BRIEFE POLEN
Wien, 29. Juni 1941 |
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Ich fürchte, daß ich
keine oder nicht die richtigen Worte finden kann, um Dir meine Empfindungen und
Gedanken einer langen bangen Woche zu schildern. Da jede Verbindung so ganz und
gar abgeschnitten war und ich gar nicht weiß, in welcher Gegend Du Dich
aufhältst, wie sollten Dich da meine Gedanken finden? In dieser Lage gibt
es nur eines, was ich brennend für Dich wünsche: daß Du einen
gewissen Gleichmut bewahren mögest, der genährt wird erstens durch
Deine Liebe zu mir und durch meine große, treue und feste Liebe zu Dir
jetzt und für alle Zeiten. Du gehörst zu mir und ich betrachte Dich
als meinen größten Schatz, als das in meinem allertiefsten Innern zu
mir gehörige Wesen, dem ich soviel Kraft und Stärke aus mir selbst
heraus zukommen lassen werde, als ich vermag. Ich weiß es jetzt aus
tiefster innerer Erkenntnis: es steht alles in Gottes Hand! Du kennst meine
Einstellung zu Religion und Kirche. Ich habe seit vielen Jahren nichts mehr
damit zu tun gehabt. Aber in den letzten vielen Monaten, die so drückend
und so kritisch waren, mußte ich mich in meiner aus innerer Notwendigkeit
selbstgewählten Einsamkeit mit irgend jemand aussprechen, mußte mit
jemand über meine geheimsten persönlichen und allgemeinen
Wünsche zu Rate gehen und da ich unter Menschen hier niemand fand, habe
ich Gott gefunden. Und er hat mich niemals ohne Trost und Zuversicht von sich
gehen lassen. Spatzilein, Dir wird das fremd sein, weil es Dir nicht liegt,
aber mich läßt Du ja wohl gewähren? |