Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

Kokusai fujin-toshi Kita-ku no kai (Studiengruppe des Nord-Bezirkes zum Internationalen Jahr der Frau), Ôsaka, 28. Juli 1988

Verheiratete Frauen leben wie Witwen.

Nordbezirkfrauen Ôsaka
Ein ebenerdiges Lokal in einem neuen Gebäude mit roten Ziegelmauern im Zentrum der Achtmillionen-Stadt. Ein "Frauenlokal", Theke, Regale mit Büchern zu Frauenthemen. Überall, auch auf der Toilette, die Fetische, die Frauen anscheinend auf der ganzen Welt lieben: Steine und Puppen, Polster, Blumen und Ansichtskarten.
Vereinbart war ein Interview mit drei oder vier sogenannten "Karrierefrauen" über Liebe und Ehe. Es kommen siebzehn Frauen. Die meisten von ihnen erwarten, daß ich Australierin bin, die ihnen etwas über australische Frauen erzählt. Nach Aufklärung dieses Irrtums ist es immer noch sehr schwierig für mich, auf dem Thema Liebe und Ehe zu beharren, da die Frauen über Diskriminierungen am Arbeitsplatz berichten möchten. Die Diskussion läuft nach dem üblichen Muster ab: jiko-shôkai, also "Selbstvorstellung" jeder Anwesenden. Dann stelle ich Fragen. Als ich später die Tonbänder abhöre, sind viele Stellen unverständlich, denn die Frauen diskutieren durcheinander und lautstark.
Ich möchte versuchen, die Diskussion möglichst "life" wiederzugeben. In der Vorstellungsrunde nennen manche der siebzehn nur Namen, Alter, Familienstand und Beruf, andere entwerfen eine Lebensskizze. Diese Frauen lasse ich namentlich zu Wort kommen. Die anderen Diskussionsbeiträge und Antworten erscheinen ohne Namensnennung, eine Leerzeile zeigt jeweils einen Personenwechsel an.
Die Frauen sind zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 25 und 53 Jahre alt. Sieben von ihnen sind unverheiratet. Da es sich um eine Vereinigung von "Karrierefrauen" handelt, sind fast alle berufstätig, nur eine Frau ist "professionelle Hausfrau" (sengyô-shufu). Bis zum Februar 1991 hat sich nach Auskunft von Reiko Shoji, der Kontaktfrau für die Gruppe, nur geändert, daß eine der damals verheirateten Frauen in der Zwischenzeit geschieden ist.

Die Selbstvorstellung


Miyako M., 49:
Ich arbeite in einer Handelsgesellschaft, in derselben Firma wie mein Mann. Der Handel ist ein reaktionäres Metier, daher bringt das Schwierigkeiten. Es ist im Handel überhaupt selten, daß beide Ehepartner arbeiten (tomobataraki).
Bei uns wohnt auch die Mutter meines Mannes. Derzeit sind wir aber nur drei Frauen, ich, die Schwiegermutter und meine 17jährige Tochter. Mein Mann ist seit April in Amerika. Er arbeitet in einem amerikanisch-japanischen joint-venture. Er ist ein richtiger konservativer Ehemann und rührt zu Hause keinen Finger. Jetzt kocht er sich anscheinend selbst, das tut ihm gut! Keine Mutter weit und breit!
Er wird wahrscheinlich drei oder vier Jahre dort bleiben. Das hängt nicht von ihm ab, sondern von der Firma.

