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Das weisse Haus Gol Baithak

26.2.1995 Suche nach dem "weißen Haus"


Sichel und Hammer
In der Gegend der Ziegeleien von Godavari und Patan sehr oft Sichel und Hammer auf den Geschäften und auch eingebrannt in die Hügel. Hans fotographierte das, und der Fahrer lächelte etwas verlegen. "There are many communists?" "Yes".
Nachts. Nach 11 Uhr. Heute saßen wir wieder mit den Deutschen zusammen und redeten über alles Mögliche, so schrieb ich noch nicht. Obwohl es viel zu schreiben gäbe.

Wir, suchten "unser " Haus, in dem wir, meine Schwester und meine Eltern, im Jahr 1958 fast sechs Monate wohnten. Und fanden es nicht. Alles verbaut. Hügel auf. Hügel ab. Häuser, Wohnhäuser mit Innenhöfen, in denen Leute sitzen, auf dem Boden, Frauen im Sari, Kinder, alte Leute, Männer.
Wir verließen um zirka 11 Uhr das Hotel. Ich wollte zuerst eine Sonnenbrille kaufen. An der Brücke war ein Gottesdienst beim Indra-Tempel. Mit Musik. So Art Alphörnern. Wir fotographierten die prächtigen Lastautos, mit schönen Bildern und Girlanden und Texten verziert.
Hanuman, Pashupatinath
Im Thamel gab es keine Brillen. Auch keine "Kathmandu-Post". Schließlich fanden wir in der New Road doch ein Brillengeschäft. Ich kaufte eine italienische Brille, die mir ein älterer Mann in weißem Kleid stumm zeigte. Dann waren wir Tee trinken im Restaurant des Plaza-Hotels. Auf dem Dach mit Blick auf den Durbar-Platz, die Pagoden und bis nach Swayanbunath. Die Schalen waren nass, das heißt der Konsum des Wassers, den wir hier absolut nicht trinken sollen, war unvermeidlich. Nasse Schalen!!! Gute Frühlingsrolle.
Weiter stießen wir in den Süden der Stadt vor, wo ich unser Haus vermute. Gemüsemarkt, Fischmarkt, Fleischmarkt. Bhimsen Tower. Von dort aus wollten wir die Gegend begutachten. Aber der Eingang war versperrt. Kreuz und quer im südlichen Teil von Kathmandu. In Vierteln ohne Touristen. Nur Einheimische, darum auch eine Mischung aus dem Gefühl, gänzlich deplaziert zu sein und etwas Angst. Schmale Gassen endeten in Sackgassen oder Innenhöfen. Auch die neueren - schon heruntergekommenen Wohnbauten - so wie gestern in Harisiddhi wie große mehrstöckige Bauernhöfe mit Innenhof, wo sich das Leben abspielt.
Morgen ist das große Shiva Ratri-Fest - ab 2 Uhr nachts. Vorbereitungsatmosphäre in der ganzen Stadt, wie bei uns vor Ostern. Oft aufgestellt sind Baldachine, Straßenstücke oder Platzteile sind mit Stellwänden, Paravans abgetrennt. Hans glaubt, es sei heute sauberer gewesen als sonst und es würde wegen Shiva Ratri gekehrt.
Die Leute haben uns wenig beachtet, höchstens ein bißchen neugierig angeschaut, Kinder lachten und sagten manchmal "Hallo". Wieder stellte ich fest, wie herzig die Kinder sind. Die Buben spielen mit kleinen Ringen, die möglichst lange mit Stöcken oder Drähten im Laufen gehalten werden müssen. Ab und zu gab es auch winzige Geschäfte, aber großteils nur Wohnstraßen. Überall die anmutigen Frauen in geschmackvollen Saris. Wir gelangten zu der großen Tripureswar Marg, wo wir schon waren, aber viel weiter westlich. Wir gingen bis dorthin, wo der Vishnumati (oder Bisnumati, die Transkription der nepalesischen Schrift ist vielfältig) mit dem Bagmati zusammenffließt. Brücken bzw. Flußufer sind das Magenerhebendste.
Lepraklinik
(Die junge Ärztin aus Deutschland in unserem Hotel sagt, als sie das erste Mal nach Madras gekommen sei, habe sie auf dem Weg vom Flughafen zur Stadt brechen müssen beim Anblick des Schmutzes).
Hans wollte zu der im Stadtplan eingezeichneten Seilbahn. Sie stellte sich als desolate Materialseilbahn heraus. Ob hier noch etwas in Betrieb ist, war nicht zu sehen. Eisensammler, Blechsammler, Eisenkleinindustrie. Hunde, Büffel, fast nur Männer und Halden mit Stößen von Eisenstücken und Hütten.
Fußgängerbrücke über den Bagmati
Dort passierten wir auch die central leprosy clinic. Ich weigerte mich, weiterzugehen. Erstens aus Frust, weil natürlich von dem weißenweißen Haus der Familie Rana, in dem wir gewohnt hatten, nichts zu sehen war und zweitens wegen der Provokation, die wir darstellen. Wir reichen Westler in dieser offensichtlich besonders armen Gegend. Obwohl wir natürlich schon ziemlich k.o. und verstaubt ausschauten. Der zweite Versuch, an das Ufer des Bagmati zu gelangen, weil wir zwischen den Gebäuden eine Autobrücke, eine andere als vorgestern, durchschimmern gesehen hatten. Zurück auf die breite Straße und gleich wieder weg davon. Unmengen von stinkenden Autos. Die Autobrücke, die auf dem Stadtplan noch gar nicht eingezeichnet ist und daneben die alte Fußgängerbrücke, die Hängebrücke, die schwankte. Ein Meter breit zirka, mit losen Brettern. Über diese Brücke gigngen viele Leute über den Bagmati, hübsch gekleidete Frauen und Kinder, obwohl sonst in dieser Gegend nur Motorradfahrer und junge Männer herumgammelten.

