Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Ikuno-gakuen (Lebensschule), Haus für Frauen in Not, Ôsaka, 28. Juli 1988

Nur unter dem Mantel des Anti-Prostitutionsgesetzes

Ein sehr heißer Tag. Ich treffe meine Begleiterin am frühen Vormittag, und wir fahren mit dem Taxi zu dem "modernen Zufluchtstempel", wie das Ikuno-gakuen in Ôsaka auf dem Umschlag eines Buches genannt wird. Wir betreten ein einstöckiges japanisches Haus in ziemlich schlechtem Bauzustand. Der erste Eindruck ist bestimmt durch Kinderlärm auf einem Spielplatz in der Nachbarschaft. Der Leiter des Hauses berichtet über dieses Heim für Frauen in schlechten Lebensumständen, über die telefonische Beratung, die ebenfalls hier durchgeführt wird und über die Geheimprostitution in Japan, dann schildern Sozialarbeiterinnen das Schicksal von drei Bewohnerinnen des Hauses. Es folgt ein Rundgang, wir werden zu O-Sushi eingeladen, und zum Abschluß darf ich noch zwei der Insassinnen interviewen. Im Ikuno-gakuen erhasche ich einen Blick auf die Frauen, die "im Schatten" leben. Daß ich "die im Lichte" noch am selben Abend treffe - nämlich eine Gruppe von "Karrierefrauen" - bringt mir den Gegensatz noch schärfer ins Bewußtsein.
Wieder sollen vor allen Dingen die Menschen selbst zu Wort kommen - die Menschen, die dort wohnen und die dort arbeiten.

Kakekomidera, "Zufluchtstempel", nahmen im alten Japan Frauen auf, die von zu Hause wegliefen, in der Regel solche, die es in der Ehe nicht mehr aushielten. Vom 13. bis zum 19. Jahrhundert konnten Frauen sich nicht von ihrem Mann scheiden lassen. Er konnte sie hingegen sehr einfach verstoßen. Die Flucht in den kakekomidera oder enkiridera (Trennungstempel). war die einzige Alternative zur Scheidung. Hier waren die Frauen sicher vor ihrem Mann und seiner Familie, aber sie konnten erst nach drei Jahren wieder heiraten oder ihre Kinder wieder sehen, außer ihr Mann stimmte einer Scheidung zu. Das "Ikuno-gakuen", gegründet 1946, ist eine der Institutionen in Japan, die auf diese Tradition zurückgehen. In ihrer Sozialreportage "Kanashimi iro no onnatachi" (Frauen in der Farbe der Traurigkeit) nennt Yuko Hara folgende Gründe für die Zuflucht ins Ikuno-gakuen: Frauen, die sich vor dem Ehemann verstecken; junge Mädchen, die von den Eltern in Stich gelassen werden; Frauen, die von der Gesellschaft vergessen worden sind; Frauen, die gegen das Verbot der Prostitution verstoßen haben..

Das Gespräch

Der Leiter:
1956 wurde in Japan die Prostitution gesetzlich verboten. Vorher hatten zirka 100 Jahre christliche Kreise und Frauen aus der Frauenbewegung gegen die Prostitution gekämpft. Das Verbot wurde im Parlament dreimal zurückgewiesen und erst beim viertenmal beschlossen. In der Folge wurden die Bordellviertel abgeschafft, und die Regierung stellte finanzielle Mittel zur Verfügung, einerseits um die Prostituierten in die Gesellschaft zurückzuführen und anderseits, um zu verhindern, daß Frauen neuerlich in die Prostitution abgleiten. In jeder Präfektur wurden zu diesem Zweck Frauenberatungsstellen eingerichtet, im ganzen Land 47. Außerdem wurden Einrichtungen wie das Ikuno-gakuen gegründet, in denen Frauen zur Selbständigkeit erzogen werden und auf den rechten Weg zurückfinden sollten. Das Ikuno-gakuen wurde 1946 diesem Zweck gewidmet, es hatte aber schon vorher bestanden.
Als der Krieg aus war, war Japan verwüstet. Es gab keine Wohnungen, keine Arbeit. In dieser Situation betrieben viele Frauen Prostitution, um sich ernähren zu können. Die Stadt Ôsaka quoll über von Prostituierten. Damals begann man, solche Frauen zu betreuen. Das Ikunogakuen ist eine der ältesten derartigen Einrichtungen in ganz Japan.
Frauen können sich beraten lassen, aber auch bleiben, solange sie es nötig haben. Sie erhalten hier ein Training (kunren), das sie befähigen soll, in der Gesellschaft draußen wieder menschenwürdig zu leben. Die Frauen werden von der Frauenberatungsstelle der Gemeinde, vom Präfekturamt, von der Polizei oder vom Gericht hergeschickt. Manche schauen im Telefonbuch nach und kommen von selbst. Finanziert wird die Einrichtung von der Präfektur Ôsaka.
Ein großes Problem ist aber, daß nicht nur Prostituierte, sondern auch andere Frauen Hilfe brauchen. Es gibt viele, die in schlimmen Lebensumständen sind, aber nicht wissen, wohin. Es gibt in Osaka zehn Frauenberaterinnen - bei einer Bevölkerung von 8 Millionen und 4 Millionen Frauen. Eine muß sich um 20 000 kümmern! Geistig behinderte Menschen kann man im Unterschied zu Frauen in anderen schwierigen Umständen relativ leicht erfassen, und auch solche werden zu uns geschickt.
Wir fordern von der Regierung ein Gesetz, das es möglich macht, allen Frauen in schlechten Lebensumständen zu helfen. Denn als gesetzliche Grundlage für Hilfe jeder Art gibt es derzeit nur das Verbot der Prostitution. Auch Frauen, die damit gar nichts zu tun haben, kann man nur unter dem Mantel dieses Gesetzes helfen.
Wir fordern schon sehr lange ein solches umfassendes Gesetz. Und wir brauchen mehr Einrichtungen für Frauen, die vor ihren Männern fliehen. Derzeit gibt es in den Präfekturen verschiedene Regelungen. Wir brauchen aber ein nationales Gesetz.

