Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE HINTERLAND

Lager Steinberg, 19. Dezember 1944

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Kommentar

Wallilein, ich glaube, für die Zukunft ist es besser, Du rufst mich ein- bis zweimal oder so oft Du willst die Woche an. Du verlangst ganz einfach "Neusiedl Postamt" und von dort "Steinberg 1. Kompanie".
Heute waren wir wieder drei Stunden im Graben, und anschließend mußte ich gleich auf Wache gehen. Ich habe also bis morgen 16.00 Uhr Dienst. Bis jetzt hatten wir, seit ich hier bin, jeden Tag, außer vorige Woche Donnerstag, Alarm und mußten in den Graben. Dabei schaut es bei uns entsetzlich aus. Die ganze vorige Woche hat es ununterbrochen geregnet oder geschneit, und wir bewegen uns in Massen von Schlamm und Morast. Durch die ewige Nässe bin ich auch leicht verkühlt. Mein Fuß heilt sehr schön und tut mir gar nicht mehr weh. Abends ist er manchmal leicht angeschwollen. Der Arzt empfahl mir keine weiten Märsche und verschrieb mir wieder Weißbrot. Ich bin wieder beim 1. Zug Gruppenführer und habe mich wieder an das Kommißleben gewöhnen müssen, obwohl es mir sehr schwer fiel. Daheim war es doch so schön. Der neue Oberlt. hat mich auch schon bestimmt zur Mitarbeit an der Komp. Weihnachtsfeier, ich habe den zu sprechenden Teil über, d. h. ich übe mit noch vier Leuten. Es tut mir schon sehr leid, daß ich diese Weihnachten nicht bei Euch und natürlich ganz speziell nicht mit Dir feiern kann. Dabei müssen wir froh sein und Gott danken für jeden Tag, welchen ich noch hier verbringen darf. Vorläufig ist von Abstellung noch keine Rede, aber beim Militär kann so etwas über Nacht der Fall sein.
Vorige Woche mußte ich mit meiner Gruppe einen Übungs-Spähtrupp machen und durchstöberte dabei den ganzen Steinberg. Dabei kam ich an so vielen uns gut vertrauten Plätzen vorbei, welche wir diesen Sommer gemeinsam kennenlernten. Wege, welche wir gingen, Wiesen, auf welchen wir halbnackt in der Sonne lagen, und stille, wohlausgesuchte Plätzchen, wo wir uns liebten, wie nur wir es kennen und können. Lasse es bitte nicht wahr werden, daß wir uns vielleicht dieses Jahr nicht mehr sehen. Komme, sobald Du nur kannst und die Verhältnisse es gestatten. Für das kommende Weihnachtsfest wünsche ich vor allem Dir, unseren beiden Eltern sowie allen Verwandten und Bekannten, alles erdenklich Gute, daß endlich Friede werde und die Menschheit ein bißchen Vernunft annimmt.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen