Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

P.S. BRIEFE 1991

Herr U.s Anspruch auf Kinderbetreuungszeit ist nun zu Ende

Herr Hisayo U. mit Familie
16. Jänner 1991
Vielen Dank für Ihren Brief. Seit dem Sommer 1988 hat sich bei allen vier Familienmitgliedern nichts Auffälliges verändert. Naoki nimmt noch immer täglich eine Stunde Kinderbetreuungszeit, aber der Anspruch darauf endet heuer (1991) im März. Denn der Kleinere kommt im April in die Volkschule. Und die Firma (ein Lehrbuchverlag) hat geregelt, daß die Kinderbetreuungszeit bis zum Eintritt in die Volkschule genommen werden darf. Derzeit nimmt von den männlichen Firmenangehörigen nur Naoki diese Kinderbetreuungszeit in Anspruch, ab April wird es keiner mehr sein. Leider geht bei den Männern seiner Firma das Problembewußtsein nicht so weit (die Kollegen glauben nicht, daß auch Männer Kinderbetreuungszeit in Anspruch nehmen sollen).
Daß Naoki das konnte, hat er der Macht der Gewerkschaft zu verdanken.
Der ältere Sohn ist jetzt zehn Jahre, der jüngere sechs Jahre alt. Letztes Jahr im Herbst bei der Kronbesteigungsfeierlichkeit des Tennô haben wir in der Schule gesagt, daß wir dagegen sind, daß aus diesem Anlaß freigegeben wird und daß die Kinder die japanische Fahne (Hinomaru) schwenken und die japanische Hymne "Kimigayo" singen müssen. Das wurde ignoriert.
Was die Schulerziehung in Japan angeht, ist es so geworden, daß die Schule bei Aufnahmsfeiern, Abschlußfeiern und Sportfesten zu dieser Fahne und zu dieser Hymne, die den Tennô verherrlichen, gezwungen wird. Wir haben vor, auch in Zukunft weiterhin klar zu äußern, daß wir dagegen sind.
Alles Gute
Hisayo U. (41)

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at