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Das weisse Haus Gol Baithak

1.3.1995, beim Juwelier und im Hanuman Dhoka


Hanuman Dhoka
Schöne Bilder an den Wänden des Restaurants. An den Säulen, an denen die runden Tische stehen, hängen böse Göttinnen wie die schreckliche Vajra, Riesenbusen, die Vagina mit spitzer Klitoris geöffnet, ein Röckchen aus Spinnweben, den Donnerkeil in der Hand und 51 Totenköpfe an ihrer Kette.
Jetzt ist es abends, Nacht schon. Heute fiel häufig der Strom aus. Bereits zur Frühstückszeit. Dann vormittags als wir in der deutschen Bakery Tee tranken, nur damit ich dort aus Klo gehen könnte. Es wurde stockfinster. Ich mußte meine Augen erst an das Dunkel gewöhnen, damit ich nicht in das Kloloch stieg. Als ich fertig war, ging das Licht an.
Jetzt verschwand das Licht, als die Sonne unterging, als es dunkel wurde, als die Sterne aufleuchteten. Heute ist es sehr klar.
So, jetzt haben wir unser Essen bestellt, jetzt kann ich in Ruhe schreiben. Indische Musik im Hintergrund. Kerzen auf jedem Tisch. Rote Tischtücher, Kellner in schwarzen Hosen, roten Hemden und dunkelroten Gilets. Die Zimmerfrauen tragen rote Saris und schwarze Umhängetücher.

Hans hatte heute Durchfall. Als die Zimmerfrau aufräumen wollte, verließen wir trotzdem das Hotel. Schon in der Früh um acht Uhr waren die Berge zu sehen. Es war hell und der Himmel war wunderbar blau. Zuerst blieben wir beim Schalhändler in der Nähe hängen, der, so hat der deutsche Doktor erzählt, hier eine kleine Fabrik besitzt. Wir ließen uns die schönsten Schals zeigen, aus Schafwolle, die sind ganz billig, aus Wolle der Himalya-goat, die sind teurer, aus Seide am teuersten. Die seidenen kosten zirka 3500 Rupies, die von der Himalaya-goat 700 und die wir nahmen, drei Wollschals, jeweils 225. Zuerst 250, aber der Händler ließ bei jedem Schal 25 nach. Herrliche Schals, 1x2m groß, um 50 Schilling! Blitzblau, flaschengrün, schwarz mit appliziertem tibetanischen Muster in gelb, grün und rot. Der Verkäufer, vielleicht der Besitzer, ein netter älterer Mann. Der Seidenschal war sehr schön. Ich sagte aber, ich müsse diesen Kauf überdenken.

Unser Turmzimmer im Vajra
Die Deutschperserin, Angelika, Ärztin, sagte heute zu mir: "Wieso haben Sie solche Ringe unter den Augen, Sie schauen ja total fertig aus!" Und den Swami, der ihr die Zukunft voraussagen wollte, ließ sie lautstark abblitzen. Sie war mit dem Rad in Bungamati, dort soll es sehr schön gewesen sein. Als ich im Turmgemach saß, Hansi leidend im Bett, klopfte es. Ein Boy fragte, ob wir heute "leave"en. Wir haben vor einigen Tagen schon ausgemacht, daß wir bis zum 13. hierbleiben. Der Chef, oder der, den wir dafür halten, hatte "No problem" gesagt. Jedenfalls marschierte ich hinunter. Der Rezeptionist telefonierte gerade. Zwischendurch fragte er: "Do you leave today?" Ich wiederholte meinen Spruch. Er: "Please tell my collegue!" Er reichte mir den Telefonhörer. Ich wiederholte am Telefon, daß wir bereits ausgemacht hätten, bis zum 13. zu bleiben.
"No problem Maam, no problem Maam", beschwichtigte der Mann am Telefon. Ich schlug vor, aufzuschreiben, daß wir hier bleiben wollten. Den Vorschlag nahm der Mann in der Rezeption nicht auf. Er ließ aber mich auf einen Zettel "Zwei Tage Nagarkot" aufschreiben, den er annahm. Ich schrieb: "Linhart, Hauer, until March 13th, 7th and 8th Nagarkot." Er quittierte mein Insistieren nicht sehr verständnisvoll, aber dezent. Später, beim Weggehen, fragte ich nochmals, ob alles ok sei, worauf er meinte "Ja". Hoffentlich ist das so. Angelika ist heute in Nagarkot, die hat es wettermäßig sehr gut getroffen.