Hilfeleistungen

Wir im Ikuno-gakuen helfen bei der Arbeitssuche.
Außerdem können Frauen hier ein regelmäßiges Leben üben: in der Früh aufstehen, Gesicht waschen, essen, dann zur Arbeit gehen. Viele der Frauen kennen einen solchen Lebensrhythmus überhaupt nicht. Es gibt eine festgesetzte Arbeitszeit. Die Arbeit, die hier gemacht wird, kann jede machen. Wenn sich eine Frau daran gewöhnt hat, kann sie eine Arbeit außer Haus suchen. Auch geistig Zurückgebliebene können in den kleinen Betrieben in der Nähe unterkommen. Die Frauen sparen das Geld, das sie verdienen, für später, wenn sie allein leben. Wohnen und Essen kosten sie hier nichts.
Früher haben wir die Frauen mit ihren Kindern aufgenommen. Jetzt ist die Frauenberatungsstelle der Meinung, das sei schlecht. Die Kinder kommen in eine eigene Kindereinrichtung. Wir lehnen das ab. Das ist nur hier in Ôsaka so, in Tôkyô können die Kinder bei ihren Müttern sein! Der Kinderlärm kommt von dem Kindergarten nebenan... Das ist schwierig für die Mütter, die hier leben, aber auch für die Eltern der Kinder, die im Kindergarten sind.
Neun Leute arbeiten bei uns, vier Sozialarbeiter, zwei in der Küche, eine Bürokraft und ich. Die Frauen, die hier wohnen, helfen mit.
Bei uns können sie anders als in ähnlichen Einrichtungen frei ausgehen, nur müssen sie abends bis acht Uhr zurückkommen. Und die Arbeitszeit muß genau eingehalten werden. Frühstück ist von 1/2 7 bis sieben Uhr, Mittagspause von zwölf bis ein Uhr, Abendessen von sechs bis acht Uhr. Das ist der Tagesrhythmus einer normalen Familie. Jede Woche übernachtet eine andere Sozialarbeiterin hier.
Im Ikuno-gakuen können 80 Frauen unterkommen. Derzeit wohnen nur 36 Frauen hier. Acht arbeiten auswärts. Die anderen sind körperlich schlecht beisammen oder geistig zurückgeblieben oder zu alt oder nervenkrank. Diese Frauen arbeiten im Haus.
Seit 1945 haben 3800 Frauen bei uns gewohnt, und etliche von ihnen konnten nach einer Weile wieder selbständig in der Gesellschaft leben, einige haben sogar nachher studiert und dann als Lehrerin gearbeitet oder sie gingen in eine Fabrik und manche sind Hausfrauen geworden. In der Vergangenheit wurden mehr fähig, selbständig zu leben. Jetzt sind es verhältnismäßig wenig. Unsere Einrichtung gibt es sehr lange und es bleiben die übrig, die nicht selbständig leben können.
Es gibt drei Einrichtungen dieser Art in Ôsaka. Zu uns kommen die ältesten Frauen, die mit den schwersten Schäden, unheilbare Alkoholikerinnen, geistig minderbemittelte, kranke. Die schlimmsten Fälle, die Menschen, die am weitesten unten sind. Hier ist alles schon schäbig, wir haben um Renovierung angesucht. Aber man will uns lieber ganz einstellen und alles zentralisieren. Das finden wir aber schlecht, denn in dieser Gegend hat man sich an unsere Einrichtung gewöhnt und es gibt kleine Betriebe, die unsere Frauen gerne arbeiten lassen.

