Ruth Linhart | Reisen | Fotos Delhi | Agra | Jaipur | Jaisalmer | Jodhpur | Udaipur | Mumbai
bei Jaipur

Rosen sind die Blumen der Moguln, indisch ist die Lotusblüte

Reisenotizen aus Rajasthan - mit Delhi, Agra und Mumbai

Teil 2

Zurück zu Teil 1

  Jaisalmer - Jesselmer sagt man hier

(mehr dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Jaisalmer)
.Jaisalmer liegt in der Wüste Thar, die 25 000 km2 groß ist und einen großen Teil von Rajasthan bedeckt.

Wir sitzen auf der Veranda des Rang Mahal-Hotels, ganz feudal.
Die Zugsfahrt war angenehm. Ein Beamter, der hierher zu einer Konferenz über Tourismus kommt, plauderte mit uns und mit dem Ehepaar mit dem herzigen Kind. Auch darüber, dass Bäume essentiel sind. Die Wüste ist mit Pflanzen durchsetzt, die sie festhalten soll. Er gab Hans seine Visitenkarte und lud uns zu einer Abendveranstaltung ein.

Die Ankunft. Ein richtiger Landbahnhof, an dem einmal am Tag ein Zug ankommt. Es war gar nicht so agressiv und lärmend wie im Reiseführer beschrieben, sondern viel stiller als in den anderen Orten. Ein Träger wollte zwar ein überhöhtes Honorar, doch dann waren wir schon beim Jeep des Mr. Ujjwal, in den sich auch drei flämische Belgier hineinpressten. Eltern, die in Singapur leben, ihre Tochter, die in Delhi arbeitet. Sie hatte die Zugskarten besorgt und nur Sitzplätze bekommen, sodass sie eine anstrengende Nacht hinter sich hatten. Die drei planen eine zweitägige Kamel-Safari mit Übernachtung in der Wüste.

Sie stiegen beim Hotel Jaisal Castle aus. Uns brachte Mr. Ujjwal – aber der Bruder unseres Vermieters - zum Suraya Paying Guest House, ganz oben im Fort von Jaisalmer. Das Zimmer, das wir zugewiesen bekamen, war sicher das größte. "Here is the balcony", sagte der Bruder. Es war aber nur ein Fenster mit Mauervorsprung. Ich inspizierte Bad und Klo, vorhanden, auch Klopapier. In den Fensterläden große Spalten. Ein kalter Wind wehte durch das Zimmer, obwohl draußen die Sonne schien. Das Bett – grau schimmerndes Leintuch, ein zweites Leintuch mit gelben Flecken und eine Decke, die aussah wie ein alter Plüschteppich. "A little bit basic", gab Inder Ujjwal, der Hausherr zu. Kostet aber auch nur sechzehn Euro die Nacht. Hans freute sich über die Frischluft und über den Blick. Tatsächlich befanden wir uns vielleicht am höchsten Punkt der Stadt und über den balcony bot sich eine grandiose Aussicht auf die Dächer von Jaisalmer. Aber ich war ... "a little bit unhappy", wie Mr. Inder Ujjwal es formulierte. Das heißt, ich dachte mir: "Hier kann ich nicht bleiben!" Inmitten all des Schmutzes auf der Straße und der Menschen, die uns als Beute betrachten, brauche ich eine Rückzugsoase, in der ich mich entspannen kann. Und hier kann ich das nicht. Ich wollte gerade Hans um sein Handy bitten, um Mr. Ujjwal anzurufen, als er an die Tür klopfte und für das Einchecken um unsere Pässe bat. "Ich zahle Ihnen die drei Nächte hier, wenn Sie uns ein besseres Hotel besorgen können." Mr. Ujjwal war nicht überrascht und nicht beleidigt und nahm auch nur Geld für eine Nacht. "Ich werde sicher Gäste finden, manche sind froh über dieses Quartier", was ich gar nicht bezweifle, denn es hat auch seinen Charme, abgesehen vom Charme des vernünftigen Preises. Aber ich bin für "basic" Unterkünfte einfach zu verwöhnt .
Mr. Ujjwal führte uns ins Dachrestaurant, wir bekamen Tee, und er entwickelte sofort den Plan einer desert-tour mit Jeep für uns, zirka 100 Dollar pro Person, drei Mahlzeiten, sunset und sunrise, a bit touristic und ein Stück nicht touristische Wüste und eine Übernachtung – "Ja, ja, if you want, im Zelt, obwohl die meisten lieber unter den Sternen schlafen." Wir waren einverstanden und blätterten auch gleich die 200 Dollar hin. Daraufhin hängte er sich ans Telefon.
"Aber übermorgen ist alles voll", beteuerte der Hotelmanager bei unserer Ankunft in diesem Fünfsternpalast Rang Mahal. "Dann wird es ein anderes gutes Hotel sein", versichert uns Mr. Ujjwal. Wir sollen das seine Sorge sein lassen. "Wir betrachten unsere Kunden als unsere Familie". Ich schaue etwas mißtrauisch.
Als er den Reise Know How-Führer in meinen Händen sieht, blättert er darin und schlägt folgende Seite auf: "Einen seit Jahren guten Ruf in der Traveller-Szene hat der so genannte, allerdings auch etwas teurere `Mr. Desert´ (Adventure Travel Agency , Tel.: +91-2992-252558, 254260 (O), www.adventurecamels.com ), der meist in der Nähe des Eingangstores zum Fort auf Kunden wartet."
Mr. Inder Ujjwal oder Mr. Desert – mit Goldringen und Goldarmband, gut genährt und Besitzer eines Bikes wie Mr. Singh in Jaipur. Ein gut aussehender Mann, der sich dessen bewusst ist, eloquent und professionell.
Er fragt mich, was wir beruflich machen. "I am a free lance journalist" , sage ich, "And Hans is in the computer branche." Überrascht merke ich, dass er das Wort "journalist" sehr wohl registriert. Kann nichts schaden!
Er lieferte uns selbst mit dem Jeep hier ab. "Das Zimmer kostet 4100 Rupien, aber für uns gibt es a little discount", sagt er. Um fünf Uhr will er uns mit Jeep abholen, um uns die schönen Havelis, die berühmten Kaufmannshäuser von Jaisalmer zu zeigen. Wir trauen uns nicht abzulehnen, obwohl wir nach der Nacht im Zug sehr müde sind.

Ich habe noch nicht geschrieben, dass sich hier viele dunkelrote Bougainvilleas über Bäume und Büsche ranken. Auch gestern sahen wir viele, besonders bei Amber und auf der Fahrt dorthin.
Hier, diese Hotelveranda, ist ein Traumplatzerl. Wenn ich aufschaue, sehe ich am Horizont die Altstadt von Jaisalmer, ausgebreitet auf dem 120 Meter langen und 500 Meter breiten Trikuta-Felsen. Die Sonne scheint, und die Silhouette von Jaisalmer erhebt sich aus der flachen Wüste wie eine goldene Krone.
Es ist ruhig, nur die Vögel lärmen. Eine diesige gelbe Wärme. Die Stadt am Horizont, sonst ockerfarbene grün gesprenkelte Weite. Das Hotel passt farblich dazu. Urlaubsgefühl.
Hans rastet sich im Zimmer aus.

 

9. Februar 2005, Mittwoch, Jaisalmer

Was anscheinend in Indien einmal kommen musste, kam. Hans ist krank. "D´ Scheisserei", auf gut mühlviertlerisch. Ich rufe um sieben Uhr früh Mr. Inder Ujjwal an. Er beruhigt mich, dass wir sicher im Hotel bleiben können. An sich war ja geplant, dass wir heute in der Wüste übernachten.
Ich frühstücke allein, Toast und Tee. Eine indische Reisegruppe. Ich beobachte sie vom Balkon, als sie wegfahren. Die Frauen reisen im Sari. Sie lachen laut und ungezwungen.

Im Hotelgewerbe bzw. im Tourismus sehe ich fast nur Männer. Einzig an den Rezeptionen in Agra und Jaipur waren Frauen beschäftigt. Die beiden Rezeptionistinnen in Agra hatten kurze Haare, was auch selten ist. Die meisten tragen ihre langen prächtigen Haare zusammengebunden, geflochten oder aufgesteckt.
Alle Boys, Kellner, sonstiges Rezeptionspersonal, Manager etc. etc. sind Männer. Die "Zimmermädchen" sind "Zimmerbuben". Trotzdem war es bisher überall recht sauber. Auch Mr. Inder Ujjwals Guesthouse war sauber.