Mit den drei Schals, die kaum etwas wiegen, gingen wir weiter in den Thamel. Ich schaute in alle Juwelengeschäfte, wegen Ohrschmuck mit Granaten und einen Zitrin für Brixi. Ich fand auch bald kleine Ohrstecker um 80 Rupien oder so. Gegenüber, beim Juwelier, zog es uns hinein. Hier wurden wir auf Hocker gebeten, Scheinwerfer wurden auf die Edelsteine gerichtet, der Juwelier, ein jüngerer Mann in dunkelblauem Sakko und Krawatte, und sein Gehilfe, der neben ihm stand, während er saß, legten diverse Steine auf ein weißes Tuch, das sie ausgebreitet hatten. Zuerst einige blasse, aber sehr schöne Zitrine. Dann intensiv gefärbtere, dann honigfarbene, diese seien nicht Zitrine, sondern echte Topase, während "golden Topas", die helleren,die Zitrine seien. Alle Steine aus Nepal. Die Farbe wie Bernstein, aber wasserklar und blitzend und glitzernd wie Feuer. Am schönsten und teuersten waren die am intensivsten gefärbten. Ich wollte die Preise wissen. Der Juwelier wollte, daß wir zuerst die Steine in ihrer unterschiedlichen Schönheit bewunderten. Der Preis gehe nach Karat, nach Gewicht. Der Gehilfe war dazu da, die Steinchen abzuwiegen. Der Juwelier ließ mich die schönsten auf meiner Hand plazieren, wo sie besonders leuchteten. Der Grad des Leuchtens hängt vom Schliff ab. Nepalesische Steine, handgeschnitten, handgeschliffen. Er fragte auch, ob wir etwas trinken wollten. Ob wir zum ersten Mal in Nepal seien. Nein, zum zweiten Mal. "Do you like it?" Zum ersten Mal war ich hier vor 35 Jahren. Das kann niemand begreifen. Das ist zu lang. Ein Menschenalter!
Gut - wir nehmen den größeren hellen Zitrin. Bei den ganz großen honigfarbenen und vielfältig geschliffenen und besonders blitzenden fragten wir gar nicht nach dem Preis. Aber dann holte der Juwelier noch einen weiteren länglichen, ziemlichschön geschliffenen Zitrin heraus.
Während wir diese Kaufgespräche führten, zeigte er uns auch Amethyste, Turmaline, Aquamarine, Rubine, Smaragde. Mondsteine aus Südindien, Lapis Lazuli aus Afganistan und zierliche Anhänger aus Silber und winzigen Splittern von allen diesen Steinen.
Zu den blitzenden Amethysten und anderen herrlichen Steinen schlug er jeweils vor, für welches Schmuckstück sie geeignet seien und betonte, um wieviel teurer sie jeweils in Europa wären. Am meisten empfahl er mir einen kleinen wasserfarbenen Aquamarin. Die seien bei uns zehn mal so teuer und hier besonders schön. Die Rubine sind hellrot in Nepal. Und die Turmaline haben alle Farben von rosa bis grün, am wertvollsten seien die rosaroten. Wir entschieden uns für den zum Schluss gezeigten Zitrin und sagten, wir würden alles andere, auch den Kauf des wasserklaren Aquamarin, überdenken.