Geheimprostitution

Obwohl Prostitution seit 1956 verboten ist, gibt es auch heute noch versteckte Prostitution: in sogenannten mansion oder in Bädern - soap lands -, Hotels oder date-clubs. Es gibt sehr viele Wege, die Prostitution zu verschleiern, und es ist sehr schwer, draufzukommen, weil sie im geheimen betrieben wird.
Eine Voraussetzung der Prostitution ist die wirtschaftliche Situation - zu wenig Geld. Das gab es schon immer. Oder Frauen werden dazu verführt. Das kommt häufig vor. Dann gibt es Frauen, die dazu gezwungen werden. In die Prostitution geraten Frauen, die Arbeit haben, und Hausfrauen und arbeitslose Frauen. Kinder, ab 14 Jahren, ältere Frauen, zum Beispiel nach der Scheidung oder weil sie vor der Gewalttätigkeit des Ehemannes aus der Familie geflohen sind. Oder weil der Mann wegen eines Verkehrsunfalles oder einer Krankheit keinen Verdienst mehr hat.
Junge Frauen finden Arbeit, aber wenn Frauen über 30 sind, finden sie keine Arbeit mehr, die ihnen den Lebensunterhalt sichert. Daher verkaufen sie ihren Körper. Nach und nach breitet sich die Prostitution auch unter den Hausfrauen aus.
So schaut die Situation aus, mit der wir hier konfrontiert sind.
Und noch etwas: Es wird sehr viel produziert und den Menschen aufgedrängt. Sie kaufen und machen Schulden, zum Beispiel nehmen sie Kredite für ein Auto oder ein Haus auf. Kredite, die 20 oder 30 Jahre laufen. Frauen betreiben Prostitution, um die Kredite zurückzahlen zu können. Wir haben ein Gesellschaftssystem, in dem die Menschen nicht genug Geld verdienen, um an die Gesellschaft angepaßt leben zu können. Wenn Probleme auftauchen, stehen Einrichtungen der Gesellschaft wie Vergnügungsviertel, soap-lands, Hotels verschiedener Art etc. zur Verfügung. Per Gesetz sind diese Einrichtungen verboten. Aber Banken borgen Geld für ihren Bau. Warum? Weil die Prostitution ein äußerst gutes Geschäft ist. Die Bank bekommt ihr Geld auf alle Fälle zurück. Natürlich läuft dieses Geschäft unter einem anderen Namen: zum Beispiel für den Bau einer öffentlichen Badeanstalt (ofuroya). Tatsächlich handelt es sich um eine Art Bade-Bordell, ein soap-land. Die Fassade und die Wirklichkeit dahinter unterscheiden sich. Geborgt wird unter dem Namen der Fassade.
Die japanischen Massenmedien stellen diese Vergnügungsorte und die Menschen, die dort arbeiten, der Öffentlichkeit vor. Zum Beispiel gibt es Zeitschriften - solche gibt es immer mehr und sie sind völlig frei im Handel erhältlich -, in denen man liest: "Wenn Sie traurig sind, rufen Sie doch an!" Wenn eine Frau in die Klemme gerät, kann sie sich so helfen. Es ist sehr leicht, da hineinzufallen. Das fängt schon bei den Mittelschülerinnen an. Wenn sie von der Schule heimgehen, kichern sie: "Sollen wir anrufen... !" Sie denken sich, daß sie dort Freunde kennenlernen können, zum Kaffeetrinken, aber diese "Freunde", sind Männer, die nur Sex wollen.

Telefonberatung

Wir machen jährlich zirka 400 Telefonberatungen. Dabei handelt es sich vor allem um die Themen Scheidung wegen Untreue oder Gewalttätigkeit des Ehemannes, aber auch um Prostitution. Ein junges Mädchen meldete sich bei uns, zirka 20 Jahre alt. Sie hatte in einem soap-land oder date-club angerufen, die hatten gesagt: "Komm her!" Dort wurde sie zur Prostitution gezwungen. Sie möchte aufhören. Einmal hat sie schon aufgehört und in einem normalen Unternehmen gearbeitet. Dort verdiente sie 100 000 Yen. Mit der Prostitution verdient sie mindestens 500 000 Yen. Sie hat in sich zwei Seelen, eine, die das Geldverdienen genießt und eine, die sagt, sie müsse etwas Anständiges arbeiten. Sie weiß keine Lösung.
Ich sagte ihr, sie solle zu uns kommen und sich mit uns beraten. Da hat sie mitten im Gespräch aufgehängt. Sie dürfte ziemlich gut situierte Eltern haben, hat eine Kurzuniversität besucht und im zweiten Jahr abgebrochen. Wenn sie heimkommt, geht sie direkt in ihr Zimmer, damit sie dem Vater und der Mutter nicht in die Augen schauen muß.
Oder da ist ein Feuerwehrmann. Er hat 24 Stunden Dienst, seine Frau ist allein. Auf dem Haus liegt ein Kredit. Sie fühlt sich einsam. Sie ruft bei einem date-club an. Es heißt: "Schauen Sie einmal vorbei. Sagen Sie uns Ihre Telefonnummer, Ihre Adresse. Wenn ein Mann Interesse hat, können wir Sie verständigen." Am Anfang riefen die Männer nur an. Dann ging sie mit den Kunden essen, so wie ihr gesagt wurde. Als nächstes hieß es: "Gehen Sie mit dem Mann in ein Hotel, schlafen Sie mit ihm und nehmen Sie ihm das Geld aus der Brieftasche." Dann sagte man ihr, sie habe Geld gestohlen und erpreßte sie damit zur Prostitution. Von zehn Uhr vormittags bis fünf Uhr nachmittags hat sie "Gäste". Jeden Tag. Das Geld gehört zur Hälfte ihr, zur Hälfte dem Auftraggeber. Sie möchte aufhören, aber die wissen alles von ihr. Ich sagte: "Kommen Sie her". Aber sie kam nicht. Der erste Antrieb für diese Art von Prostitution ist meistens Einsamkeit (sabishii kara). Jede Person ist unter solchen Bedingungen gefährdet. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen sind einfach so, daß ganz normale Menschen in die Prostitution hineinschlittern können.

