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Das weisse Haus Gol Baithak

28.2.1995 Kathmandu


Ruthi und Ursi mit ihrem Papa
Es ist nichts mehr übrig von der Zeit damals, außer eben in der Erinnerung. Und die ist ja so ungewiß, Vielleicht nicht wahr. Jedenfalls nicht so richtig wahr. Was in der Realität keine Bestätigung findet, existiert fast nicht. Existiert gar nicht. Völserstraße 51 - heißt Innrain 115 und schaut so anders aus als in meiner Kinderzeit wie Kathmandu anders aussieht als 1958. Vielleicht steht "das Haus" sogar noch, eingeklemmt zwischen Beton- und Ziegelwohnhäusern. Eher aber nicht. Ein Haus der Familie Rana war vielleicht schon 1958 alt. Vielleicht wurde es abgerissen.Jedenfalls irrwitzig, danach zu suchen. Das Hotel Yak und Yeti, damals Royal-Hotel. War es nicht im Stil des Singha Durbar? Auch davon ist nichts mehr da.
Heute blieb ich im Bett. Hans mit mir. Ich habe Verstopfung und Kopfweh, Fußweh, Übelkeit. Aber nicht so arg. Ich fühle mich schlapp. Aber jetzt geht es mir ganz gut. Ich duschte gerade. Es ist gegen zehn Uhr. Ich habe Kohletabletten und Guttalax genommen, ich müßte schon platzen. Tue es aber nicht. Es tut mir natürlich leid, den Tag so zu vergeuden. Aber es ist so schmutzig draußen. Ich glaube, mir verursacht Übelkeit, wie die Leute hier leben.
Im "Turm", in dem wir schlafen, hört man die ganze Nacht die Wächter leise plaudern. Es ist nie wirklich still.
Gestern sprach ein Salzburger von Parties. Mir fiel ein, daß ich hier zum ersten Mal das Wort "Party" kennengelernt habe und daß Mutti nie auf die Parties gehen wollte, zu denen sie und Papa eingeladen waren.
Man kann an Vergangenheit nicht anknüpfen. Ich muß die Vergangenheit meines Lebens von mir abstreifen und ohne Verknüpfung mit ihr leben. Leicht ist das nicht. Manche Menschen brauchen die Verbindung zur Vergangenheit nicht. Aber auf irgendeine Weise lernt sicher jeder den Wunsch kennen, sich mit dem eigenen Vergangenen zu vereinen, oder zu versöhnen.

Die Deutschen aus Düsseldorf sind schon wieder in New Dheli. Die Frau verabschiedete sich. Wir haben zusammen geredet und wissen gegenseitig nicht einmal, wie wir heißen. Er war Arzt und Forscher, sie Krankengymnastin und nicht berufstätig. Zwei Kinder, ein Sohn 29 und eine Tochter, 30. Die wollen keine Kinder. Vorgestern erzählten wir uns viel.
Bairav
Die Menschen hier sind so dunkel wie die Gassen von Kathmandu. Dunkle Haut, wirklich blauschwarze Haare, glänzende dunkle Augen. Sie haben Charme. Sie sind hübsch und viele glitzern mit ihren Augen. Aber wie die leben! Das ist mir von Grund auf unvorstellbar und auch zuwider. Aber ich ermahne mich, ich soll nicht werten. Die sauberen Mitteleuropäer in ihren gemäßigten Regionen und mit ihrer menschenfreundichen christlichen Religion haben vor nicht allzu langer Zeit Millionen Menschen gut organisiert und sauber umgebracht.
Hier wimmelt der Götterhimmel von Blut und Eingeweiden und Totenköpfen. Vajra Yogini, Bhairab etc. Menschenopfer sind nicht lange her. Tieropfer heute noch die Regel. Alles erstickt im Dreck und Abfall. Die Leute sitzen mitten drin. Es ist einfach anders! Aber daß die Leute so strahlendäugig und hübsch sich mitten drin befinden, das ist mir das Unerklärliche.
Grüne Umgebung, weiße Berge, ein gemäßigtes Klima. Warum sind die Menschen hier so arm? Warum sind sie so krank? Warum ist hier alles so schmutzig? Ich verstehe das nicht.

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