Heute geht leichter Wind, das Fort von Jaisalmer ist zu sehen. Gestern nachmittags kam plötzlich solcher Wind auf, dass die Sandwolken Jaisalmer völlig zum Verschwinden brachten.

Mr. Ujjwals Jeep holte uns nach fünf Uhr ab und wir fuhren zu seiner travel agency. Von dort spazierte er höchstselbst mit uns durch die Gassen mit den wirklich wunderschönen Havelis. "Jaisalmer ist ein einziges Freilichtmuseum voller Lebensfülle und exotischer Eindrücke", schwelgt das Reise Know How-Buch. Die Havelis sind die Wohn- und Geschäftshäuser reicher Geschäftsleute und stellen die eigentliche Kostbarkeit Jaisalmers dar. So "betörend schön" wie hier seien sie in den anderen Städten Rajasthans nicht.
"Im weichen und leicht zu bearbeitenden Sandstein Jaisalmers haben die muslimischen Handwerker wahre Wunderwerke filigraner Baukunst hervorgebracht, und man muss schon zweimal hinschauen, um zu erkennen, dass es sich tatsächlich um Steinmetzarbeiten und nicht um Holzschnitzkunst handelt."
Jaisalmers Geschichte geht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Durch die zunehmende muslimische Bedrohung wurde 1156 der Rajputenfürst Jaisal gezwungen, seine bisherige Hauptstadt zu verlassen. Er errichtete auf einem steil aus der Wüste aufragenden Felsen seine neue Hauptstadt, und die wurde bald zu einem bedeutenden Stützpunkt an der Karawanen-Route zwischen Indien und dem Vorderen Orient. Immer wieder wurde die Stadt von muslimischen Eroberern überfallen. Eine Weile versank die Stadt in Bedeutungslosigkeit, aber gegen Ende des 16. Jahrhunderts konsolidierte sich das Verhältnis der Rajputen mit dem Mogul-Hof und die meisten der heute zu bewundernden Havelis stammen aus der Epoche des Wohlstands und des Friedens, die dann folgte. Bevor die Briten nach Indien kamen, war Jaisalmer reiche Handelsstadt. Die Engländer bauten ein Schienennetz aus, die Seewege wurden für den Handel wichtig und der Niedergang Jaisalmers war besiegelt. Zwei Faktoren verhalfen Jaisalmer in den letzten Jahrzehnten zu neuem Aufschwung: der Tourismus und seine strategische Lage zirka 200 km von der pakistanischen Grenze entfernt. Im Zuge der indisch-pakistanischen Auseinandersetzungen wurde Jaisalmer zu einem militärischen Vorposten. Das Schienennetz der Eisenbahn wurde in den letzten Jahren verbreitert.
Ein weiterer Wirtschaftsfaktor ist, wenn ich Mr. Ujjwal richtig verstanden habe (das indische Englisch lässt immer Zweifel offen), dass Wüstensandstein von hier exportiert wird. Mrs. Gandhi sei da gewesen (ich glaube, die Rede war eher von Sonia als von Indira), und seither gibt es einen Abbruchstop für die wertvollen alten Gebäude. Inder führte uns auch in das Innere zweier solcher Prachtbauten, die sich rasch als Antiquitätenläden und Stoffhandlungen entpuppten. Wir kauften einen bunt bemalten hölzernen Ganesha, und schon jetzt tut es mir leid, dass ich den größeren ebenso gold- und bunt bemalten Krishna nicht erstanden habe.

Gerade rief Inder an: "Hey Lin Heart, here is Inder. Do you need a doctor...?" Er könne uns kein Geld für den abgesagten Wüstenausflug zurückgeben, aber wir könnten "any tool" von ihm haben, das wir wollen, und wir können ihn "at any time" anrufen. Wir können heute im Hotel bleiben, und er hofft, morgen auch. Er habe den Hotelmanager noch nicht erwischt.

Sonne hinter Wolken. Der Wind wird etwas heftiger. Unser Zimmernachbar kam auf die Veranda heraus, im weißen "Pyjama" (das ist ja angeblich ein indisches Wort).
Vor unserem Hotel, das sich auch "Fort" nennt, verläuft eine verhältnismäßig gepflegte Strasse. In der Früh tobten in den Büschen und Bäumen die Vogelstimmen.
Heute werde ich lesen und Post erledigen.

Aha, aufgrund der indisch-pakistanischen Bruderkriege wurde Jaisalmer erst 1968 an das indische Eisenbahnnetz angeschlossen. Und eine Militärbasis wurde in der Nähe der Stadt stationiert. Dorthin flogen also die Düsenjäger, die gestern nachmittags über die Gegend dröhnten.

Es ist mittags. Weil die benachbarte Inderin mit frisch gewaschenen Haaren auf die Veranda trat, machte ich es ihr nach. Jetzt fahren diese indischen Gäste ab. Alle sind in Jeans, auch die Frauen. Ein kleines Mädchen ist dabei. Sie fotographierten sich gegenseitig vor dem Hotel.

Haikuversuch: Fort von Jaisalmer - Gelber Himmel, gelber Wind. - Ein anderer Stern.

Gestern stürmte ins Suraya guest house, als wir gerade über unsere Wüstentour verhandelten, eine hübsche schlanke Frau herein, schwarz eingehüllt, mit blitzblauen Augen. Sie und andere Gästinnen schienen mit Inder sehr vertraut zu sein. Diese junge Frau war jedenfalls von einem Kamel heruntergefallen und hatte sich an der Hand verletzt. "Ich bin galoppiert und der Sattel ist verrutscht!" Sie zeigte uns ihre verbundene Hand. Inder besorgte mit seinem Handy die Bestätigung ihres Fluges von Delhi nach Paris. "Ich komme seit ein paar Jahren jeden Winter her!"

Fragen, welche uns von den Indern – wirklich nur von männlichen Indern, ich kann mich außer in den Hotelrezeptionen bisher an keinen Wortwechsel mit Inderinnen erinnern - ständig gestellt werden
"From which country are you?"
"From which place in India do you come?"
"Where do you go?"
"How long are you in India?"
"How long do you stay in India?"
"You like India?"
"You have children?"
Auch Inder fragte das. "Ich habe zwei boys, schon über dreißig Jahre alt." "Oh, your sons are younger than I", staunte Inder (nicht sehr charmant). "I am 39." Drei bis vier Monate im Jahr verbringt er in Melbourne und verkauft dort indische und nepalesische Textilien.

Jetzt sieht man Jaisalmer sehr schön, in weichem Licht, in dem sich die vielen Wachtürme deutlich voneinander absetzen. Ich orderte auf fünf Uhr einen guide und ein Taxi.

Als ich den guide fragte, ob in dem Hotel, das früher ein Palast des Königs gewesen war, heute auch "normale Leute" wohnen, sagte er: "The king is also a normal person!" Nach einer Pause: "Today the money is the king."
Das habe ich tatsächlich schon lange nicht mehr so gespürt wie in Indien – Bharat heißt es auf Hindi.
Aber ich muss dazu sagen, dass man sich umfassend um die Gäste kümmert. Wenn man zahlt, wird man verwöhnt – siehe Mr. Singh auf dem mitternächtlichen Bahnhof von Jaipur. Mr. Alok Verma hat uns sogar von Delhi aus in Jaipur mit einem Scherzchen aufzuheitern versucht. Und Mr. Ujjwal besorgte uns das schöne Zimmer in Jaisalmer. Eine Reise mit mittlerem oder höherem Standard kostet wohl nicht viel weniger als in Mitteleuropa, schätze ich. Viel billiger zu reisen ist möglich, aber dann ist eben auch das Angebot billig.

Die Spannungen zwischen Pakistan und Indien um 2000 haben sich auf den Ort stark ausgewirkt, erklärt mir der junge Reiseführer. "Seither fliegen Jaisalmer keine Passagierflugzeuge mehr an, nur mehr einmal die Woche landet ein Flugzeug einer kleinen privaten Linie. Sonst nur Militärflugzeuge." Heute landeten diese zwischen vier Uhr und fünf Uhr am Nachmittag und flogen ganz niedrig an unserem Hotel vorbei. Gestern stiegen sie um diese Zeit auf.