Voraussetzungen, um die Geheimprostitution einzudämmen

Eine Aufgabe von uns wäre es, die Voraussetzungen für die Prostitution soweit wie möglich zu eleminieren:
Wenn Frauen soviel wie Männer verdienen können, kämen sie ohne Prostitution aus. Frauen verdienen in Japan durchschnittlich halb so viel wie die Männer. Das Einkommen, das Frauen durch die Prostitution haben, liegt nach einer Regierungsstatistik zwischen 200 000 Yen und 2 000 000 Yen!
Man sagt immer, Frauen und Männer haben in Japan die gleichen Rechte, aber in Wirklichkeit gibt es außerordentliche Unterschiede. Die wirtschaftliche Basis für Frauen zu verbessern, ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen, um die Prostitution einzudämmen. Sonst besteht wenig Chance. Wir brauchen außerdem mehr Einrichtungen, die Frauen Hilfe leisten, wenn ihr Leben sehr schwierig wird. Das gesamte Wohlfahrtssystem müßte besser entwickelt werden.
Es müßte unmöglich werden, in der Prostitution so viel Geld zu verdienen.
Und schließlich müßten Kinder an den Schulen Sexualerziehung haben. Auch die Mütter müßten sich mehr mit Sexualerziehung befassen.
Und es sollte mehr Öffentlichkeitsarbeit für Hilfseinrichtungen geben, damit Frauen Mut gemacht wird, durchzuhalten, die Zähne zusammenzubeißen, in schwierigen Zeiten sich bei uns beraten zu lassen. Man könnte viel mehr junge Leute retten, die ihren Körper verkaufen, um zu Geld zu kommen. Aber in der Verwaltung dominiert der Gedanke: Es ist in Ordnung, wenn jemand überhaupt sein eigenes Geld verdient und sei es durch Prostitution!

Die Sozialarbeiterinnen berichten:

