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Das weisse Haus Gol Baithak

27.2.1995, Shiva Ratri Fest


Sichel und Hammer
Ein langer langer Zug bunt gekleideter Frauen und meist dunkelgekleideter Männer stand mehr wartend als daß er sich bewegte. 100 000 sollen es sein, die aus Nepal und Indien zu Shiva Ratri nach Pashupathinath kommen. Ich weiß nicht, wieviele Leute. Wir haben das Shiva Ratri-Fest in Pashupatinath erlebt. Es war sehr beeindruckend. Der Pashupatinath-Tempel liegt im Westen von Kathmandu am Bagmati und ist der bedeutendste Hinduschrein Nepals und eines der wichtigsten Shiva-Heiligtümer am gesamten indischen Subkontinent.
Großer Feiertag. Die Sonne schien warm. Kaum Nebel. Aber auch keine hohen Berge zu sehen. Den ganzen Tag blauer Himmel und schöne Wolken. Aber keine Berge.

Leider ist uns ein bißchen schlecht. Auch jetzt noch, nach dem Essen. Das Restaurant des Hotels ist so voll wie noch nie.

Das Frühstück wie gestern, Milch, Müsli, Joghourt. Vielleicht mag der Magen das nicht.
Dann lieh Angelika, die junge Ärztin, Hans das Mountainbike. Er fuhr nach Swayambunath. Heute war es üblich, daß Kinder einen Strick über die Straße spannen und man sich quasi freikaufen muß. Hansi in Swayambunath gab einem Kind fünfzig Rupien, worauf sie ihn mit dem Strick umkreisten, sodaß er fast nicht mehr ausgekommen wäre. Auch sonst gibt er dauernd den Bettlern was, während ich "No, no" sage.
Mit dem Taxi fuhren wir nicht durch die Stadt, sondern über Swayambunath auf der Ring Road. "Wegen der Kinder", sagte der Taxifahrer. Er hatte ein schönes altes weißes Auto, mit Teppichen ausgestattet. Hans vermutet, ein englisches Lizenzprodukt aus indischer Fertigung. Er fuhr haarsträubend. Hans am Lenkrad ist ein sanftes Lamm dagegen. Bei Pashupatinath ließ uns der Taxifahrer auf der Straße außerhalb des Tempelbezirkes aussteigen. Zuerst erkletterten wir wie andere einen Hügel. Gestank zum Erbrechen. Ein Scheißhügel. Zu unseren Füßen eine Prozession von hunderten oder tausenden Pilgern und Pilgerinnen.
Nach der Legende soll Gott Shiva sich einst hier, in eine Gazelle verwandelt, vergnügt haben. Andere Götter ergriffen sein Horn, damit er sich in seiner göttlichen Gestalt zeige. Aber die Gazelle entsprang und ließ das Horn in den Händen der Verfolger zurück. Das Horn nahm die Form des Lingam an, das als Sympol Shivas verehrt wird. Er wacht seither am Ufer des Bagmati als Pashupati über alle Kreaturen. Und wer auch immer ihn hier verehrt, ob Mensch oder Tier, wird aus dem Kreislauf der tierischen Wiedergeburten erlöst.
Wir bewegten uns vorerst auf den kahlen Hügeln rund um Pashupatinath. Hier lagerten und standen und gingen oder liefen hin und her Frauen, Kinder, viele junge Leute. Händler mit Kokosnüssen und Erdnüssen, mit Eiscreme und duftenden Mandarinen. Vor einer Treppe, die nach unten zum Fluß und wahrscheinlich in Richtung Heiligtum führt, standen 2, 3, 4 Soldaten oder Polizisten. Dunkelblau gekleidet. Man erspähte von hier aus die goldenen Dächer des Haupttempels und die weißen Stupas und anderen Türme, die Stiegen und Wege mit den unzähligen Gläubigen. Man roch die verschiedenen scharfen und süßen Gerüche, nach Shit und Scheiße, Leichenverbrennungsgeruch. Und vor allem tönte es. Denn die tausenden Menschen beteten, litaneiartig, immer dasselbe, wie eine priesterliche Musik, einen Rosenkranz. Ich werde unseren Arzt fragen, welche Worte sie sangen, vielleicht weiß er es. Dazwischen und darüber Worte aus Lautsprechern. Die schienen Diverses anzukündigen. Swami sowieso. Der König soll ja auch an der Feier teilgenommen haben. Vier Hubschrauber flogen über uns. "Vielleicht war das der König".
Ghats am Bagmati bei Pashupatinath
Hanuman, Pashupatinath