Rang Mahal und der Flughafen, das seien zwei Eckpunkte von Jaisalmer, sagte der guide heute nachmittag. Das Rang Mahal dürfte im äußersten Westen liegen.

Jaisalmer hat zirka 40 000 Einwohner, 70 Prozent seien Hindus, 30 Prozent Moslems. "Aber es werden immer mehr Moslems, weil aus Pakistan auch Moslems nach Indien flüchten." Das erklärte mir mein guide, als wir an einer Gruppe Männer im Kaftan und weißen Käppchen, also Moslems, vorbeifuhren.
"Ich bin Hindu", antwortete er auf meine Frage.

Er holte mich samt Jeep und Chauffeur ab. Das Auto wurde beim Büro der Reiseagentur abgestellt und und wir steuern zuerst, vorbei an Geschäften und Kühen, das Raj Mahal an, den früheren Königspalast. Der junge guide ist mir gleich sympathisch, aber trotzdem habe ich leider vieles nicht verstanden, was er in seinem indischen Englisch erzählte.
Als die Engländer kamen, musste der Palast vom König geräumt werden, glaube ich. Der Palast türmt sich sehr hoch in die Luft, er hat sieben Stöcke, und besteht aus dem Harem der Queens – mit glatter Fassade und wenig Fenstern - und dem Palast des Kings, mit zahlreichen reich verzierten Fenstern und Balkonen. "Aus politischen Gründen mussten die Könige immer viele Frauen heiraten", sagt mein guide.
Im Palast ist heute ein Museum, das um sechs Uhr schließt. Daher haben wir es ziemlich eilig.
Beim Eingang des Museums gibt es Schaukästen mit Zeitungsartikeln, unter anderem mit der "Ikone des Bollywood-Films" Amitabh Bachchan (Er gilt innerhalb und außerhalb Indiens als der größte Bollywood-Star überhaupt; oft wird auch behauptet, dass er mehr Fans auf der ganzen Welt habe als jeder andere Schauspieler, einschließlich der Hollywood-Größen. Seine Position und vielfältige Reisetätigkeit haben ihn im Ausland zu einem kulturellen Botschafter für das indische Kino gemacht. Ich habe ihn in dem Film "Kabhi khushi kabhie gham" gesehen). Man sieht ihn mit seiner Frau, die aus dem nepalesischen Königshaus stammen soll und sogar der König – oder war es der chief-minister? – begrüßte ihn.

Die Dynastie von Jaisalmer existiert ununterbrochen seit 1156. Wo der König heute lebt, habe ich vergessen. Jedenfalls gab es im 14., 15. und 16. Jahrhundert große Kämpfe gegen muslimische Eroberer, zweimal Schlachten, vor denen sich alle queens im Rahmen des sogenannten Jauhar-Selbstmord-Rituals töteten bzw. von ihren Männern getötet wurden. Ich glaube, beim zweiten großen Angriff siegten die Leute aus Jaisalmer sogar. Aber die Frauen hatten sich schon umgebracht bzw. waren aus Zeitgründen umgebracht worden - aus Sorge, was ihnen die Moslems im Falle eines Sieges antun würden. In der Folge vertrugen sich die Moslems mit den Hindus, und ein Mittel, das dazu führte, waren gegenseitige Heiraten der Herrscherhäuser. Dann kamen die Engländer. Sie ließen die Kings an der Macht, aber nur als "Marionettenkönige", denn die Engländer bestimmten alles Wichtige. Jede politische Macht verloren die Kings dann mit der Unabhängigkeit Indiens 1947. Aber auch heute noch sind sie zum Teil sehr reich. Jaisalmer sei ein eher armes Königreich.

Zuerst waren wir in der Waffen-Abteilung des Museums, ich habe die Erklärungen vergessen. Beeindruckt hat mich der Thronsessel des Maharaja aus reinem Silber. Der König von Jaisalmer komme aus der Mond-Dynastie. Der Gott Krishna und die Göttin Durga beschützen den König. Der schirmartige Baldachin über dem Thronsessel symbolisiert Krishna.
Weiters sahen wir Porträts der Könige, deren Schlafzimmer, ihre Briefmarkensammlung. Aber am tollsten war das Gebäude selbst. Mit seinem feinen Schnitzwerk aus Sandstein. Mit seinen Aufstiegen, die sich immer wieder in drei spalteten. Der Feind, der die Stiegen heraufstürmt, weiß nicht mehr weiter, weil der richtige Aufstieg verdeckt und mit Soldaten besetzt ist, die nun Gelegenheit haben, sich auf die Angreifer zu stürzen.
Vom Dach des Palastes bietet sich ein schöner Blick über Jaisalmer mitsamt den Türmen seiner Jain-Tempel und dem See. Wasser sah ich allerdings keines.
Weil Sandstein brüchig ist, wurden die Decken bzw. Böden aus Akazienholz hergestellt und mit Kuhdung gefestigt.
Auch die riesigen geschnitzten Tore des Schlosses und des Forts sind aus Akazienholz, das sehr hart sein soll.

Anschließend fuhren wir zum sogenannten sunset-point, wobei an diesem grauen Nachmittag kein schöner Sonnenuntergang zu erwarten war. Daneben befindet sich die Totenverbrennungsstätte der Brahmanen. Es war nun schon dämmrig und an den Kenotaphen brannten zwei Totenfeuer. Eine beeindruckende Stimmung. Mein guide hat mir auch erklärt, wie das ist, wenn der älteste Sohn vor seiner Mutter stirbt – eigentlich ist ja immer der älteste Sohn für die Totenriten zuständig.
Zum Schluss, es war schon fast finster, noch kurz in die Königsvilla, die jetzt ein Nobelhotel ist.
Hans geht es schon besser, zum Glück.

 

10. Februar 2005, Donnerstag, Wüste Thar

Heute war der Wüstentag – die Fahrt mit Teju und dem Chauffeur.
Die Stationen dieses Ausflugs:
Zuerst Amar Sagar – Gartenanlage des King, Palast, Tempel und Chattris, Jain-Tempel,
Bada Bagh – Kenotaphe der Herrscher von Jaisalmer,
Lodhruva – Jain Tempel.
Diese drei touristischen Sehenswürdigkeiten liegen im Nordwesten von Jaisalmer.
Dann fuhren wir zirka sechzig Kilometer in den Süden (glaube ich). Das Programm bestand aus:
Dorf mit Schule,
Essen in Camel-Adventure-Camp,
Kamelritt von Hans,
Bei Bauern – schön gekleidete Frauen,
Dorf mit Stromanschluss, Bräutigam,
Wanderdünen,
Sonnenuntergang – fiel wegen schlechtem Wetter aus.

Wir hatten kein schönes Wetter, darum leuchtete die Wüste auch nicht golden wie im Buch "Die Frauen der Wüste Thar" von Hans Silvester und Catherine Clément, sondern die Landschaft war in kaltes beige-graues Licht getaucht. Sonst aber war alles ebenso wie in dem Buch – die Frauen in ihren weiten Röcken, Blusen und Schleiern in allen Rotschattierungen und leuchtendem Gelb, die von den Frauen bemalten sandfarbenen Häuser, die gewellte grün gesprenkelte Sandlandschaft, die Männer mit Turbanen auf dem Kopf, die Kinder mit neugierigen, oft frechen und verlangenden Augen.

"My younger son" - ich glaube, so hat sich Teju Ujjwal einmal mir gegenüber bezeichnet, der Neffe des Inder Ujjwal, der mir gestern den Königsplast gezeigt hat. Er führte uns auch heute sehr ernsthaft und sehr nett. Er studiert Geschichte, Politikwissenschaft und englische Literatur, zuerst in einem College in Jaisalmer, dann in Ajmer, zirka 500 km entfernt. Er hat die staatliche Fremdenführer-Prüfung, sagt er, aber er macht diese Arbeit nur in den Ferien. Im April, wenn der Fremdenverkehr in der Region sowieso zum Erliegen kommt, weil es zu heiß wird, will er das College abschließen. Und sich dann in einer weiteren Sprache, Spanisch oder Italienisch, eventuell in Gujarat oder in Bangalore, weiterbilden. Sein Wunsch ist es, in den Staatsdienst einzutreten, zum Beispiel als Lehrer. Aber 50 000 (?) junge Leute warten bereits auf einen Posten im Staatsdienst. Derzeit stellt der öffentliche Dienst auf Computer um und baut Beamte ab und/oder nimmt keine neuen mehr auf. Wenn der Staatsdienst nicht möglich ist, will er vielleicht hauptberuflich Fremdenführer werden.
Ein einfühlsamer junger Mann, das merkte man an seinen Reaktionen auf ungesagte Wünsche oder leichte Bewegungen. Ihm fehlt noch die Routine-Politur seines Onkels.

Von Hans sprach er als "uncle", und als er wollte, dass ich auch auf ein Kamel steige, rief er: "Mamiji, Mamiji, you must try ...!"
Mamiji ist in Hindi die Tante mütterlicherseits. Mamaji wäre der Onkel mütterlicherseits. "Ji" ist eine Höflichkeitsform, die man bei älteren Personen und Respektspersonen an den Namen anhängt.
Normalerweise bin ich ja "Maam", und dieses "Mamiji" hat mich sehr familiär angerührt. Es hat mich gefreut, dass er mich mit einer solch indischen Anrede angesprochen hat. Im Deutschen gibt es eigentlich keine familiären Begriffe, die auch für Fremde angewendet werden, wie etwa im Japanischen, ich glaube auch im Russischen und eben in Hindi, Sprachen, in denen diese sprachliche Angewohntheit existiert, die irgendwie herzerwärmend ist.
"Uncle rides Prime minister", sagte Teju. "Prime Minister" ist der Name des Kamels.

Kamele werden zirka sechzig Jahre alt, erzählt mir Teju (haben also ungefähr dieselbe Lebenserwartung wie die Menschen in Indien, siehe
http://www.ipicture.de/daten/demographie_indien.html
Prime Minister und seine Kollegen sind zirka dreißig Jahre alt. Wenn sie jung sind (zehn Jahre), sind sie stürmischer, nervöser als im erwachsenen Alter. Unter einem Alter von fünf Jahren soll man sie nicht reiten, denn sonst bricht etwas – was, verstand ich nicht.

Ich musste zwei Kamele streicheln, unter anderem das Junge. "Der Chauffeur", sagte Teju, "kann die Kamelsprache. Wenn es ein Problem gibt, versteht er immer, was die Kamele wollen."
Der Höhepunkt des Tages war, als es ums Kamelreiten ging. Da war die Stimmung am lockersten. Ich ließ mich trotzdem nicht zum Aufsteigen überreden, aber Hans ritt, und es gefiel ihm ganz gut. Allerdings bekam er nach zirka zwanzig Minuten einen Krampf in den Oberschenkeln. Es gibt keine Steigbügel, in die man die Füße einhängen und dadurch stützen könnte.

Davor gab es das Essen. Es war gegen drei Uhr nachmittags. Zwei oder drei Männer hatten es schon vorbereitet, als wir ankamen. Sie kochten praktisch im Wüstensand. Auf einer Aluminiumplatte wurden uns ein "milder" Eintopf mit Kartoffeln, Karfiol und anderen Gemüsen und frisch gebratenes Nan, das herrliche Fladenbrot, serviert. Alles schmeckte köstlich, vielleicht das beste Essen in Indien bisher. Das scharfe Linsengericht und eine zweite Portion mussten wir aber ablehnen, obwohl uns Teju fast inständig bat, noch mehr zu essen. Zum Abschluss gab es den süßen indischen Milchtee. Das Geschirr rieben die Köche mit Sand aus, beobachtete Hans.

Die Wüste war beige-farbig, voll mit niedrigen Bäumen und Sträuchern, die jeweils einige Meter Abstand voneinander hatten. Anscheinend werden seit 1960 vom Staat Akazien gepflanzt. Acacia indica ist die authentische Akazie. Es gibt aber auch eine eingeführte Akazie. Teju hat sehr viel über "agriculture" gesprochen. Ich konnte mir zuerst nicht vorstellen, welche "agriculture" die Leute hier betreiben. Gut, Viehwirtschaft, das sieht man: Kühe, Schafe, Ziegen und Kamele. Die Tiere fressen die Blätter der Büsche und Bäume, nehme ich an. Die Kamele sind übrigens in erster Linie Lasttiere bzw. Zugtiere. Auch Ochsen werden als Zugtiere verwendet. Teju antwortete auf meine Frage: "Mit Landwirtschaft meinen Sie Viehwirtschaft?" "Es gibt Viehwirtschaft UND Landwirtschaft." Baumwirtschaft, Feldfrüchtewirtschaft, z. B. Ernten und Verarbeiten der Früchte von Bäumen. Auch Getreide soll wachsen, ich glaube, Teju sprach von millet – Hirse. Wasser gibt es heutzutage von pipelines aus Jaisalmer. Aber um dieses zu holen, müssen die Frauen weit gehen.

Wheat, also Weizen, wächst in der Wüste nicht. Im ersten Dorf, in dem wir waren, wurde gerade Weizen angeliefert und verteilt bzw. verkauft. Wir konnten die Szene nicht fotographieren, weil die Dorfkinder sich ins Bild drängten. Ein alter Mann mit Turban saß mit überkreuzten Beinen am Boden, hatte ein Heft in der Hand, in das er schrieb, und eine altmodische Wage vor sich. Rund um ihn scharten sich die Dorfbewohner.

In dem ersten Dorf, in das wir vor dem Essen geführt wurden, bedrängten uns eine rasch zunehmende Anzahl von Kindern, die von uns "choklit" oder "pen" oder "rupies" forderten.
Was die Frauen anlangt, so herrsche hier noch das "indoor-system", sagte Teju – also das Purdah-System.
Deswegen gebe es bei den Anwesen auch ein Gästehaus, in das fremde Männer geführt werden. Frauen bedecken ihr Gesicht nach der Heirat mit dem Schleier.

Frauen müssen sehr hart arbeiten, von fünf Uhr früh bis zehn Uhr, elf Uhr nachts. Männer machen – ich glaube, Teju sagte – agriculture bis elf Uhr vormittags oder so. Dann sitzen sie, spielen, nehmen Opium zu sich. Ob sie das rauchen, trinken oder essen, weiß ich nicht. Die Frauen machen alles, vom Wasser und Brennholz beschaffen für das Haus bis zum Wäschewaschen, und arbeiten zusätzlich auch in der Landwirtschaft.
Wie das "indoor"- System in der Gegenwart in den Dörfern der Wüste Thar gehandhabt wird, das ist mir leider nicht klar geworden. Denn wir sahen verheiratete Frauen mit Schleier über dem Gesicht und ohne Schleier. Die Purdah heißt hier jedenfalls sicher nicht, dass die Frauen vom Kopf bis Fuß mit einem dunklen Gewand verhüllt sind und dass sie das Haus nicht verlassen dürfen und auch nicht, dass sie moslemisch sind .

Schon in dem ersten Dorf, das wir besuchten, wurden wir in eines der bemalten Häuser geführt. Teju, an sich sehr höflich und zurückhaltend, ging immer mit den Schuhen hinein, und forderte uns auf, es ihm gleich zu tun, obwohl die Schuhe der Bewohner vor dem Eingang lagen. Ich war so beschäftigt mit der Situation, die mir jeweils eher peinlich war, weil wir so klobig in eine völlig fremde Privatwelt eindrangen, dass ich die Einzelheiten schon wieder vergessen habe. Ich muss noch einmal hierher kommen und das alles genauer recherchieren. Jedenfalls wollte uns der Hausherr Tee anbieten. Teju war der Vermittler. Wir wollten keinen trinken und versuchten, die Einladung höflich abzulehnen. Hans hat doch den Magen verstimmt. "You don´t need if you don´t want to."

Hier in der Wüste Thar wohnen die Rajputen, die Angehörigen der früheren Kriegerkaste. Vor dem Gesetz gibt es das Kastenwesen nicht mehr, aber in der Realität ist es noch wirksam. Die Rajputen betreiben heute Landwirtschaft. Ihnen und den "untouchables", die wir aber nicht zu Gesicht bekamen, wurde das Wüstenland hier zugeteilt.

"Wollen Sie die Schule sehen?" fragte Teju. Ja. Die Schule ist ein neues ebenerdiges Ziegelgebäude in der Form einer länglichen Schachtel. Es gibt fünf Klassen. "Mädchen besuchen meist nur die Pflichtschule, Buben gehen öfters noch weiter zur Schule." Die Kinder hatten gerade Mathematik-Unterricht, Englisch und das dritte war vielleicht Hindi. Sie saßen alle am Boden. Für Lehrerinnen und Lehrer – wir sahen zwei Frauen und einen Mann – ist jeweils ein Stuhl bereit gestellt. "Die Lehrer kommen jeden Tag von Jaisalmer hierher." In jeder Klasse gab es eine Tafel an der Wand. "Die Schulsachen kriegen die Kinder vom Staat", sagte Teju. Und auch das Essen. Hinter einer Tür standen Schüsseln mit einem Getreidebrei. "Das ist gut für das Gehirn", sagte Teju. "Was sollen wir den Kindern geben, Geld?" "No, sweets." Wir hatten keine Süßigkeiten oder andere Geschenke mit, aber eine Lehrerin beschämte uns, indem sie uns "goodsies" anbot.

Am beeindruckendsten war für mich das Bauernhaus mit den bunt gekleideten Frauen. Hans ritt auf dem Kamel mit seinem Führer dorthin und erwartete uns schon, aber wieder abgestiegen. Wir kamen mit dem Jeep. Die ältere Frau hatte die Arme voll mit den hier üblichen Armreifen - früher anscheinend Elfenbein, heute Plastik, doch das weiß ich nur aus dem Buch von Hans Silvester, ich fragte nicht. Die ältere hatte ihren gelben Schleier über das Gesicht gezogen, die jüngere, orange gekleidete, zeigte ihr Gesicht freimütig. Um die jüngere Frau scharten sich sieben Kinder. Wir bekamen nicht heraus, ob die alle von ihr waren.
Wieder große Aufregung der Kinder. Mr. Ujjwal schickt sicher oft Touristen zu diesen Leuten, aber am Grad der Aufregung hätte man meinen können, wir wären die ersten.
Wir wurden in die kreisrunde Hütte aus Lehm mit Strohdach geführt. Sogar am Tag war es fast finster drinnen. Eine Feuerstelle, Gerätschaften. Wo schlafen all diese Leute? In dieser Hütte. Das Anwesen bestand aber aus mehreren Hütten und Dächern, unter denen Liegeplätze zu sein schienen. Ein kreisrunder Metallrost wurde aufgehoben, einige schwarze Zicklein sprangen heraus.
"Das Kalb ist erst heute geboren", erklärte Teju und zeigte auf ein Kälbchen, das wackelig an seiner Mutter Milch zutzelte. Sogar eine kleine graue Katze lief herum und setzte sich unter den Jeep. Katzen als Haustiere seien aber eigentlich ungewöhnlich, erfuhren wir. Fotos aller Zusammenstellungen wurden gemacht, die beiden Frauen im knallgelben und im knallorangen Gewand, ich mit meiner knallblauen Windjacke in ihrer Mitte. Die Frau ohne Gesichtsschleier wies mich auf ihren Schmuck hin, Nasenschmuck, Stirnschmuck, Ohrschmuck, und sie zog aus ihrem Ausschitt einen riesigen prächtigen Anhänger. Ich bewunderte alles sprachlos. Dann drängten sich alle - die jüngere Frau und die Kinder - zu Teju und mir hinten in den Jeep. Hans saß immer neben dem Fahrer. Teju hatte uns gefragt, ob es ok sei, wenn die Leute ein Stückchen mitfahren. Wir ruckelten über die Sandpiste zum nächsten Dorf, wo die Frau und die Kinder zu einer Hochzeit gingen, die morgen stattfinden sollte.

In dieses Dorf führt bereits eine Stromleitung. Wieder wurden wir in einen Hof hineingeführt. Hier saß ein geschmückter junger Mann, der morgen heiraten sollte, umgeben von seinen Freunden. Mit uns strömten ungezügelt Kinder herein, die uns körperlich dicht bedrängten. Ein Mädchen versuchte mir meinen Ehering vom Finger zu ziehen. Ich wollte die Kinder nicht ungerecht verdächtigen, aber ich hatte Angst um die Geldbörse in Hans´ Hosentasche. Hans wurden sofort Bidis angeboten, wieder sollten wir Tee trinken und entkamen dem irgendwie. Fotos wurden gemacht und ich strebte hinaus.

In den Wüsten-Dörfern liegen die ebenerdigen Häuser weit auseinander, sie sind entweder aus Lehmziegeln und Kuhdung in surrealistischen weichen Formen oder zackig schachtelartig aus gebrannten Ziegeln gebaut. Im Hof neben dem mit den Männern drängten sich rotgekleidete Frauen und viele Augenpaare verfolgten uns über eine Mauer hinweg mit den Blicken. Es war mir nicht mehr angenehm. Eine schwarze Kuh geriet aus der Fassung. Ich bekam mit, dass Teju uns in noch ein dicht bevölkertes Haus führen wollte. "Ich möchte zurückfahren", sagte ich.
Sofort blieb er stehen und entschuldigte sich - obwohl es ja nichts zum Entschuldigen gab. Die Horde der Kinder und die Ekstase der Erwachsenen, durch die Feierlichkeiten, vielleicht Opium und zusätzlich touristische Beutetiere wie wir, wuchsen mir nur über den Kopf.

"Die Wüste ist ein Nationalpark", sagte Teju. Oder ein Naturreservat. Tiere: Wüstenfuchs, Gazelle, Streifenhörnchen, Mäuse, Vögel, Hühner. "Im Frühling und Sommer gibt es auch Reptilien. Die Schlangen sind jetzt unter der Erde", erfuhren wir. "Nur manchmal kommen sie herauf, am Nachmittag, wenn es warm ist." Wir saßen gerade beim Essen auf einer blauen Decke, und eine sandgetrübte Nachmittagssonne wärmte die Luft.
"Unter der Erde können die Schlangen besser Insekten fangen. Nein, sie machen keinen Winterschlaf. Im Sommer, wenn es 50, 55 Grad hat, dann liegen sie auf den Büschen, weil es ihnen auf dem Sand zu heiß ist." Ich stellte mir eine Kobra eingeringelt auf dem Busch neben uns vor.

Beim Jain-Tempel - entweder in Amar Sagar oder in Lodhruva - gab es eine "Hauskobra". Die Kobra ist ja ein heiliges, ein positives Tier. Im Tempel befand sich ein A4 großes Foto von ihr, vor dem geopfert wird. Hinter dem Tempel beugte sich ein Priester oder anderer Tempelangehöriger gerade über einen viereckigen Behälter. "Hier wohnt die Kobra." Eine Schüssel Milch war bereits angerichtet. "Sie trinkt jeden Tag ihre Milch, und manchmal kann man sie dabei auch beobachten", wurde uns berichtet. Ich schaute auf meine Füße ohne Schuhe - die meisten Tempel darf man nicht mit Schuhen betreten - und wusste nicht, ob ich mich fürchten sollte oder nicht.
Die Jain-Tempel, die wir besuchten, sind aus Sandstein und mit herrlichsten Reliefs und Zierraten versehen. Offensichtlich werden in diesen Jain-Tempeln auch Hindugötter verehrt. Aber an sich kennt der Jainismus keine Götter, sondern verehrt "teachers". "Es gibt weiße und schwarze Lehrer." Darunter sind auch einige Frauen. Um den Kopf der schwarzen winden sich 1000 Kobras.
Teju erklärte uns immer wieder den Unterschied zwischen der Moslem- und der Hinduarchitektur. Die Jain-Tempel vermischten die Elemente. Hindu-Bauwerke haben die Reliefs aus dem Stein gehauen, die islamischen in den Stein, die Moslems haben nur Pflanzenornamente, die Hindus Tier-, Menschen- und Götterdarstellungen. Halbrund sind die moslemischen Torbögen, während die hinduistischen in einer Art Dreieck zusammenfinden.

Auch in Bada Bagh, bei den Kenotaphen der Herrscher von Jaisalmer, begegneten wir einer Hochzeitsgesellschaft. "Für die Leute ist der König immer noch ein Gott, obwohl er das eigentlich nur bis 1950 war", erklärte Teju. "Mit der Unabhängigkeit Indiens ist der König ein normaler Mensch geworden. Aber Hochzeitspaare kommen noch immer hierher und bitten um Glück für ihre Zukunft." Die bunte Gruppe ließ sich bereitwillig fotografieren.
Die Kenotaphe für die Maharaja-Familie bestanden jeweils aus einem großen Pavillon für den König und kleinen Pavillons für die Königinnen. "He was a happy man, he had only one queen", bemerkte Teju bei einem Grabmal. Der älteste Sohn der Hauptfrau organisierte jeweils die Denkmäler für die toten Eltern, und naturgemäß stellte er oft seine Mutter besonders heraus.
Von den Kenotaphen aus schweift der Blick über eine Windfarm mir 100 Windrädern. Eine Schweizer Firma hat den windmills-plant (Windfarm) zur Stromerzeugung in der Wüste Thar eingerichtet. Auch die Firma ENRON und eine holländische Firma betätigten sich hier auf diese Weise. Es sah eigenartig aus, die Growiane als Hintergrund für die Grabmäler der Herrscher von Jaisalmer.

