Ruth Linhart | Japanologie | Texte


Itsuko Teruoka:
Bücher schreiben macht mich glücklich

"Was ist Reichtum?" heißt das bekannteste Buch von Itsuko Teruoka, 79. Es schildert die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Japan, die der Preis für den nationalen Reichtum sind. Seit 1989, als das Buch erschien, hat Itsuko Teruoka acht Millionen Exemplare verkauft. Als "Armes Japan - Die Schattenseite des Wirtschaftsgiganten" ist es auf Deutsch zu haben. Auch ihr Kinderbuch "Du, gibt es den Weihnachtsmann wirklich?" wurde ein Millionenbestseller. Itsuko Teruoka
In Japan ist die emeritierte Wirtschaft- und Sozialwissenschaftlerin aus Tokyo durch ihre Bücher, Artikel und Fernsehauftritte eine bekannte Persönlichkeit. Ich treffe sie in Wien, auf einem Zwischenstopp in den Kosovo. Dorthin bringt sie Geld und Sachspenden für behinderte Flüchtlingskinder. Mit Wien verbindet sie eine lange Beziehung. Hier war sie, ebenso wie in Berlin, Gastprofessorin an der Universität.

Itsuko Teruoka wurde 1928 geboren. Ihre Kindheit fiel in eine Zeit, in der Frauen in Japan dem Vater, dem Ehegatten und dem Sohn untergeordnet waren. Sie erinnert sich: "Als ich elf Jahre alt war, habe ich in einem Aufsatz geschrieben: `Ich möchte auf alle Fälle einen Beruf haben´." Die Eltern waren überrascht und dagegen. Sie wussten, dass berufstätige Frauen schwer einen Mann finden, und das war damals das oberste Gebot. Die große Wende kam, als der Krieg 1945 aus war. "
Mit der neuen Verfassung kam die Gleichheit von Mann und Frau, von da an war mein Vater mit meinen Plänen voll einverstanden". Zuerst studierte sie Literatur, dann Wirtschaft an der renommiertesten Uni des Landes, der Tokyo-Universität. Hier lernte sie ihren Mann kennen, mit dem sie zwei Söhne hat. "Im Beruf habe ich selbst nie Probleme mit der Gleichberechtigung gehabt", meint sie. Sie wurde Universitätsprofessorin an einer guten Universität. "Aber als meine Kinder klein waren, das war eine schwierige Zeit. Damals bin ich fast nicht zum Schreiben gekommen. "

Die berufliche Situation der Japanerinnen im Jahr 2007 sieht sie so: "Mehr Frauen als früher sind berufstätig, zirka die Hälfte. Der Lohn der Frauen ist immer noch niedriger als jener der Männer. Es gibt Gesetze, die es verbieten, Frauen im Beruf zu diskriminieren. Aber es gibt die indirekte Diskriminierung. Zum Beispiel, dass Frauen bei gleicher Qualifikation andere, weniger bezahlte, weniger prestigereiche Arbeiten bekommen als Männer."
Frauen stellen 70 Prozent der Kurzzeitarbeiter, die sozial und finanziell schlechter daran sind als fest Angestellte. Dass ungesicherte Arbeitsverhältnisse wie Teilzeit, Leiharbeit, Entlohnung nach Auftrag oder Erfolg und stundenweises Arbeiten auch für Männer immer häufiger werden, erfüllt sie mit Sorge. "Die Männer sinken allmählich in die schlechten Bereiche ab - wir nähern uns einer unerwünschten Gleichheit zwischen den Geschlechtern auf einer niedrigeren Ebene!"

Itsuko Teruoka ist aber keine Frau, die jammert. Sie ist überzeugt, dass persönliches politisches und soziales Engagement dazu beiträgt, die Welt zu verbessern, und dabei kennt sie keine Grenzen. "Als ich 1992/93 in Wien Gastprofessorin war, haben mich Studenten eingeladen, in das Kriegsgebiet auf dem Balkan zu fahren". Das Elend, das sie dort gesehen hat, hat sie tief erschüttert. Sie war seither oft dort, auch mit japanischen Studenten und Schülern, die bis dahin gedankenlos im Wohlstand aufwuchsen.
Gemeinsam mit dem "International citizens network" und Freunden in Deutschland und Österreich hat sie eine neue Heimstätte für 40 behinderte Flüchtlingskinder in Mitrovica initiiert. Ein großer Teil des Geldes, das sie mit ihren Millionenbestsellern verdient, fließt für diesen guten Zweck.
Mit 79 ist sie neugierig wie eh und je. "Für das, was man Wissen nennt, habe ich eine ungeheure Leidenschaft", sagt sie. "Und am glücklichsten bin ich, wenn ich ein Buch schreiben kann". Darum wartet, wenn sie nach Hause kommt, schon das nächste Buchprojekt auf sie, und zwar Essays über eine solidarische Gesellschaft.

"Was ist Reichtum" in in Deutsch unter dem Titel "Armes Japan. Die Schattenseite des Wirtschaftsgiganten" bei Amazon.de erhältlich.

Ruth Linhart, leicht gekürzt und mit dem Titel "Welt verbessern" in Welt der Frau, 10/2007 S. 20


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