Ich möchte von einer Frau erzählen, die uns unlängst verlassen hat: Frau Yamashita ging von zu Hause fort, weil ihr Mann gewalttätig war. Nach einem Verkehrsunfall war er körperlich so schlecht beisammen, daß er nicht mehr arbeiten konnte. Die Frau hatte einen Sohn und eine Tochter im Universitätsalter. Und es war ein Kredit für das Haus abzuzahlen. Das Leben wurde furchtbar:
Am Tag arbeitete Frau Yamashita als Verkäuferin. Am Abend hatte sie einen Job in einem Salon, dort trank sie und plauderte mit Männern. Sie arbeitete also tagsüber und auch in der Nacht. Sie kam sehr spät nach Hause, hatte Alkohol getrunken. Der Mann, der nicht arbeiten konnte, wartete eifersüchtig. Es kam zu schrecklichen Gewalttätigkeiten, obwohl er ursprünglich ein sanfter, guter Mensch gewesen war.
Er war scheinbar auch ein sanfter Vater gewesen. Sie brauchten das Geld für den Kredit und für die Schule der Kinder, und so mußte die Frau diesen Zustand aushalten. Aber es wurde so arg, daß ihr die Kinder rieten, zu flüchten. Sie ging zuerst zu einer Bekannten. Damals gab es eine Sendung im Fernsehen über unsere Einrichtungen - es gab früher vier, jetzt nur mehr drei und die Verwaltung von Ôsaka möchte alle einstellen und eine zentrale machen - also der Sohn sah diese Sendung und meinte zur Mutter: "Vielleicht können die dir helfen." So kam sie zu uns, ich glaube zu Neujahr, an einem 3. Jänner.
Die Frau war 45 oder 46. Der Mann klebte Plakate mit dem Foto seiner Frau am nächsten Bahnhof an die Wand und auch sonst überall hin. Sie traute sich nicht einmal mehr arbeiten zu gehen aus Angst, daß sie in der Bahn jemand erkennen würde. Sie trug Brillen und einen Hut. Eine Zeitlang wurde sie von ihrer Firma mit dem Auto abgeholt. Sie hat fünf Jahre hier gelebt. Sie arbeitete fleißig. Nachtarbeit war jetzt unmöglich für sie, denn sie mußte um acht Uhr zurück sein. Der Sohn heiratete, die Tochter machte das Studium fertig. Die Mutter sparte für die Kinder und den Kredit. Schließlich kam der Zeitpunkt, an dem auch die Tochter heiraten wollte. In Japan gibt es die Liebesheirat und die arrangierte Heirat. Bei dieser ist es ein Hindernis, wenn keine richtige Familie vorhanden ist.
Das war die eine Sache. Anderseits bereute der Ehemann. Am Grab der Großeltern, die im Krieg gestorben waren, sagte er: "Ich war böse." Das erzählte die Tochter der Mutter. So kam es, daß die Frau es noch einmal mit ihm versuchte. Sie ging zurück. Das war vor zwei Jahren. Der Mann ist nicht mehr gewalttätig. Er ist noch immer schlecht beisammen. Sie vertragen sich aber wieder gut.
Nachdem Frau Yamashita hierher gekommen war, begann sie die Qualen ihres Mannes zu verstehen und einzusehen, daß auch sie Fehler gemacht hatte. Hier hatte sie einen Freiraum zum Nachdenken. Sie hatte abends mit Männern in einer Bar geflirtet. Sie war zwar der Meinung gewesen, sie verhalte sich richtig, aber sie hatte sich doch mit dem Herzen von ihrem Mann entfernt.
Neulich hat der Sohn ein Kind bekommen und sie ist Großmuter geworden. Das ist wirklich ein happy-end!
Frau Shimizu führte mit ihrem Mann zusammen ein Transportunternehmen. Solange das Geschäft gut ging, kam ziemlich viel Geld ins Haus. Aber nach dem ersten Ölschock folgte eine Flaute. Der Mann wurde gewalttätig. Grundlos. Alles konnte die Gewalttätigkeit auslösen. Die Kinder waren damals neun und zehn Jahre alt. Als es zu arg wurde, sagten die Kinder zu ihr, sie solle weggehen. Sie flüchtete zu Bekannten. Geschwister und Eltern lebten in der Nähe, sodaß der Mann sie sofort holen konnte. Von einer Freundin erfuhr sie von uns, ging zur Frauenberatung und bat, hierher geschickt zu werden.
Das Gerichtsverfahren, um die Scheidung durchzusetzen und um das Elternrecht, dauerte zwei Jahre. Sie hatte eine Kurzuniversität besucht, den Führerschein, kann Buchhaltung, Kleider nähen, hat also sehr viele Fähigkeiten, aber weil sie schon 40 war, fand sie trotzdem sehr schwer eine Stelle. Um die Kinder zu sich nehmen zu können, mußte sie aber einen ordentlichen Lebensunterhalt haben. Immer wieder wechselte sie die Arbeit. Schließlich fand sie eine Stelle in einem Altersheim, wohnte hier, an den freien Tagen ging sie zum Gericht. Als der Mann eine andere Frau kennenlernte, stimmte er schließlich der Scheidung zu. Die Kinder waren in diesen Jahren beim Vater, wollten aber zur Mutter. Er war auch zu ihnen gewalttätig.
Jetzt lebt die Frau mit den zwei Kindern zusammen, sie hat auf Schulden ein Haus gemietet. Ich glaube, ihre Eltern haben ihr dabei geholfen. Sie arbeitet noch immer in diesem Altersheim.
Frau Shimizu hat studiert, ihr Mann war nur Mittelschulabsolvent und wurde Fahrer. Daher bestand eine soziale Kluft zwischen ihnen, und der Mann hatte außerordentliche Minderwertigkeitsgefühle. Ich vermute, daß er deshalb gewalttätig wurde. Seine Eltern waren früh gestorben, und er ist ohne Liebe groß geworden. Frau Shimizu hingegen hatte zwei Brüder, ihre Eltern lebten beisammen. Der Vater arbeitete in einem großen Unternehmen, und die Frau erhielt eine liebevolle Erziehung. Es handelte sich um eine arrangierte Ehe. Frau Shimizu war schon einmal verheiratet gewesen, sie war geschieden. Dieser "Minuspunkt" und ihr Alter waren der Grund, daß sie einen sozial unter ihr stehenden Mann heiratete. Solange Geld da war, hatten alle ein gutes Leben. Der Mann wollte im Mittelpunkt stehen, er war diesbezüglich altmodisch. Er war eifersüchtig auf die Kinder. Aber als Mutter möchte man die Kinder am wichtigsten nehmen. Wenn er heimkam, wollte er sofort das Essen, und das Bad mußte vorbereitet sein. War das nicht der Fall, schlug er sie.
Mit dem Mann haben wir nicht gesprochen. Ich kenne Herrn Shimizu nicht. Wir interpretieren aus dem, was wir von der Frau hören und was beim Familiengericht recherchiert wird. Das Gefälle in der Schulbildung und die wirtschaftliche Flaute dürften seine Gewalttätigkeit ausgelöst haben. Auf Seiten der Frau hat dafür vielleicht das Verständnis gefehlt. Beim Familiengericht geht man den guten Punkten beider Beteiligter nach.
Frau Shimizu war vier Jahre hier.
Diese zwei Frauen konnten ihr Leben mit unserer Hilfe, aber aus eigener Kraft, schließlich doch bewältigen.
Aber es gibt auch viele Frauen hier, die unfähig sind, für eine selbständige Zukunft zu planen, die sofort das ganze Geld verbrauchen, das sie verdienen und sagen: "Es ist in Ordnung, wenn es mir heute gut geht. An morgen denke ich nicht." Frauen, die nicht mehr in geregelten Bahnen leben können.
Da ist eine Frau, die hat mit 18 einen Mann getroffen. Sie wurde schwanger. Der Mann wollte sie nicht heiraten. Sie trieb das Kind ab. Mit 18 ging sie in ein Bordellviertel und verkaufte ihren Körper. Mit zirka 40 hörte sie auf. Sie machte also 20 Jahre ununterbrochen Prostitution. Hat 36mal abgetrieben, sagt sie selbst.
Sie machte 20 Stunden am Tag Prostitution, vom Morgen bis zum Abend. Wenn ein Gast kam, mußte sie bereit sein. Sie hatte kein eigenes Zimmer, keine Zeit zum Ausrasten. Wenn sie auspannen wollte, ging sie ins Kino und schlief dort. Sie sagt, ihr einziges Zuhause sei das Kino gewesen. Sie hatte keinen Urlaub und keinen freien Tag. Sie verdiente Geld. Wenn sie genug Geld hatte, fuhr sie irgendwohin und verbrauchte es bis zum letzten Groschen. Dann machte sie mit der früheren Arbeit weiter. Auf diese Weise kam sie im ganzen Land herum, ohne aber je an einem Ort zu bleiben. Sie sparte, aber sie kam nie dazu, ein selbständiges Leben zu führen, weil sie immer wieder alles ausgab. Sie ist seit sieben Jahren bei uns. Sie ist 53 und ihre Augen sind sehr schlecht geworden. Aber bis dahin führte sie dieses Leben weiter, sie arbeitete, sparte und ging dann wieder "auf die Reise". Sie arbeitete zum Beispiel in einer Fabrik. Dort erzählen die Kolleginnen von ihrer Familie, ihren Männern und Kindern. Sie kann nichts dergleichen erzählen. Sie ist anders. Ihr Leben war die Prostitution. Sie fühlt sich einsam. Schließlich hört sie auf, packt ihr Geld, läßt alles liegen und stehen. Seit ihre Augen so schlecht sind, hat das damit aufgehört und sie arbeitet hier im Haus.
Eigentlich hätte sie nicht mehr zu uns zurück dürfen. Wir rieten ihr, sie solle sparen, sich ein Bettzeug kaufen und allein wohnen. Sie sagte: "Ja, ja!" Und kam dann doch jedesmal weinend wieder zu uns zurück.