 
In Amar Sagar gab es die "agriculture farm" des Königs, einen See, der aber derzeit ausgetrocknet ist, und ein Bewässerungssystem, das jedenfalls jetzt auch funktioniert, da junges Gemüse wuchs.

Eigentlich sollte den Abschluss des Ausflugs der Sonnenuntergang in den Sanddünen bilden. Die Wanderdünen bilden breite Hügel und es war ein eigenartiges und erhebendes Gefühl, wirklich und wahrhaftig in der Wüste spazieren zu gehen - auch wenn der kalte Wind uns den Sand gnadenlos in die Augen und in die Schuhe wehte und der Himmel eintönig grau war.

Heute müssen wir in einer Suite um 7000 Rupien schlafen, weil "unser" Zimmer vorbestellt war! Viel zu groß, ungemütlich, und für Hans ist das Bett zu kurz. Aber das Personal ist ausgesprochen nett. Es erfüllt jeden Wunsch, zum Beispiel bürsteten die Buben die sandverpickte Barbourjacke von Hans. Kellner und Boys erkundigten sich mehrmals, ob es Hans schon wieder besser geht. Und einer der Kellner, der uns beim Abendessen am ersten Abend betreute, entschuldigte sich am zweiten Abend: "Es sind so viele Gäste hier, ich konnte mich Ihnen nicht so widmen wie ich sollte." Heute scherzte und plauderte er wieder mit uns und gab Hans Ratschläge für magenfreundliche Speisen.
Rang Mahal, der Name des Hotels, heißt übrigens "colourful palace".

Wir haben Teju versprochen, uns darum zu kümmern, wie der Baum mit kleinen lila Blüten und einer giftigen weißen Milch heißt. Vielleicht weiß das einer der Experten in unserem Waldforschungszentrum.









11. Februar 2005, Freitag - Fahrt von Jaisalmer nach Jodhpur

I left my heart in Jaisalmer ...
Wir sitzen in einem indischen Suzuki-Auto und fahren durch den Nebel. Die Straßen in Jaisalmer wurden von einer "Border Roads Organisation" angelegt. "Die Straßen hier sind so gut", sagte uns Teju, "weil sie für militärische Zwecke angelegt wurden."
10.15 Uhr. Der Nebel ist weg. Man sieht sehr viel Militär auf den Straßen. Hans sah ein Schild, auf dem "Friedly firing" steht.
Noch fahren wir durch die Wüste. Eine große Tankstelle von Indian Oil. Viele Lastwägen.

Gibt es Öl in Indien?
In der Ferne - Öltürme oder Handy-Masten?

Ein Ort - verschleierte Frauen, ein Markt, Schmutz. Schwarze Öffnungen zu den Geschäften, Tuktuks, Kühe. Viele Moslems, jedenfalls Männer mit weißen Kappen.
An der Landstraße. Frauen schneiden Äste ab.
Rechts und links Schafe, weiß mit schwarzen Ohren, die die Straße überqueren.

Jausenstation. Eine indische Familie rastet ebenfalls hier, zwei Söhne und zwei Töchter, Saris in blau und in rot. Sie fahren auch mit Chauffeur.

Wie es bei uns Fasane oder Rebhühner gibt, so gibt es hier Pfaue.
Eigentlich ist das Waldweide, was die Tiere hier machen. Sie ernähren sich alle von den Büschen der Wüste. Lustig schaut es aus, wenn schwarze Ziegen sich stehend an dem Blattwerk von Büschen gütlich tun.

Frauen schöpfen Wasser bei einem Brunnen in der Nähe der Straße, ein buntes Bild.
Zeitweise scheint jetzt schon hell die Sonne und ab und zu ist ein grünes Feld sichtbar.

"Busstation": Eine Art Jeep, voll mit stehenden Leuten, hält. Zwei Männer im Sakko erheben sich vom Straßenrand auf und versuchen, einzusteigen.

Eine große Menge Frauen in schönster bunter Kleidung graben rechts von der Straße in der Erde. "Here dam, water dam, working", sagt unser Fahrer. Ein Esel überquerte die Straße.

Es geht jetzt schon die längste Zeit bergab. Liegt die Wüste Thar so hoch? Sind das die Aravalli-Berge?

Gerade sahen wir am Straßenrad "deer", kleine Tiere, wie Rehe, mit zwei steilen geraden Hörnern. "Indian animal", sagt der Fahrer.

Jetzt sind schon Bäume an der Straße. Und es gibt vulkanische aussehende Berggupfe. Kleine Dörfer mit blauen Häusern.

"Bharat Petroleum" stand auf dieser Tankstelle. "Bharat" heißt wie schon gesagt Indien. Auf einem Auto stand zu lesen: Safe oil, safe India.

Der Kaylana-See. Der Fahrer setzt uns hier ab. Ein Restaurant, junge Leute. Endlich ein See, in dem Wasser ist. Jodhpur nimmt das Trinkwasser von diesem See.


 

Jodhpur

(mehr dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Jodhpur)

Abends. Wir sitzen jetzt im Hotel Shree Ram International im Restaurant. Hans hat soeben seine Suppe bekommen.
Heimweh nach Jaisalmer. Ich sah im Hotel Shree Ram International den ersten dicken Kakerlaken - wenn auch tot!
Auch hier wollte ich ein anderes Zimmer, weil unser ebenerdiges Fenster auf ein Hochzeitsszenario blickt - sicher interessant, aber in der Nacht auch laut. Wir bekamen die Suite! Die hat einen schmutzigen Sisalboden. Zum ersten Mal kein Steinboden. Also "ausgezeichnet" wie im Reise Know how-Führer steht, ist dieses Hotel wirklich nicht. Aber, wie Hans sagt, der Autor des Buches ist ein Mann, und legt an die Sauberkeit eines Zimmers andere Maßstäbe als ich. Im Klo und im Waschbecken liegen kleine weiße Desinfektionskugerln, die so stinken, dass allein vom Geruch ein Kakerlake wahrscheinlich umgehaut wird. Die ganze an sich schöne Suite ist äußerst schlecht gepflegt. Schade.

Rückblick auf den heutigen Tag.
Um halb neun schon kam unser Chauffeur zum Hotel Rang Mahal in Jaisalmer. Ich kaufte noch Ansichtskarten. Punkt neun Uhr fuhren wir los. Nebel, Nebel. Und viele indische Fahrzeuge fahren auch bei Nebel ohne Licht! Auf den Straßen war viel Armee, und wir fuhren bis knapp vor Jodhpur an Wüste vorbei.
Es gab entlang der Strecke immer wieder Wohnhäuser zu sehen und schön angezogene Frauen bei der Arbeit und viele Tiere, die sich selbstverständlich auch auf der Straße bewegen. Zweimal sahen wir ein überfahrenes Tier, aber die Inder halten in der Regel rechtzeitig an.

Nach zwei Stunden Fahrt jausneten wir in einem Dorf. Ich fragte, ob es Toast oder Sandwich gebe. "This is a village Maam!" Ich zeigte auf die Speisekarte der Nachbarn und bekam ein Aloo Parvati (oder so ähnlich), ein Chapati mit Erdäpfel. Schmeckte köstlich. Hans aß weißen Reis, und wir tranken indischen Tee.
Während ich auf der Toilette war, dokumentierte Hans den Kampf zweier Bullen mit seiner Kamera.

Um Jodhpur herum recken sich wilde Felsen in den Himmel. Auf solch einem steht das Meherangarh Fort.
Aber bevor wir dieses besuchten, fuhren wir zum Hotel, vorbei an Slums und sonstigen indischen Szenen. Einchecken im Hotel, geringe Begeisterung. Tee. Der Chauffeur wartete ungern.