Reiko S., 46:
Ich arbeite seit 24 Jahren in einem Verlag. Mein Mann hat mit mir studiert, er ist etwas älter als ich und Englischlehrer an einer Oberschule. Wir haben eine enge Beziehung und es gibt bei uns Gleichberechtigung. Aber trotzdem - bis vor drei Jahren hat seine Mutter bei uns gewohnt und seine Selbständigkeit behindert (lacht). Kochen etc., das hat alles seine Mutter gemacht. Diese drei Jahre, die er jetzt allein ist, hat er ziemlich gelitten. Aufräumen, Wäsche, das macht nur er. Das Essen kocht, wer gerade Lust hat. Ich denke, er muß noch mehr üben. Ich mache alles Mögliche in der Frauenbewegung und komme darum oft spät heim. Er tut mir schon ein bißchen leid. Aber wir haben keine Kinder, und es gibt nichts Kompliziertes. Er ist nicht schlecht aufgelegt, wenn ich spät heimkomme.
Aber ich selbst habe in meinem Kopf doch noch alte japanische Vorstellungen. Wenn ich auch sonst nichts mache, so habe ich doch das Gefühl, daß die "Familien-Buchhaltung" (katei-kanri) meine Aufgabe ist. Ich weiß zwar, daß das überholt ist, aber ich kann die "Schnur des Geldbeutels" nicht aus den Händen geben. Ich verwalte den ganzen Gehalt meines Mannes und teile das Geld so ein, wie ich es will.
Im Verlag sind wir 25 Leute, ich arbeite als Herausgeberin. Ich kann entscheiden, welche Bücher wir machen. Seit dem UNO-Jahr der Frau hat sich die Zahl der verkauften Frauenbücher erhöht und wir können auch einige Frauenbücher publizieren, aber wir leben nun einmal in einer kapitalistischen Gesellschaft und die Voraussetzung ist immer, daß sich die Bücher gut verkaufen.

Akemi K., 52:
Ich bin Krankenschwester im Krankenhaus der Japanischen Eisenbahnen von Ôsaka und bin alleinstehend. Ich habe das nicht speziell angepeilt (Lachen der anderen), auf einmal habe ich gemerkt, daß ich allein geblieben bin. Mein Lebensinhalt ist die Arbeit. Außerdem bin ich in der Firmengewerkschaft.

Fukuko F., 40:
Meine Familie besteht aus meinem Mann, einem 15jährigen Sohn und einer 12jährigen Tochter. Wir sind vier. Ich arbeite seit 17 Jahren in einer Textilfirma. Ich habe durchgearbeitet. Es ist relativ leicht dort zu arbeiten, weil es viele Frauen mit Kindern gibt, aber auch ledige ältere Frauen. Im Textilbereich arbeiten seit jeher viele Frauen, man denke an die "Traurigen Geschichten von den Fabriksarbeiterinnen" (jokô-aishi).
Die Diskriminierung ist stark, der Gehalt ist außerordentlich niedrig, verglichen mit anderen Bereichen. Anderseits bin ich der Firma auch dankbar, weil ich dort weiterarbeiten konnte, während ich die Kinder aufgezogen habe. Jetzt sind meine Kinder endlich groß und ich möchte allmählich noch etwas anderes tun. Ich möchte in der Frauenbewegung aktiv sein.
Mein Mann macht im Haus nicht sehr viel (Lachen der anderen). Er kommt gegen zehn Uhr nach Hause. Die Kinder kochen für den Vater, wenn ich nicht da bin. Mein Mann ist ein Nutznieser der Kinder geworden! (Lachen). Einfache Sachen, Geschirrwaschen, das kann er. Fürs Kochen ist anscheinend Übung nötig. Er räumt die futon weg, aber die Wäsche erledige ich. Er kann wirklich nur ganz einfache Sachen. "Schaffe mir nichts zu Schwieriges an!" sagt er immer wieder zu mir. Jetzt springen die Kinder ein, aber wenn wir alt werden, und er kann nichts, ist das schlecht. Naja, irgendwie wird es schon gehen, wenn es einmal soweit ist.