desolate Pagode
Hier stießen wir auf den Pachali Bhairava-Tempel. Das Heiligtum mit einer Pagode in ziemlich desolatem Zustand. Das Flußufer zum Teil mit Stiegen befestigt. Ein Kindchen steckte den nackten Popo auf dem abschüssigen Ufer gegen den Fluß hin und verrichtete seine Verdauungsgeschäfte. Anschließend Ghats. Ich habe den Fluß viel breiter in Erinnerung. Ziemlich ausgetrocknet war er heute. Hier lag kein Müll. Einzelne kleine Heiligtümer reihten sich aneinander. Aber nichts erregte meine Erinnerung. Flußufer, Tempel, auf der anderen Seite des Flusses "Neubauten", wo es früher einmal Reisfelder gegeben hat. Komisches leeres Gefühl.

Ghats am Bagmati bei Pashupatinath
Wir gingen dann durch die Unterstadt zurück bis zur New Road. Zum Hanuman Dhoka-Palast. Dort hat ein Ghurka-Soldat einen Saddhu-ähnlichen Mann niedergeschlagen. Der Alte mit orangem Gewand und weissem wirren Haar hatte sich an irgendeinem Dreckloch zu schaffen gemacht und der Polizist verwies ihn von dort. Letztes Mal war zirka an derselben Stelle der Schlangenbeschwörer aufgetaucht. Wir wurden heute weniger angestänkert. Obwohl Leben und Treiben hier war. Ich fotographierte ziemlich blindlings den Bhairab, Shiva und Parvati und darunter zwei Kinder, die mit entblößten Geschlechtsteilchen dasaßen. Hans machte mich darauf aufmerksam. Shiva und Parvati auf menschlich. Ein junger Bursche kam mit Ketten daher. Mich interessierte, wie teuer eine einfache Granatkette sei. 100 Rupien (ös 25 !!) Er zeigte mir auch andere aus Lapislazuli, Tigerauge, Türkis und goldenem Topas (Zitrin). Von jedem das "Besonderste" und "Letzte" und "not tourist price". "Nepali-Price" oder so ähnlich. Der Tourist-Preis wäre das Vielfache. Ich fragte, wer den zahle. Aber irgendwie machen mir diese verschmitzten Burschen auch Spaß. Neben dem jeweiligen Hauptverhandler immer drei, vier weitere junge Burschen oder Kinder. Ich kaufte schließlich eine Granatkette um 25 Schilling. Ein Wahnsinn. Vorher kauften wir heute schon Glasringe und Tikka beim Indra Chowk. Und ein Bursche wollte mir Pfauenfedern verkaufen, die mir gefielen. "No, tomorrow". Offensichtlich sah er ein, daß diese zu groß waren, zum Herumtragen und drehte ums ein 25fach veränderbares Drahtspielzeugelchen an. Ich kaufte auch Hefte und Ansichtskarten. Ein "Hans"-Heft und zwei nepalesische Schulhefte. Es ist eine Kunst, wenig zu kaufen. Wir gerieten beim Heimgehen in ein schmales Gäßchen, das sich als Gäßchen meiner Erinnerung mit den Glasreifengeschäften entpuppte. Und die schönen Sari-Geschäfte dort. Das heißt, die schönen Saris, denn die Geschäfte sind ja weniger schön. Nach Hause. Von zirka 1/2 2 Uhr bis 1/2 6 Uhr marschierten oder standen wir ununterbrochen. Die Schuhe stehen in Staub. Beim Zurückgehen zwei Hochzeiten, eine mit Musikanten und zwei Autos mit Bräuten und dahinter noch Festgäste, die Frauen in türkisen und roten seidenen Saris.

Gestern in Bhaktapur sahen wir einen langen Zug weißgekleideter Leute, aber keine Leiche.

In der Zeitung stand, daß Seniorpolitiker Singh weinte, bei der Übergabe eines Literaturpreises, über den Niedergang der Demokratie und gestern, daß Beamte noch immer nach 20 Jahren Dienst in den Ruhestand treten müssen ohne Pensionsanspruch.
Ich wusch mir die Haare und bat unsere Zimmerfrau, den Weberknecht und das große Spinnennetz zu entfernen. Wir aßen Tandoori-Huhn, aber ich mußte soviel plaudern, daß mir der Magen und der Bauch weh tun.

Gestern sahen wir, meint Hans, den Mount Everest, soferne man ihn von Kathmandu aus überhaupt sehen kann. Heute vielleicht nur den Langtang Lirung. Die junge Ärztin sagte, daß sie keine Angst hat und schon zweimal um zehn Uhr über die Brücke gekommen sei und daß die Taxler das Hotel nicht mögen, weil es keine Prozente abgibt. Und daß sie sich vor dem Hundebellen in der Nacht mit Oropax schütze. Und der Arzt sagte, das Hotel gehöre einer amerikanischen Kette. Und die deutsche Dame, der anfangs schlecht war, lud die junge Ärztin morgen auf eine Taxifahrt nach Godavari ein. Und die Künstlerin war auch da, saß aber viel allein.
Es ist sicher schon 12 Uhr nachts. Morgen, oder schon jetzt bald, ist Shiva Ratri in Pashupatinath. Der kleine Pataner wird umsonst auf uns warten müssen. Die fünfte Nacht hier.

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