Die Fahrt zum Fort unterbrach der Chauffeur und brachte uns bei seinem Chef vorbei, der uns mitteilte, dass die Stadtbesichtigung nicht zum bezahlten Programm gehöre. Wir zahlten für die Fahrt Jaisalmer-Udaipur 300 Dollar. Jedenfalls verlangte er weitere 500 Rupien, was sicher nicht in Ordnung war. Das Auto stünde uns an den Tagen, an denen wir es gemietet hatten, ständig zur Verfügung, war uns versprochen worden. Wir blätterten fünf Hundertrupienscheine hin.
Unser Fahrer, der in Jodhpur zu Hause ist, beschwor uns, vor dem Fort das Jaswant Thada, das Grabmal des 1895 verstorbenen Maharajas Jaswant Singh II, zu besuchen., Die Sonne schien, die Bougainvilleas leuchteten rot, der Himmel war blau und die Häuser der Stadt schimmerten blau herauf. Die Welt war in Ordnung. Übrigens hat das romantische Blau der Altstadthäuser von Jodhpur profane Gründe. Ursprünglich waren die Häuser mit Kalk geweißt, bis man entdeckte, dass ein Zusatz aus giftigem Kupfersulfat die allgegenwärtigen Termiten fernhält, und dass die so entstandene Blautönung die Hitze erträglicher macht (Indien. Die schönsten Bilder, Herausgeber Peter-Matthias Gaede, Geo im Verlag Gruner + Jahr & Co KG, Hamburg, 2004).

Das Meherangarh-Fort ist sagenhaft. Riesig türmt es sich auf einem zirka 500 Meter hohen steilen Felsen auf. Anscheinend vermarktet es die Maharaja-Familie selbst, und die macht das mustergültig. Lift, Audioguides in verschiedenen Sprachen. Leider musste Hans dafür seine Visakarte einsetzen, weil unsere Pässe im Hotel waren.
Das Museum im Fort erstreckt sich über sieben Stockwerke. Fürstliche Sänften und fürstliche Wiegen, mit Elefanten und Löwendarstellungen. Wunderhübsche Miniaturmalereien wurden ausgestellt. Rajasthan ist ein Eldorado der Miniaturmalerei. Jede Gegend hat ihre eigene Spezialität. (Miniaturmalerei: http://www.aeiou.at)
Höhepunkt waren die Säle, in denen sich der Maharaja und seine Freunde vergnügten, wo Musik, Dichtung und Malerei zusammengeführt wurden und eine Pracht ohnegleichen herrschte. Durch die großen Fenster freier Blick auf das weit weit unten liegende Jodhpur. Woher das Geld für den Luxus kam, wird nicht angeführt.

Schließlich erfuhr man auch einiges über das Purdah-System, das Einsperren der fürstlichen Frauen. Sie durften ihren Teil des Palastes nie verlassen. Im Audioguide erzählte die alte Fürstin, wie sie mit 16 Jahren in dieses System eintrat, das dann abgeschafft wurde. Auch ihre Schwiegertochter kam zu Wort. Heute hat die königliche Familie unter anderem einen Verlag, mit dem die Schätze des Forts ans Publikum gebracht werden, berichtete die Schwiegertochter.

 

12. Februar 2005, Samstag - Fahrt von Jodhpur nach Udaipur

Ein Liter Benzin kostet 28,43 Rupies, also zirka einen halben Euro.
Wir befinden uns auf der Fahrt von Jodhpur nach Udaipur.
Bougainvillea-Büsche. Schönes Wetter.
Das Hotel Shree Ram International bzw. die Zimmer waren wie schon gesagt ungepflegt, was schade ist, da es von seiner Anlage her sehr hübsch ist. Es liegt an einer befahrenen Autostraße, ist aber durch eine lange Einfahrtsallee und Grünflächen vom Lärm abgeschirmt. Im begrünten Innenhof gibt es ein Schwimmbecken. In diesem Innenhof tranken wir gestern abend unser Kingfisher-Bier. Heute frühstückten viele Gäste dort. Sehr viele westliche Gäste wohnten im Haus, unter anderem eine ganze englischsprachige Sportmannschaft - Cricket, Polo, Baseball, so irgendetwas.

Nachtrag zu "Jesselmer": Dort waren gerade Gemeinderatswahlen. Teju sagte, es gebe praktisch nur zwei Parteien, die Kongreßpartei und die nationalistische hinduistische Partei, die Bhartiya Janta Party (BJP). Anscheinend war das letzte Wahlergebnis sehr knapp und man wartete mit Spannung auf das Ergebnis dieser Wahl.
Rajasthan hat übrigens eine Frau als "chief minister". Smt Vasundhara Raje, geboren am 8. März 1953 in Mumbai. Sie ist das vierte Kind des "amtsinhabenden Herrschers von Gwalior, seine Hoheit Jivaji Rao" etc. Jedenfalls wurde sie am 8. 12. 2003 zum ersten weiblichen chief minister - würde unserer Landeshauptfrau entsprechen - von Rajasthan gewählt .

Bis Udaipur haben wir noch 265 km. Die Landschaft hier an der Ausfahrt von Jodhpur ist flach und wüstenhaft. Wohin sind die Berge verschwunden? Eine schöne Straße, die schönste bisher, was ihre Beschaffenheit betrifft.

Gestern abends ging es noch zu in unserem Hotel. Rechts und links vom Hotel wurde auf den Rasenflächen je eine Hochzeit ausgerichtet. Ein Augenschmaus für Westler. Als wir nach dem Abendessen auf den Platz vor das Hotel traten, war dort alles in Bewegung. Die Bäume mit Lichterflor versehen, Lichtergirlanden überall. Elegante Privatautos und Taxis fuhren vor und luden wunderschön gekleidete Damen und elegant gekleidete Herren aus. Zu Festen tragen die Inderinnen offensichtlich einfärbige Saris in leuchtendem Blau, Grün, Rot oder Violett mit breitem goldenen Saum. Hans holte seine Kamera. Wir kamen uns aber etwas deplaziert vor, in unseren Jeans und mit unseren neugierigen Blicken. Auch viele Kinder waren anwesend, und drei Buben kamen bald auf uns zu und fragten, woher wir seien. Wir mußten sie fotografieren und fragten, wie alt sie seien: 14 und 15 Jahre alt. Dann zogen wir uns zurück.

Jetzt sind wir in einer Stadt namens Pali (im Internet lese ich, dass es sich um "die Färberstadt Pali" handelt). Sehr viele Lastwägen. Im Auto ist es heiß, aber leider: "The AC is broken", konstatierte der Fahrer. Das heißt, dass die Klimananlage des Autos kaputt ist. Für dieses Auto mit AC (ausgesprochen "äischi") haben wir einen speziell hohen Preis gezahlt!

 

Udaipur

In Udaipur (mehr dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Udaipur).
Zum Glück ist das Hotel Lake Pichola so nett wie im Reiseführer und Internet angekündigt. Und Herr Singh, der Hotelbesitzer, auch. Er klopfte an unsere Zimmertür, stellte sich vor, sagte, dass er sich solche Sorgen gemacht habe, weil er glaubte, dass wir zuerst in einem Zimmer ohne Seeblick sein müssten. Aber er habe es managen können, dass wir schon heute ein deluxe-Zimmer hätten. Er sei ein Jahr in Kleßheim bei Salzburg gewesen, und immer wenn Österreicher kämen, schlage sein Herz höher. Und er legte die Hände auf sein Herz. Ich bedankte mich recht herzlich für seine Freundlichkeit.