Die Besichtigung

Anschließend an das Gespräch im Büro des Leiters werden wir durch das Haus geführt. Es gibt Küche, Speisesaal, Arbeitsraum, Bad, WC und 16 Zimmer im Parterre und ersten Stock. In einem Zimmer wohnen zwei bis drei Frauen. Die Zimmer sind klein, alt und dunkel, aber sauber aufgeräumt. Der Leiter meint, man habe um die Genehmigung angesucht, die Zimmerdecken zu erneuern und frische tatami (Reisstrohmatten) legen lassen.
"Weil die Frauen zumindest zu zweit wohnen, haben sie keine Privatsphäre. Junge Leute, die ein eigenes Zimmer gewohnt sind, können das überhaupt nicht aushalten, darum wollen sie nicht hierher. Aber auch unter unseren Frauen gibt es viel Streit. Die Frauen haben überhaupt nichts Erfreuliches in ihrem Leben: Essen, Schlafen, Arbeiten, oft Sorgen. Streit ist ein Mittel, den Streß zu lösen, sogar eine Art Entspannung", erzählt der Leiter, während wir durch das Haus gehen.

"Machen die Frauen in ihrer Freizeit nichts?", frage ich. "Doch, Blumenstecken, Teezeremonie, kochen, lesen, schreiben. Aber es sind auch Frauen da, die müde von der Arbeit zurückkommen oder krank sind oder einfach nicht die Kraft haben, sich am Leben zu erfreuen. Sie sind schon älter und haben viel mitgemacht. Oft ließen sich die Eltern scheiden, als sie Kinder waren und heirateten jemanden neuen. Es gibt viele hier, die von den Eltern keinen geregelten Lebensrhythmus vorgelebt bekamen. Manche haben auch kaum eine Schulbildung, weil die Eltern sehr arm waren. Sie haben schon als Kind nicht gelernt, etwas zu tun, das ihnen Freude macht.
"Was mir große Sorgen bereitet, ist die Zukunft. Scheidungen nehmen in Japan sehr stark zu, auch Wiederverheiratungen. Wie wird die Zukunft für die Kinder ausschauen, die in einer solchen Situation aufgezogen werden?" Ich frage, ob der regelmäßige Tagesablauf den Frauen nicht Probleme schafft. "Es ist alles festgelegt, das Aufräumen der Zimmer, des Ganges, der Toiletten. Am Anfang machen die Frauen nicht mit, kommen in der Früh nicht aus dem Bett heraus. Solange sie zu Hause waren, konnten sie aufstehen, wann sie wollten. Hier wecken die Angestellten um sechs Uhr alle auf. Manche waschen ihr Gesicht nicht, putzen ihre Zähne nicht, das wird alles von den Sozialarbeiterinnen überprüft. Ein grundlegendes Lebenstraining ist sehr mühsam.
Hier gibt es ein Gruppenleben. Jede Frau ist aber ein Einzelindividuum. Die Einrichtung ist darauf ausgerichtet, daß die Frauen das Zusammenleben in der Gruppe lernen. Einerseits hat das viel Streit zur Folge, aber auch viel gegenseitige Hilfe.
Manche haben draußen in der Gesellschaft einen sehr guten Status gehabt, manche einen mittelmäßigen, manche sind ganz zurückgeblieben. Auch das bringt Schwierigkeiten.
"Die Sozialarbeiterinnen müssen schon etwas älter sein, um mit diesen Arbeitsbedingungen zu Rande zu kommen. Sie sind 36 bis 39 Jahre alt."
Wir sehen die Frauen im Arbeitsraum. Sie sitzen auf Kissen an den niedrigen japanischen Tischchen und fertigen einfache Dinge an. Die meisten freuen sich über die Abwechslung und sind aufgeregt über unseren Besuch, manche schauen aber weiterhin apathisch vor sich hin.

Nach dem Mittagessen kann ich im Büro mit zwei der Frauen sprechen. Es ist nicht leicht für mich, diese Frauen zu verstehen, ich bin befangen und die Anwesenheit meiner japanischen Begleiterin macht mich noch befangener. Die erste Frau ist 62 Jahre alt, Trinkerin.