Miyuki T., 25:
Ich arbeite bei einer Versicherung, schon sechs Jahre. Heuer habe ich eine Funktion in der Frauenabteilung unserer Firmengewerkschaft übernommen. Ich kenne mich zwar nicht aus, aber man hat mir gesagt: "Sie werden das lernen, wenn Sie einmal drinnen sind!". Das Milieu in meiner Abteilung ist gut, es gibt kaum Überstunden und Verheiratete können weiterarbeiten. Wenn ich mit anderen rede, so höre ich, daß viele Frauen zu Überstunden aufgefordert werden, oder zum Aufhören. Im allgemeinen ist der Unterschied zu den Männern sehr stark ausgeprägt. Man hat jetzt ein System eingerichtet, daß unser Lohn zehn Jahre nicht steigt, auch wenn wir weiterarbeiten. Die Atmosphäre insgesamt ist sehr schlecht - für Frauen, aber sie ist auch für Männer nicht gut. Die Männer müssen Überstunden über Überstunden machen.
Bei uns gibt es auch Heiraten in der Firma (shokuba kekkon). Das bedeutet, daß die Frauen nicht mehr wie bisher weiterarbeiten können, sondern höchstens Teilzeit. Weil der Mann erst spät in der Nacht nach Hause kommt. Die verheirateten Frauen führen das Leben von Witwen. Welche Freundin ich auch frage, vor elf Uhr kommen ihre Männer nicht von der Arbeit zurück. Oder noch später, nach zwölf...
Der Gehalt ist angeblich gut, aber trotzdem dieser Belastung nicht angemessen. Ich wohne bei meinen Eltern, habe einen jüngeren Bruder und bin alleinstehend. Ich möchte schon heiraten, aber... (Lachen, Bemerkungen wie: "Eher als Heiraten sollte man sagen `Witwe werden`.")
Versicherungen sind sehr konservativ, Frauen gehören nach Hause, Teilzeit geht gerade noch.Nach drei Jahren ist jeweils eine Versetzung üblich, das bedeutet eine andere Arbeit. Wenn ich in dieser Firma heirate, wäre es sehr schwierig, meine Arbeit fortzusetzen.

Noriko W., 48:
Ich bin öffentliche Bedienstete und arbeite im Rathaus von Ôsaka. Meinen Mann kenne ich aus der Studienzeit. Ich habe drei Töchter. Da ich aus einer Freundschaftsbeziehung in die Ehe gegangen bin, hat er, so gut er konnte, bei der Pflege der Kinder mitgemacht. Aber er ist eben auch von einer Mutter erzogen worden, die alles selbst gemacht hat, und so hat er den Haushalt nicht gelernt. Wenn er kocht, schmeckt es nicht gut, wenn er wäscht, bekommt die Wäsche Flecken (lacht sehr), wenn er aufräumt, wird es nicht sauber. Er bemüht sich, aber er kann nicht. Als Resultat mache ich die Sachen, soferne ich Zeit habe. Ich kann es einfach nicht aushalten, wenn es schmutzig ist. Irgendwie ist das gemein von mir, aber so ist`s.
In der Arbeit habe ich mit Wohnungen der Gemeinde Ôsaka zu tun, mit den Schwierigkeiten bei Mieten, es gibt viele Probleme, viel Unlösbares, da muß ich oft nach meinem eigenen Urteil handeln.

Fusako S., 35:
Ich arbeite auch bei einer Handelsfirma. Männer und Frauen machen die gleiche Arbeit, aber Frauen verdienen die Hälfte. Daß der Handel sehr konservativ ist, wurde schon gesagt. Meine Firma ist nicht anders. Offensichtlich ist das in der Firma wie in der Familie: Eine Frau muß in der Firma wie eine Ehefrau arbeiten.
Der Chef verlangt, daß ich Tee einschenke. Ich bin Single, daher gibt es bei mir die Verwicklungen von Mann und Frau nicht. Die Firma ist für mich der Ehemann (lacht). Ob ich heiraten möchte - ich bin selbständig und wirtschaftlich unabhängig. Endlich.