"Is this the lake?" frage ich erstaunt, als wir ankommen. Mein Blick fällt auf eine almartige Fläche, ich sehe Kühe. "Der See ist ausgetrocknet, weil der vorjährige Monsun ausgeblieben ist", antwortet der Bedienstete der Hotelrezeption zurückhaltend. Aber die Häuserfront des alten Udaipur mit seinen Palästen wirkt auch so romantisch, und weiter vorne ist eine Lache, auf der Fährboote zum im Trockenen stehenden berühmten Hotel Lake Palace ziehen.
Im ausgetrockneten See weiden Kühe, Hunde laufen herum, Bewohner kürzen den Weg in die Altstadt ab.
Hier scheint es viel wärmer zu sein als bisher. Den ganzen Tag hatten wir einen blauen Himmel, eine Novität. Nach der Ankunft tranken wir auf der DachterrasseTee. Das war sehr schön. Wieder einmal das auf dieser Reise nur punktuell auftretende Gefühl, im Urlaub zu sein.
In unserem Zimmer hängt ein sibirisch aussehender Tiger an der Wand. Ich ließ die Betten frisch überziehen. Die Boys legten sich mit ihren schwarzen Straßenschuhen auf die Matratze, die den Balkon ausfüllt und breiteten auch dort ein frisches Leintuch drauf. Der Strom flackert.
Wir duschten und ich musste an den Wassermangel in der Stadt denken! Von draußen kommt Gesang herein - es scheint, dass eine Konkurrenz zwischen Moschee und Tempel herrscht, wir hören die hallende Stimme des Muezzin und hinduistische Gebete. Seit unserer Ankunft begleiten uns Lieder und Gesang wie eine bestellte Hintergrundmusik. Auch in Delhi am Connaught Place und in Jaipur im Hotel Mansingh Palace nahe der Hauptverkehrsader, der Mirza Ismail Road, wurde uns dieses Lokalkolorit als musikalisches Service geliefert.

Was war sonst heute? Der Fahrer holte uns mit einer halbstündigen Verspätung im Hotel Shree Ram ab. Ich überlegte schon wieder einmal Alternativpläne für den Fall, er würde gar nicht auftauchen. Nach zirka zwei Stunden Fahrt Jause mit Spinatkartoffeln und Chapati. Ein Hochzeitspaar rastete ebenfalls hier, sie kamen in einem weißen Auto. Der Bräutigam in dunkelrotem Seidenhemd und weißem Anzug, die Braut in einem roten Crepe-Sari. Zwei, drei Burschen begleiteten sie auf ihrer Hochzeitsreise. Die Braut sah bedrückt aus und schwieg.

Die nächste Station war Ranakpur (mehr dazu)  "Zusammen mit dem Dilwara-Tempel in Mount Abu gehören die Tempel von Ranakpur zum Schönsten, was die Jain-Kunst je hervorgebracht hat und damit zu den beeindruckendsten Sakralbauten Nordindiens. Bereits der erste Eindruck der Marmorbauten vor der Bergkulisse, zusammen mit den großen schattenspendenden Bäumen, den lilafarbenen Bougainvilleas, den frechen Affen und den umherstolzierenden Pfauen, nimmt einen sofort für den Ort ein" (Reise Know How-Rajasthan).
Bei unserem Besuch fehlten nur die Pfauen aus diesem Bild.

Der Jain-Tempel ist aus weißem Marmor, aber dessen Weiß ist nicht so weiß wie der Marmor des Taj Mahals (vor einer Woche!). Alles ist voll Reliefschnitzereien, und der Tempel ist riesig groß.
Eingang und Decken sind mit Weihnachtskugeln bespannt, auf der Stirnseite der Stufen ist buntes Staniolpapier angebracht.
Es gab nur wenige Bettler, außer den Mönchen, die einem eine orange Paste als Begrüßungssegen auf die Stirn knallen und dafür wenn möglich Euro einheimsen wollen. Beim ersten ließ ich das über mich ergehen, dann aber wehrte ich immer entschiedener ab.
Insgesamt war der Stop in Ranakpur schön, geruhsam und die Stimmung dort trotz vieler Touristen ruhig und gelassen.

Dann ging es weiter, auf einer schönen bis "entrischen" Bergstraße über die Aravalli-Berge neunzig Kilometer bis Udaipur. Wir fuhren durch viele Dörfer und an vielen Bauernhäusern vorbei. Wieder einmal hätte allein diese zweistündige Fahrt Material für einen ganzen Bildband hergegeben, aber wir machten kaum ein Foto. Hans sagt, die Landschaft habe ihn stark ans Mühlviertel erinnert, weil sie hinter jedem Eck anders ausschaute. Die Frauen arbeiteten wie überall in ihren prächtigen farbenfrohen Gewändern. Unter anderem sahen wir, wie ein Mann auf altertümliche Weise Wasser schöpfte, indem er mit einem Ochsen im Kreis ging.
Das Auto hatte leider einen Defekt, und ich war beunruhigt. Anscheinend war der Ventilator, der den Motor kühlen soll, kaputt, denn immer wieder erhob sich aus der Richtung des Motors ein ohrenbetäubender Lärm. Wenn er aufhörte, atmete man erleichtert durch, aber bald darauf ging das Getöse wieder los. Auch unser Fahrer wurde nervös, blieb stehen, öffnete die Motorhaube und schloss sie ohne Ergebnisse. Schließlich blieb ihm nichts übrig als weiterzufahren und zu hoffen, dass wir bis Udaipur durchkommen.
In der grünen Landschaft unter dem blauen Himmel gab es wenig Verkehr und unser Fahrer fuhr trotz halbkaputter Kraxe sehr gut. Dann Udaipur. Der Fahrer musste mehrmals fragen, bis er das Hotel Lake Pichola fand. Zum Abschluss hielt er uns einen "questionnaire" hin. Hans kreuzte wie immer überall "excellent" oder "very good" an. Der Mann dankte uns mit festem Händedruck. Er fährt mit dem lärmenden Verhikel heute noch nach Ranakpur zurück und morgen dann nach Hause, nach Jodhpur.
Udaipur, durch das wir auf der Hotelsuche kreuzten, schaut genauso schmutzig und chaotisch aus wie die anderen indischen Städte, die wir bisher besuchten. Mit dem Unterschied, dass ich hier aufgrund der Loblieder in den Reiseführern einen Aufenhalt von sechs Tagen eingeplant habe. Vielleicht hat der Reisebüroagent in Delhi doch recht gehabt, dass für Udaipur zwei Tage reichen? Noch dazu, wo die größte Attraktion der Stadt, ihre Spiegelung im lieblichen See, abhanden gekommen ist?

Das Abendessen war billig und köstlich. Der Kellner in dunkelrotem Sakko und schwarzer Hose schenkte uns das Kingfisher-Bier in silberne Humpen! Zumindest schauen sie silbern aus. Es herrscht hier eine freundliche und gepflegte, aber nicht die großartige bombastische Atmosphäre der Fünfsternepaläste.
Nach dem Abendessen saßen wir noch auf der Dachterrasse.
Im Buch "Zeit für Indien", das für meine Sehnsucht nach Udaipur hauptverantwortlich ist, liest man: "Doch von den Balkongalerien des `Lake Pichola Hotel´, die jedem Gast seinen eigenen kleinen Aussichtsplatz bieten, ist der Ausblick zur Nachtzeit vielleicht am schönsten? Längst haben die Wäscherinnen direkt gegenüber am Gangaur-Ghat ihre Arbeit eingestellt, das rhythmische Geräusch der auf die Stufen geschlagenen Wäsche ist verstummt. Nur manchmal läutet stattdessen ein Tempelglöckchen, heftig und unmelodisch. Lackschwarz glänzt der See, spiegelt blinkend die Lichter der Altstadt, und kleine Boote bringen die Gäste heim zum Landeplatz des `Lake-Palace´ Hotel."
Romantisch blinkten die Lichter des City Palace auch ohne See zu uns herüber. Aber die Moskitos, die vom Seeboden heraufschwärmten, vertrieben uns.

Direkt gegenüber vom Hotel fanden wir ein Internet-Büro, von dem aus wir unsere Emails versandten. Der Abendspaziergang endete schneller als geplant. In der Nachbarschaft befinden sich zwei Hotels. Rikschafahrer, Bettler und Andenkenhändler versammeln sich bei dieser Hotel-Agglomeration und überfallen einen, sobald man ins Freie tritt. Die Straßen in der Hotelumgebung sind nicht sauberer als sonstwo, bevölkert mit streunenden Kühen, streunenden Hunden und streunenden Bettlerkindern, und die engen Gassen schauen im Dunklen nicht sehr vertrauenserweckend aus. Allerdings aßen sehr wenige Hotelgäste im Hotel, das bedeutet, dass ein Spaziergang in ein anderes Restaurant sehr wohl möglich sein muss.

Den ersten wirklichen untouristischen Lastelefanten haben wir übrigens hier gesehen, knapp vor Udaipur. Hans sagt, er habe in freundlicher Grußmanier den Rüssel gehoben. Leider schaute ich gerade auf die andere Straßenseite.

Weiter zu Teil 3


Ruth Linhart | Reisen | Anfang | Fotos Email: ruth.linhart(a)chello.at