Wir entschieden uns, nicht den Hang neben der Treppe Richtung Tempel hinunterzusteigen, sondern wezugehen. Aber dann stießen wir hinter einer Wegbiegung auf den Bagmati, eine Brücke, Ghats, einen anderen Tempel, auf den Gott Hanuman, rot beschüttet, rot angezogen. Leute, die sich hier wuschen. Und wir merkten, daß wir auf diesem Weg zu den Terrassen gegenüber dem weitläufigen Tempelbezirk von Pashupatinath kamen. Es war warm. Die Luft mild. Die Leute bewegten sich langsam und friedlich. Man wich einander aus. Es ging auf und ab auf dem trockenen Boden zwischen lockeren Bäumen. Alles eingehüllt in das Singen der Pilger. Wir stiegen über die Terrassen, von denen weiße Stufen zum Fluß abfallen, zum Ufer. Von dort sah man am anderen Ufer das Tor des Tempels, zu dem die Pilger zogen. An sich darf man als Nicht-Hindu bis dorthin. Darum gingen wir immer ein bißchen weiter. Einige andere Ausländer auch, aber nicht viele.
Sadhu oder Yogi
Wir folgten den Leuten in einen Hof, in dem Shivaiten lagerten, saßen. Yogis und Saddhus. Die rauchen sich angeblich dort ein. Viele waren dort. In jeder Nische ein paar, manche auch einzeln. Im Gedränge über weitere weiße Stiegen hinunter. Dann am Wasser. Hier am Boden und an Tischchen Händler und Händlerinnen. Blumenketten, Glasketten, vielleicht Gewürzketten. Sehr sehr bunt. Das Wasser schmutzig. Gegenüber waren zwei Leute damit beschäftigt, den Abfall in den Fluß zu kehren. An einem sehr schmalen Vorsprung einer der beiden Brücken standen zwei Buben, die sich dort im Wasser befindliche Opfergaben heraus angelten. Auf den Verbrennungsplätzen qualmte ein leicht angesengter Toter und einer, der schon ziemlich zerbröselt war. Auf unserer Seite plantschten zwei Buben ins Wasser und schwammen munter herum. Eine Frau saß auf den Stufen und wusch sich die Füße. Ein Mann füllte in eine Messingschüssel Wasser, spülte sich den Mund aus und bearbeitete seine Zähne gleichzeitig mit einem Zahnstocher. Sonne, Gesang, das Warten der Pilger. Das lockere Herumtreiben der anderen Leute, die Zurschaustellung der Saddhus und Yogis. Die bunten Waren. Die lustigen Kinder. Das Klo, das öffentliche, konnte ich leider nicht benützen. Dank dicker Spinnweben.
Händlerinnen
Wir fotographierten. Saßen iauf den Stufen. Beobachteten die nächste Händlerin, die mit einheimischen Leuten plauderte, mit lachenden glänzenden schwarzen Augen. Dann gingen wir langsam den Weg, den wir gekommen waren, zurück. Nochmals durch den Hof mit den Yogis. Auch eine School for Orphans war hier. Auf der oberen Terrasse lehnten wir uns nochmals an die weiße Brüstung, nochmals ein Blick zurück, auf die Saris, die leuchtenden Tempeldächer, das reine Weiß der Gebäude. Einatmen des Geruch, Lauschen auf die Geräusche. Ich schloß immer wieder die Augen. Da klang alles plötzlich irgendwie hysterischer. Ab und zu tönte eine heftige Stimme aus dem monotonen Einerlei.

Wir gingen zu Fuß zurück. Unser Doktor sagte, er, bzw. er und seine Frau, seien mit ihrer Rikscha ganz knapp an uns vorbeigefahren. Zirka eine Stunde trotteten wir den Weg, den wir vom Flughafen zum Hotel gefahren waren. Sehr viel Staub und Abgase. Wieder Geschäfte. Schneider, Stoffgeschäfte, Garküchen. In kleinen Löchern, ein bißchen geräumigeren Läden, im Freien, am Boden. Eine Schneiderei unter einem Ficus oder Pipalbaum, Kühe, die niemand beachtet, Hunde, die niemand beachtet. Cafe Annapurna. Tee und Klo. Zurück durch die Altstadt. In einer Buchhandlung kauften wir "Tiger for breakfast" über Boris L., den Besitzer des Royal Hotel und ein "Account of Gods and Godesses in Nepal". Zurück im Hotel lag ich zwei Stunden. Mir ist, wie man so sagt, nicht ganz koscher zumute. Morgen daher kein Programm.

In der Zeitung stand, daß im Pokhara-Gebiet ein Tiger einen Mann angefallen hat, andere diesen Tiger mit Kukris und Stöcken töteten und der Tiger anschließend dem District Forest Office übergeben worden sei.

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