Nobuko K., 38:
Ich bin Bibliothekarin. Wir sind nur fünf Leute und ich kann nach meinen Vorstellungen arbeiten. Ich habe nie Lust gehabt, an meinem Arbeitsplatz gegen Diskriminierungen zu kämpfen und habe mir gleich einen ohne Diskriminierung ausgesucht. (Lachen) In Japan gibt es im öffentlichen Dienst zirka 70 % Frauen, aber oben sind nur Männer! Ich arbeite schon 16 Jahre dort.
ich bin seit 15 Jahren verheiratet. Kinder habe ich nicht. Ich habe meinen Mann beim Studium kennengelernt und bin 4 1/2 Jahre mit ihm gegangen. Nachdem ich eine Stelle hatte, haben wir geheiratet. 4 1/2 Jahre haben wir uns nur zum Reden getroffen. Auch über die Frauenbewegung. Er weiß zwar alles, aber weil ihn seine Mutter so erzogen hat, daß man die Männer nichts tun läßt, konnte er nichts, und das erste halbe Jahr nach der Heirat haben wir nur gestritten. Ich habe mir gedacht, "Flitterwochen" heißt "Streiten".
Dabei gibt es gar nicht so viel Hausarbeit bei uns. Als wir heirateten, war ich berufstätig und er Student.
(Zwischenruf: Aha, du hast ihn ausgehalten!)
Er hat immer etwas verdient, mit Jobs. Nach dem Studium hat er auch zehn Jahre lang nichts Fixes gefunden. Ein "Überdoktor!" Er hat zwar genug verdient, aber er gehört nirgends dazu. Gestern war ich bis zwölf Uhr aus, trinken. Er hat gesagt: "Das tut dir nicht gut!" (Alle lachen). Bei uns ist alles umgekehrt. In bezug auf die Machtverhältnisse - ich hatte zuerst die Wirtschaftskraft. Er hat keinen fixen Arbeitsplatz, ich habe einen fixen Arbeitsplatz! (Sie ist jetzt geschieden).

Chieko Y., 28:
Ich arbeite in einem Kaufhaus, im Büro. Bis vor kurzem habe ich auch im Verkauf gearbeitet. Ich lebe mit meinem Mann zu zweit. Aber jeder hat weiterhin seinen Namen. Ich habe mich nicht ins Personenstandsregister (koseki) eintragen lassen. Ich kenne ihn seit der Oberschule, und wir haben die gleichen Ansichten über gesellschaftliche Probleme und Mann-Frau-Beziehungen.

Mana T., 53:
Ich mache Radioprogramme. Wie alt ich bin? Danach fragt man doch Frauen nicht (Großes Gelächter)! Ich bin alleinstehend. Arbeite viel in der Gewerkschaft. Die Arbeit in der Gewerkschaft ist jetzt für Frauen schwieriger geworden. Das Gleichbehandlungsgesetz macht die Kluft zwischen den Frauen größer.
Ich lebe nicht mehr bei den Eltern. Aber ich glaube, wenn man psychisch unabhängig ist, ist es egal, ob man mit den Eltern zusammenlebt oder nicht.

Die Diskussion

F.: Welche Themen sind derzeit in der japanischen Frauenbewegung aktuell?

(Reiko Shoji, die Verlegerin, übernimmt die Antwort).
Da ist die Identitätssuche. Ich glaube, durch das UNO-Jahrzehnt der Frau hat sich eine neue Entwicklung angebahnt. Es gibt immer mehr Frauen, die etwas Eigenes haben wollen (jibun to iu mono o motsu), die denken: "Ich möchte ich selbst sein " (jibun wa jibun de aritai).
Weiters der Gedanke: "Mein Körper gehört mir" (karada wa jibun no mono da). Gerade, weil bisher das Bewußtsein vorherrschte, daß der Körper der Frauen "Besitz der Männer" (otoko no mono) bzw. eine "Gebärmaschine" (kodomo o umu kikai) ist.
Auch die Frage ist aktuell: "Soll ich ein Kind bekommen oder nicht?" (umu ka umanai ka), das Bewußtsein, Kinder nicht mehr für die Familie (ie no tame) gebären zu wollen.
Und wenn ich eine Kind bekommen, wie, mit welcher Methode?
Bisher gab es die Einstellung:
Das ist eine Sache der Experten", aber jetzt meinen immer mehr Frauen: "Ich möchte meinen eigenen Körper kennen und verwalten".
Ein gängiges Thema ist die Debatte um die Kindererziehung. Eine Frau, eine Chinesin, die mit einem Japaner verheiratet ist, hat ihr Baby auf den Arbeitsplatz mitgebracht und dort gestillt. Keine Arbeiterin, sondern eine sogenannte "Talent-Frau". Das gab es bisher in Japan nicht. In den Massenmedien hat das einen starken Niederschlag gehabt. Es gibt zu wenig Kindergärten in Japan, sehr wenig Betriebskindergärten, nur in öffentlichen Dienststellen, Universitäten. Vor 20, 30 Jahren hat es, scheint es, noch mehr Freiraum, gegeben, da konnten Frauen noch ihre Kinder mitbringen, wenn sie Überstunden machten.
In der Arbeitswelt ist seit langem die ungleiche Bezahlung ein Thema. Aber früher haben sich mehr Frauen mit der Ungleichheit abgefunden.