F.: Seit wann sind Sie da?
Seit sechs Jahren. Aber man hat mir schon früher öfters geholfen. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Alkohol. Deswegen kann ich nicht allein oder mit einem Mann zusammenleben. Das geht jedesmal schief. Leute, die nicht trinken, sagen zu mir: Trink nicht! Aber das geht nicht so einfach. Ich arbeite hier und jeden Mittwoch gehe ich zu einer Gruppe von Frauen, die alkoholkrank sind. Auch am Samstag. Es gibt auch viele Männer, beide haben diese Krankheit, Männer und Frauen. Aber mit Frauen ist es einfacher. Bevor ich hier Hilfe gefunden habe, war ich in Wakayama. Und wegen des Trinkens auch in Tôkyô. Aber das ist schon ziemlich lange her. Geboren wurde ich in Ôsaka und aufgezogen wurde ich in Shikoku, in der Präfektur Kochi. Ich war schon im ganzen Land in Trinkerheilstätten. Im September gehe ich nach Hiroshima. Bei mir ist es so, wenn ich 20, 30, wenn ich 50 Jahre zu trinken aufgehört hätte und ich trinke nur ein Glas, fange ich wieder an. Ich kämpfe dagegen an, aber es ist eine ewige Wiederholung. Ich war auch bei den anonymen Alkoholikern, aber ich kann einfach nicht aufhören.
Wenn ich zu trinken anfange, weiß ich nicht mehr, wann ich aufhöre. Ich kann nicht nur ein Glas trinken. Ich trinke, bis der Körper kaputt ist. Ich trinke überhaupt nur mehr. Dann höre ich Stimmen. Davor fürchte ich mich am meisten.

F.: Haben Sie Kinder?
Ja, drei. Alle sind schon verheiratet, zwei Töchter, ein Sohn. Auch Enkel sind da. Mann habe ich keinen, der ist gestorben. Geheiratet habe ich mit 20. Die älteste Tochter ist 38.

F.: Glauben Sie, daß Sie immer da bleiben werden?
Wenn ich von dieser Krankheit genesen könnte, wenn ich wirklich selbst leben, selbst arbeiten, mich selbst ernähren kann... Den Wunsch habe ich, aber... weil ich diese Krankheit habe...
Meine Kinder sehe ich zum Allerseelenfest (O-bon) und zu Neujahr. Die wissen von meiner Krankheit. Wenn ich nur irgendwie aufhören könnte!

F.: Hier gibt es doch Leute, die Ihnen helfen?
Nein, hier gibt es niemanden, der so eine Krankheit hat wie ich. Ich glaube, allein kann man von so einer Krankheit nicht loskommen, wenn es niemand mit denselben Erfahrungen gibt. Ich brauche Kolleginnen, darum gehe ich zu der Frauengruppe. Sie heißt Amethyst. Jetzt am 6. August haben wir O-bon-Tanz.

F.: Warum trinken Sie so viel?
Meine Familie war sehr arm, und die Beziehungen waren sehr kompliziert. Immer, wenn ich daran dachte, trank ich. Ich war als Ehefrau nicht wirklich anerkannt. Die Kinder sind unehelich. Der Mann hat sie aufgezogen. Meine Brüder und auch meine Mutter sind an Alkohol gestorben. Alle waren im Krankenhaus. Ich suchte und suchte die Kinder. Dafür schäme ich mich. Ich war noch so jung. Der Vater war alt genug. Er war Soldat hier und dort. Ich ging mit ihm. Als ich jung war, war ich kaum in Japan. Damals hatte ich noch keine Kinder, erst nach dem Krieg. Jetzt bin ich 62. Aber ich kann noch arbeiten. Ich hoffe noch immer, daß ich gesund werde.
Ich war 30 Jahre mit ihm beisammen. Er trank. Und ich trank dann noch mehr als er. Ich trinke schon seit über 40 Jahren.
Zu Amethyst ging ich drei Monate lang fast täglich. Man bekommt ein Abzeichen nach einem Monat, drei Monaten, sechs Monaten ohne Alkohol. Das habe ich zweimal bekommen. Aber das für ein Jahr ohne Alkohol habe ich noch nicht. Bier trinke ich fast nicht. Da muß ich dauernd aufs Klo. Aber Schnaps.

F.: Wie lange trinken Sie jetzt schon nichts?
Ich habe wieder getrunken.

F.: Sind Sie zufrieden hier?
Ich kann sonst nirgends hingehen. Nicht zu den Kindern. Als die Kinder klein waren, habe ich auch getrunken. Die älteste Tochter war einmal in einem Heim. Ich selbst war als Kind nicht in der Schule. Mein Sohn ist für mich ein Fremder. Er trinkt nicht. Wenn ich bei den Kindern wäre, könnte ich nicht so leben. Die würden das nicht akzeptieren. Ich kann nur hier leben.
Die zweite Interviewpartnerin ist 51 und vor elf Jahren vor ihrem Mann hierher geflohen.
Ich heiratete mit 19. Ich hatte drei Kinder, nur Söhne. Mein Mann hat bei Pferderennen gewettet. Er hat das Geld dafür verbraucht. Er schlitterte in Gangsterkreise hinein. Ich zog die Kinder auf, bis der mittlere in die dritte Klasse Mittelschule ging, dann verließ ich die Familie. Ich wollte, so arm wir auch waren, wenigstens die Kinder aufziehen (weint). Deswegen hielt ich wirklich alles aus. Ich arbeitete Tag und Nacht. Wir hatten nichts zu essen. Ich arbeitete, abends in einem Cafe, im Kabarett (eine Art Nachtlokal), in der Kosmetik-Branche. Es kam viel Geld herein. Meine Augen wurden schlecht. Ich habe schon viele Operationen gehabt. Ich habe viele Schmerzen ausgehalten. Jetzt sind die Kinder erwachsen, der Jüngste ist 21.
Aber die Kinder, die Kinder. Wegen ihnen wollte ich alles aushalten. Doch es war einfach nicht zum Aushalten. Ich habe sie schließlich doch verlassen. Ich bin aus Kyûshû. Jetzt sind zwei Kinder in Ôsaka, eines ist in Kyûshû. Manchmal habe ich mit ihnen Kontakt. Ich telefoniere mit ihnen.
Meine Schwester wohnt hier in der Nähe. Vor elf Jahren bin ich zuerst zu meiner Schwester. Die hatte aber zwei kleine Kinder. Darum war ich froh, daß ich hierher kommen konnte. Ich arbeitete kurz außerhalb. Jetzt mache ich nur Heimarbeit. Weil ich eine Behindertenrente bekomme, verdiene ich wenig. Ich brauche aber nichts für das Essen und das Wohnen. Ein bißchen Geld brauche ich für Kleidung. Leute, die gar kein eigenes Einkommen haben, verdienen ein bißchen mehr. Die Rente bekomme ich von der Präfektur Fukuoka, von der ich stamme.