Anschließend landeten wir in der German bakery. Und weiter, Auslagen besichtigend. Bald fielen wir in ein Reisebüro hinein- Mountain Voyages. Dort buchten wir einen Himalaya-Flug für übermorgen. In dem Reisebüro, das vergleichsweise feudal war, mit Lederbank, Schreibtisch, einer jungen Dame hinter dem Schreibtisch und einer Menge jüngerer Männer, die zwei Plätze für uns räumten, waren keine Kunden außer uns. Die junge Dame empfahl uns NECON-Air für den Flug. Der junge Mann im Hintergrund assistierte ihr bei der Beantwortung meiner Fragen. Die Maschinen der Royal Nepal Airways werden oft nicht voll und daher storniere die Fluglinie die Flüge. Bei Schlechtwetter würden alle Flüge storniert. Kosten 99 Dollar. Ich denke lieber nicht an den Flug, sonst wird mir flau im Magen.

Jetzt sitzen drei englische Damen neben uns, oder Amerikanerinnen. Wir überlegten gerade, aus welcher Weltrichtung Amerikaner nach Nepal kommen. Eine der ladies sagte gerade: "I like the town, it has got a nice feeling". Hat sie recht? Ja. Und doch ist es so grauslig. Aber die Leute leben hier ganz wohl, sie schauen nicht grantig drein. Ist es doch eine "nice town with nice people"!
Eckpfeiler eine Tempels im Kathmandutal
Nach dem Reisebüro gingen wir weiter in Richtung Altstadt, Richtung Durbar Platz. Eine hübsche Stupa auf einem Platz ohne Geschäfte, aber mit einer Schule und mit einem kleinen Pagodentempel, der sehr bunt angemalt war. Still hier. Sonnig. Und der Pagodentempel hatte, wie andere auch, an den Eckpfeilern Ziegenböcke mit stark erigierten Pimmeln.
Steckenbleiben im Verkehr, besonders vor Plätzen oder in engen Gassen, wenn zwei Autos in verschiedener Richtung aufeinander treffen. Keiner fährt retour, sie pressen sich auf Teufel komm raus aneinander vorbei und wenn sie fast in ein Geschäft hineinfahren, das sich offen direkt neben der Straße befindet. Das dauert. Da steckt alles. Auf beiden Seiten hinter den Autos Räder, Motorbikes, Fußgänger, Fugänger mit schweren Lasten, Träger. Die versuchen alle, durchzukommen. Irgendwie löst sich der Knäuel und man ist wahrscheinlich bis in den Darm voll Auspuffdreck.

Wadschra aus Bergkristall
Wir gingen ein Stück des Weges zurück, um in einem Geschäft nach einem Kristall-Vajra zu fragen, der Hans so gut gefallen hat. Vajra ist auch ein Donnerkeil. Wieder wurden wir eingeladen, uns zu setzen. Zwei Männer und ein Dritter waren außer uns in dem winzigen Laden. Sie zeigen uns die Vajras. Die werden wie die Edelsteine nach ihrem Gewicht berechnet. Der größte kostet zirka 3000 Schilling, der kleinste zirka 500. Der wurde genommen. Frage, woher wir seien. "Austria". "Osutoria?" fragt einer der Männer. Das klingt japanisch. Tatsächlich, der Herr ist Japaner. Große Freude seinerseits, weil ich japanisch kann. Ich freue mich auch. Er sagt, er sei ein Tourist. Ich glaube, er kauft hier billig Schmuck für das teure Japan. "Nihon wa takai desu! (Japan ist teuer)". "Kobe wa dame deshita, taihen desu ne! (Kobe ist zerstört, furchtbar, nicht wahr). Alle im Laden freuten sich mit und wir erhielten eine Visitkarte des Eigentümers. Hans freut sich über sein Vajra.
Danach ging es an meinen Lieblingsstoffgeschäften vorbei zum Durbar-Platz. Die Architekturgeschichte der Tempel und Paläste reicht in die Zeit der Malla-Könige, die vom 13. bis ins 18. Jahrhundert im Kathmandutal herrschten und den drei Königsstädten Kathmandu, Patan und Bhaktapur ihren Stempel aufdrückten. Nach Hanuman, dem Affengott, der wegen seiner Stärke zur Schutzgottheit der Malla-Könige wurde, ist der Hanuman Dhoka-Palast benannt. Heute in klarstem Licht. Wir gingen hinein, nur zehn Rupien Eintrittsgebühr. Stiegen auf den Turm mit den vielen Schnitzereien. Alle Pagodendächer dieses Palastes sind mit Glöckchen umkränzt, und die bimmelten bei jedem Windzug. Die Schnitzereien der Fenstergitter, der Türen, Balkone, Fensterstöcke sind filigran und zierlich. Motive sind Götterfiguren, Tiere, Dämonen und Erotika. Querstreifen aus hölzernen Schnitzereien, die sich als Schlangen erweisen, ziehen vertikal durch die Ziegelwände. Wir erklettern eine schmale Treppe. Die hölzernen Fenstergitter stehen in einem 30-Grad-Winkel vom Gebäude ab. Oben wären sie senkrecht gewesen, sagt Hans. Diese durchbrochenen Fenstergitter allein sind schon märchenhaft. Man ahnt dahinter die Stadt, die Berge. Durch offene Fenster dann der Blick auf schneeweiße Gipfel.
Viele Nepali, oder Inder, vielleicht Shiva-Ratri-Pilger, ganze Familien, stiegen dort hinauf. Dagegen wenig Europäer. Die Frauen im Sari, alte Frauen vorsichtig, oft gestützt von jungen Frauen. Oben ein zauberhafter Blick in alle vier Himmelsrichtungen, durch die aufgeklappten Luken des durchbrochenen Mauerwerks. Im Süden der Basantpur-Platz, dahinter die Häuser mit den Dachterrassen, entfernter die "hills", schließlich Swayabunath in der Nachmittagssonne. Im Norden der Himalaya. Sehr sehr schön. Zum Glücklichsein.
Im ersten Stock das King Mahendra Memorial Museum. König Mahendra Bir Bikram Sha Deva, der Vater des jetzigen Königs, herrschte 1958, als unsere Familie in Nepal war. Damals habe ich seinen Namen auswendig gelernt. In dem Museum befinden sich zum Beispiel alle Jagdtrophäen des "late king". Hans sagt, er habe den Satz gelesen: "Es ist eine größere Sünde, seine eigene Moralität abzutöten, als Tiere zu töten." In Westdeutschland hat König Mahendra angeblich einen Braunbären erlegt.

Dann ein Abstecher auf die Treppen des Shiva-Tempels. Dort besuchte uns ein Masseur und ein Schuhputzer bzw. Schuster. Aber Hans hatte schon im Thamel Buben seine Schuhe reinigen lassen und sich aufgeregt, weil der Bursche 200 Rupien dafür haben wollte. Nach einem heftigen Wortwechsel zahlte Hans 90 und weitere 100 Rupien für Einlagen (weder das Schuheputzen noch die Einlagen wollte er eigentlich).
Der Masseur, pockennarbig, und der Schuster zeigten uns abgegriffene Notizblöcke mit Empfehlungen, handgeschrieben, auf Deutsch. Unter anderem, daß der Schuster der beste von Kathmandu sei! Wir sagten, daß man Hans für das Schuheputzen heute schon 200 Rupien abgenommen habe. Und die Schuhe seien scheinbar noch immer nicht sauber und gar kaputt. Der Schuster antwortete, der Bursche im Thamel sei sicher ein Inder gewesen, sozusagen, kein Wunder, daß das ein Gauner war. Wir unterhielten uns recht amikal.

Heimweg, Verkehrsstau. Und zu Hause, im Hotel Vajra, Jause im Garten mit Blick auf die Berge im Abendlicht von der Dachterrasse aus. Das war auch ein Erlebnis. Vom Ganesh-himal bis Mount Everest. Ketten, Spitzen, Massive, unwirklich blitzend in rosa und weiß.
Nun ist es schon bald 1/2 11 Uhr. Wir sollten schlafen gehen. Mein "buttered rum" ist da.

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