Heirat ist Existenzsicherung

F.: Was hat sich am Heiratssystem und in den Beziehungen zwischen Frauen und Männern geändert?

(Großer Wirbel)
Ich glaube, daß sich eher als das System der Inhalt der Ehe geändert hat. Es gibt Ehen, in denen die Eheleute nichts miteinander reden und die Frau froh ist, wenn ihr Mann nicht da ist. Die Einsamkeit von Mann und Frau.... Ich frage mich oft, warum solche Leute geheiratet haben. Oft bleiben sie nur zusammen, weil sie nicht die Energie zur Scheidung aufbringen.
Ich weiß nicht, ob das Besondere an der japanischen Ehe nicht darin besteht, daß so besonders wenig gegenseitige Zuneigung (aijô) vorhanden ist. Wenn ich höre, was erzählt wird, so gibt es überhaupt kein Gespräch, die Ehepartner sehen einander überhaupt nicht. So leben Paare zehn Jahre oder länger zusammen. Gibt es das in Europa nicht?
In Japan muß man auf jeden Fall heiraten. Es gibt kein Gespräch in der Ehe, aber sie vermittelt das Gefühl der Sicherheit. Die Heirat dient der Existenzsicherung. Verheiratet zu sein bedeutet eine große Beruhigung.
Alle heiraten. (Lachen). Frauen, die mit Ende 20 noch nicht verheiratet sind, denken offensichtlich, unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen wäre es schwer, sich selbst zu erhalten.
Ja, der wirtschaftliche Faktor wiegt schwer. Frauen können nicht selbständig leben - so wie im Ausland, wo die Leute mit 18 selbständig werden. Vor der Ehe leben alle bei den Eltern. Die Lebenskosten sind so auch geringer. Die Eltern drängen auf Heirat. Und wenn es die Eltern nicht tun, tut es die Umgebung (seken).
Wenn eine Frau mit einem Mann lebt, hat sie nicht nur eine erhöhte Sicherheit, sondern auch einen höheren Lebensstandard als allein. Nach Schulabschluß ist der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen zwar nicht groß, später wird er aber immer größer.
Bei mir am Arbeitsplatz wollen die jungen Frauen nicht mehr arbeiten. Deshalb wollen sie heiraten.
Sie glauben, daß sie dann in der Familie sein können, obwohl in Wirklichkeit die meisten sowieso weiterarbeiten.
Die Arbeit ist oft uninteressant, keine Herausforderung. (Lachen, Durcheinanderreden)
Darum stellt sich für viele die Frage, was interessanter ist, die Arbeit oder die Heirat.
Kinder zu erziehen ist höchstens vier Jahre lang interessant.
Aber es möchte doch jede heiraten!
Heiraten ist manchen Leuten unangenehm, weil das bedeutet, die Familie (ie) zu heiraten. Wenn man die Lebensweise der Familie des Mannes nicht völlig annimmt, wird aus der Ehe nichts. So ist das in Japan. Das erscheint manchen Frauen zu mühsam.

