Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Resümee

Äußerliche Vernunft - innere Ratlosigkeit

Zu Liebe: "Ohne sich um die Meinung der Umgebung kümmern, soll man sie oft erleben". (Eine 22jährige Frau).
Zu Ehe: "Ich glaube, daß die Übereinstimmung mit den Menschen der Umgebung wichtig ist." (Eine 29jährigen Frau).
Zu Sexualität:   "...eine der drei großen Begierden der Menschen. Wenn man mit ihr verantwortungsvoll umgeht, habe ich nichts dagegen." (Eine 52jährige Frau)


Bevor ich im Sommer 1988 aus Japan abfuhr, fragte mich Kazuko Suyama vom Beratungszimmer für Frauen, Hamamatsu, ob ich nun bereits eine fertige "Theorie" über die japanischen Frauen im Kopf hätte. Als ich verneinte, war sie sehr erleichtert. Aus dem, was sie in Büchern von westlichen Frauen gelesen habe, lebten bei uns Frauen nicht wesentlich anders als in Japan, meinte sie.
Ich will auch heute, drei Jahre später und nachdem ich das damals erhobene Material durchgearbeitet habe, keine neue Theorie über japanische Frauen aufstellen und mich so wenig wie möglich zu Verallgemeinerungen verleiten lassen. Allerdings ist das schwierig, denn eigentlich hat auf die Fragestellung die Abhandlung und nach der Abhandlung die Schlußfolgerung zu kommen. Ich bin von folgenden Fragen ausgegangen:

Wie schaut die Beziehung japanischer Frauen zu ihren Partnern aus?
Welche Rolle spielt die Liebe für japanische Frauen?
Wie schützen sie sich vor Verletzungen und Enttäuschungen?
Sind japanische Frauen emotionell unabhängiger von ihren Partnern, weil sie sich weniger durch Liebe binden und die Vernunft stärker sprechen lassen?

Interviews und Befragungsergebnisse zeigen ein vielfältiges Bild. Ich möchte es nicht nun zu einem Einheitsbrei vermixen: oben schütte ich die diversen Ingredienzien - manche vertraut, manche exotisch duftend - in die Faschiermaschine, unten kommt ein Ergebnis heraus, das zwar auch nicht übel schmeckt, aber die einzelnen Bestandteile zur Unkenntlichkeit neutralisiert. Ich hoffe, daß sich Leserinnen und Leser jeweils aus den vorhergehenden Seiten ihre eigenen Schlußfolgerungen zurechtlegen.

Ich möchte mich damit begnügen, schlagwortartig aufzuzählen, was die Gespräche und Befragungsergebnisse an Erstaunlichem und teilweise scheinbar Widersprüchlichem zutage brachten:
  1. Die Inhalte der Liebe und die Position der Liebe im Lebenszyklus und in der Ehe: Einerseits der starke Beigeschmack von Jugend, Freiheit, Gleichberechtigung und Nähe zwischen den Geschlechtern. Anderseits die kurze und, sozial gesehen, unbedeutende Phase im Lebenszyklus, die der Liebe eingeräumt wird.
  2. Der große Wunsch nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmung bei der Jugend, der aber ein großes Bedürfnis nach Harmonie, sprich nach Übereinstimmung mit Eltern, Ehemann und Kindern, nicht ausschließt.
  3. Die Vernunft, mit der die Ehe betrachtet wird, auf der einen Seite und die intensiven Wünsche nach Kommunikation und Zärtlichkeit auf der anderen Seite. Auch sie werden - neben praktischen Belangen - auf den Ehemann projeziert (und scheinen im Laufe des Lebens oft auf der Strecke zu bleiben).
  4. Die dominierende Rolle, die sexuelle Wünsche in allen Altersgruppen einnehmen und die Strenge, mit der Sexualität noch immer in die Grenzen der Ehe gewiesen wird, dies jedoch von den älteren in weit stärkerem Maß als von den jüngeren.
  5. Die geringen Unterschiede, die zwischen Frauen und Männern gemacht werden, soferne es sich um Anforderungen und Erwartungen auf dem Gebiet der Sexualität und der Kommunikation dreht. An das Verhalten von Männern wird weitgehend derselbe Maßstab angelegt wie an das von Frauen: ein strengerer von den älteren, ein großzügigerer von den jüngeren Frauen.
  6. Die große Bedeutung und Wichtigkeit, die Berufstätigkeit und Arbeit in allen Altersgruppen beigemessen wird, dies sowohl in den Interviews wie auch in den Befragungsergebnissen.
  7. Der hohe Grad, mit dem Streß und Arbeitsdruck auch von Frauen in Japan mit "Lebensinhalt" und "Selbstverwirklichung" gleichgesetzt wird und die Ratlosigkeit von jüngeren Frauen angesichts des Widerspruchs zwischen Selbstausbeutung und Wunsch nach Glück.
  8. Die Vielfalt der Einstellungen und Lebensmuster, vor allem bei den jungen Frauen.
  9. Die Unterschiedlichkeit in den Unterschieden, die zwischen älteren und jüngeren Frauen auftreten: So nehmen alle Altersgruppen Arbeit und auch sexuelle und verbale Kommunikation äußerst wichtig, auffällig unterschiedlich sind hingegen zwischen den Altersgruppen die Einstellungen zu Sexualität und Lebensform (Ehe/Kinder): die alten sind traditionsverhaftet, die jungen liberal(er).
Zur Frage, wie sich japanische Frauen vor Verletzungen und Enttäuschungen schützen: Ausweichen und Verdrängen scheinen mehr als bei uns gesellschaftlich gestützte Strategien zu sein, daher auch leichter möglich. Ob japanische Frauen von ihren Partnern gefühlsmäßig unabhängiger sind als Frauen im Westen, kann ich auch am Ende dieser Arbeit nicht beantworten. Im Zentrum des Bewußtseins der Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, stehen jedenfalls eindeutig einerseits der Partner und anderseits die Arbeit.
Zwischen den Träumen vom Glücklichsein - sei es in der Beziehung oder in der beruflichen Unabhängigkeit - und der alltäglichen Realität zeigt sich bei den befragten Frauen eine Diskrepanz. Diese Diskrepanz ist bei den jüngeren Frauen größer als bei den älteren. Das Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Leben ist heute vielfältiger geworden - nur, wie diese Möglichkeiten so umgesetzt werden können, daß eigene Zufriedenheit und warme Beziehungen zu den nahen Menschen entstehen, ist vielen Frauen noch unklar.
Die Widersprüche zwischen eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen der Umwelt, zwischen dem, was Frauen sich wünschen und dem, was ihnen eingeredet wird, sind häufig groß und für sie selbst schwer durchschaubar. Der stärkste Eindruck ist: Hinter äußerlicher Vernunft viel innere Raltlosigkeit.

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at