F.: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich kann nichts machen, weil ich zu schlecht sehe. Ich komme gerade wieder aus dem Krankenhaus. Und muß bald wieder hinein. Der Arzt hat gesagt, er wird es hinbringen, daß ich wieder sehen kann. Auf einem Auge sehe ich gar nichts, seit die Kinder klein waren.
Allein könnte ich nicht leben, dafür reicht die Rente nicht. Hier wohne ich mit zwei anderen Frauen in einem Zimmer. Es ist ein Schrank drin, das Bettzeug. Sonst hat überhaupt nichts Platz.
Eine der beiden, die mit mir im Zimmer sind, wohnt auch schon seit zehn Jahren da. Hier wechseln die Frauen die Zimmer. Denn es stört, immer mit jemandem beisammen zu sein, den man nicht mag. Zum Beispiel haben wir einen Ventilator, wenn es heiß ist. Wegen so etwas kommt schon ein Streit auf. Die eine will ihn, die andere nicht. Ich werde wahrscheinlich hier bleiben, wegen meiner Augen.
Ich bin 51 Jahre alt. Ich habe schon Enkel vom ältesten Sohn, drei. Mein Mann ist scheinbar in der Zwischenzeit gestorben. Ich ließ mich scheiden. Als ich noch in Kyûshû war. Der Scheidungsgrund waren Schulden, Schulden, Schulden, die er machte. Er beschimpfte mich. Seine Leute kamen ins Haus. Dafür verwendete er mein Geld. Ich hatte Nervenprobleme. Es kam zur Scheidung. Dann fuhr ich ohne irgendetwas zur Schwester. Ich hatte Angst. Er war mir widerlich, es ist komisch, wenn ich das sage, ich habe doch Kinder von ihm, aber ich konnte ihn nicht aushalten. Er behauptete immer, ich hätte die Schulden gemacht. Ich konnte es nicht aushalten. Es war im Mai, daß ich ging.
Jeden Abend rief mein Mann bei meiner Schwester an und fragte: "Ist Takako da." Die Schwester sagte, sie wisse nicht, wo ich sei. Meine Mutter, niemand wußte, wo ich bin. Die wissen es auch jetzt noch nicht. Die Kinder wissen es, aber ich habe sie beschworen, es nicht dem Vater zu sagen. "Wenn es der Vater weiß, kommt das Elend wieder, werden die Augen der Mutter wieder schlecht. Ich möchte mich um euch kümmern, aber ich kann nicht."
Es gibt viele, denen es noch schlechter geht als mir. Es gibt viele Männer, die spielen und wetten. Die Gewalt anwenden. Gewalttätig war mein Mann nicht. Es gibt viele Frauen, die vor der Gewalt der Männer flüchten, junge Frauen, mit 30. Bei mir war es das Geld. Deswegen konnte ich nicht mehr....(weint).

Im Februar 1991 schreibt der Leiter des Ikuno-gakuen:
In den zehn Jahren, seit die Stadt Ôsaka 1981 beschloß, den Betrieb des Ikuno-gakuen und zweier anderer Fraueneinrichtungen einzustellen und alles an einer zentralen Stelle zusammenzuziehen, haben wir dafür agitiert, daß das Ikuno-gakuen nicht eingestellt, sondern hier belassen und erneuert wird. Wir sind ein kleiner Arbeitsplatz mit nur zehn Leuten, aber mit Unterstützung der Gewerkschaft und von Bürgergruppen haben wir den Verein zur Bewahrung der Frauenförderungsbetriebe der Stadt Ôsaka gegründet und führen diese Bewegung weiter. Wegen dieser Aktivitäten konnte die Stadt Ôsaka ihre Zentralisierungspläne bisher nicht verwirklichen. Für uns ist es weiterhin das Wichtigste, Bedingungen zu schaffen, die es den Frauen leicht machen, eigenständig zu leben. Daher haben wir der Stadt einen Plan für einen Neubau des Ikuno-gakuen vorgelegt und zwar hier, wo Arbeits- und Einkaufsmöglichkeiten, die Verkehrslage etc. bekannt sind.

Von den Bewohnerinnen seien, steht in dem Brief, seit meinem Besuch zwei an Krebs gestorben.

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at