Arrangierte Ehe und Liebesehe

F.: Sind die Unverheirateten von Ihnen unter Druck gesetzt worden, zu heiraten?
(Lachen)
Ja, das habe ich erlebt. Ich mußte ein o-miai machen, habe aber abgelehnt. Ich hab das nur einmal, nein, zweimal gemacht!
Ich sagte so etwas wie: "Ich empfinde keine Sympathie." Vor der Ablehnung waren alle sehr lästig. Die Eltern haben gesagt, man kann nicht ablehnen, weil es sich um Bekannte handelt.
In Japan werden die Menschen von der Gesellschaft organisiert. Es gibt sehr viele, die unter dem Druck von allen Seiten resignieren (Lachen).
Das können Sie sich in Europa wohl nicht vorstellen!
Bei uns in Japan ist es nicht so, daß zuerst ein Partner da ist, mit dem eine Frau gerne beisammen sein möchte. Auch wenn weit und breit kein Partner zu sehen ist, muß unter allen Umständen das Ziel "Heirat" erreicht werden. (Lachen).
Die Frauen überlegen sich, was besser ist, am Arbeitsplatz zu bleiben oder zu heiraten. Wenn die Stelle schlechter ist als die Ehe, heiraten sie und umgekehrt. Der materielle Nutzen entscheidet! (Heftiges Durcheinander)
Wenn ich heirate, steigt mein Lebensstandard, weil der Mann mehr als ich verdient, so etwa ist die Überlegung.
Selbst eine Karriere zu machen oder zu heiraten, diese Wahl haben in Japan nur Privilegierte.
F.: Aber es wird doch nicht n u r der wirtschaftlichen Faktor entscheidend sein?
Es gibt schon auch die Gefühlsebene.
In Zukunft sollten Ehen wirklich nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen geschlossen werden, sondern für sich selbst.
Wir reden jetzt von der idealen Ehe, aber man muß die Probleme wahrnehmen. Wir sagen zum Beispiel, daß die Männer konservativ sind. Fast alle von uns haben einen konservativen Mann. Wir müßten unsere Männer viele Jahre erziehen. Und niemand weiß, wie sich die Ehe entwickelt, auch wenn es am Anfang ein "feeling", Sympathie, gibt. Dieses Verlangen nach Sympathie macht alles noch komplizierter.
Es gibt je nach dem Menschen alle möglichen Gründe für die Ehe, aber letztlich hängt es von der Erziehung ab, ob Liebe (renai) oder Ehe gewählt wird (sehr großes Gelächter).
Renai heißt, daß man sich verliebt und deswegen heiratet. Bei miai wird man von der Umgebung organisiert. Der erste Start ist anders, aber auch bei miai kann man sich in der Ehe nahekommen, zusammenwachsen und einander helfen.
Meistens ist das so.
Ich führe schon 20 Jahre eine "arrangierte Ehe" und ich würde wieder dasselbe tun.
Meine Tochter ist 28. Ich weiß nicht, ob sie heiraten will oder nicht. Aber sie ist nicht selbständig. Sie hat keine Arbeit, die sie weitermachen kann, nur einen Job. Ich sorge mich daher um die Existenz meiner Tochter, wenn ich einmal tot bin. Drum rede ich ihr zum Heiraten zu. Ich habe schon alle möglichen miai für sie arrangiert. Sie hat immer abgelehnt. Sie sagt, sie möchte heiraten, aber nicht um jeden Preis. Sie will auch beim miai gegenseitige Sympathie spüren. Sie machte schon sechs miai und es gab noch nie Sympathie! Heuer gab es zwei Anfragen. Sie wollte, daß ich das Gespräch schon vor dem miai stoppe, weil es schwer ist, nachher abzulehnen. Ich habe mir überlegt, daß ich sie fragen werde, ob sie jemanden gern hat. Aber das habe ich auch noch nicht gemacht. Irgendwas ist bei ihr los. Anscheinend hat ihr eine Wahrsagerin prophezeit, wenn sie innerhalb von drei Jahren heiratet, beschwört das ein Unglück herauf. Ich möchte meine Tochter nicht gegen ihren Willen verheiraten und beobachte die Entwicklung mit Ruhe.
Verglichen mit der Zeit vor 20 Jahren sind jetzt viel mehr Frauen alleinstehend. Die Eltern haben mehr Geduld. Früher schadete es dem Ansehen, wenn die Tochter über 30 noch im Haus war (sehr viel Lachen). Es war so, daß zuerst die Schwester heiraten mußte und dann erst die Brüder heiraten konnten. Jetzt verlassen die Brüder das Haus und die Tochter bleibt bis 50 - nein, das nicht, aber vielleicht bis 40.
Mit früher verglichen, ist der Druck der Eltern geringer.
Ich habe seinerzeit mit 18 die Oberschule verlassen, und mit 24, 25 mußte eine Frau heiraten. Jetzt hat sich das bis 29, 30 verschoben.
Jetzt arbeiten doch Frauen oft bis 35!
Meine Tochter arbeitet weiter trotz Heirat, weil man mit einem Gehalt kaum leben kann. Sie hat aber einen sehr guten Mann.
Wenn eine Frau verheiratet und mit Kindern weiterarbeiten kann, ist Heirat kein so schwerwiegender Entschluß...
Männer wollen oft, daß die Frau weiterarbeitet, aber der entscheidende Punkt ist das Kinderkriegen.

