß hier die berühmten Rhododendren wachsen, aber keine Spur von Knospen oder gar Blüten zu sehen!
Wir kletterten noch weiter hinauf. Hans sah eine Leitung mit vermutlich heiligem Wasser, an dem sich ein nackter Mann wusch. Mit Lendentuch bekleidet.
Devotionalienhändlerinnen in Dakshin Kali
Auf der Einbahnregelung zum Ausgang kamen wir zu den Verkaufsstandeln, wie es bei uns ebenfalls üblich ist. Hans sagt, dort habe es allerhand "Frittiertes" gegeben, ein Mann schälte sehr viele Erdäpfel. Andere brieten brezelartige Dinge heraus, so Art Krapfen oder gebackene Mäuse gab es auch. Die Pfannen groß und voll schwarzem Öl. Ich fragte mich, wie krank wir würden, wenn wir so etwas äßen. Hunde gab es natürlich auch. Schließlich gelangten wir zu den Standeln mit den bunten Blumenkränzen und Schnüren. Der Taxifahrer wand einen Blumenkranz um die vordere Nummerntafel.

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