Liebe

F.: Was bedeutet "Liebe" für Japanerinnen?
(Schweigen)
Das ist schwierig.
Bei uns herrscht das Gefühl vor, daß eine Frau, wenn sie einen Mann liebgewinnt, nicht von sich aus auf ihn zugehen kann.
Auch wenn es jemanden gibt, den sie gerne heiraten möchte, macht nicht sie von sich aus den Vorschlag, sondern wartet, daß er das tut. Sie muß zustande bringen, daß er sich in sie verliebt. Aber das gibt es bei Ihnen in Europa auch. In Romanen kommt das oft vor. Auch bei Ihnen ist das außerordentlich schwer für eine Frau, so etwas von sich aus auszusprechen.
Jetzt ist das schon etwas anders!
Aber laufen denn dann die Männer nicht davon?
Wenn ich mich unter den jungen Leuten umschaue, handeln sehr viele, wie die Eltern es wollen. Sie wählen nicht jemanden, den sie gern haben, sondern jemanden, der den Eltern sympathisch ist.
Darum beenden sie auch oft eine Beziehung, wenn die Eltern dagegen sind. Die Meinung der Eltern zählt sehr viel.
Es heißt oft: "Die und die Familie heiratet die und die Familie."
Es gibt auch Heiraten aus Liebe, bei denen die Eltern ignoriert werden, aber mir scheint, das ist viel seltener.
Ich habe oft beobachtet, daß gegen Ende 20 die potentiellen Partner für Liebe immer dünner gesät sind. Dann gibt es häufig miai. Das geht dann wahnsinnig schnell. Nach drei Monaten heiraten die Leute.
Ich habe noch nie Liebe (renai) gemacht. Wie ist das wohl? (Lachen)
Ich überlege mir oft, wie das bei mir mit dem Heiraten wird. Das ist wohl natürlich für eine Frau zwischen 25 und 30. Bei mir kommt es nicht so sehr auf die wirtschaftliche Seite an. "Glück" bedeutet für mich: "Ich möchte psychische Sicherheit (seishinteki na antei) erwerben". Aber gerade deshalb ist es mir rätselhaft, daß viele so schnell entscheiden. Vielleicht hat es bei denen ein solches gegenseitiges Gefühl gegeben?
Ich habe kein richtiges miai gemacht, aber ich bin einmal jemandem vorgestellt worden (shôkai). Wenn ich jemanden nur einmal trifft, kann ich nur rein äußerlich sagen: "Der entspricht dem Image, das ich von einem Ehemann habe." Meistens wird nur auf das hin entschieden. Anscheinend ist es nicht anders möglich, als sich gleich beim nächsten Mal zu entscheiden: Heirat oder nicht. Sonst wird es peinlich.
Auf dem Heiratsmarkt heißt es: "Kaufen Sie sofort oder gar nicht!" Bei mir war niemand dazwischen eingeschaltet und doch hatte ich das Gefühl, ich müsse mich nach dem ersten Mal entscheiden. Wirklich verrückt!
In Japan gibt es einfach keine Gelegenheit mehr für die Liebe, wenn eine Frau älter wird! Ich habe mit 23 geheiratet und habe keine Erfahrung mit Liebe, aber mir scheint, wenn man während des Studiums niemand findet... Nachher gibt es nur noch den Arbeitsplatz. Ich denke oft, wie gut es ist, daß ich so früh einen gefunden habe.
(Bestätigung von allen Seiten).

Sexuelle Erfahrungen

F.: Geheiratet wird mit 25, 26. Haben die Frauen vorher kein Liebesleben und keine Sexualerfahrung?
Da gibt es Verschiedenstes!
Sehr viel gibt es da nicht.
Wenn man die Abtreibungen anschaut....
(Stimmengewirr)
Früher war es so, daß eine Frau keinesfalls vor der Ehe... Aber jetzt verlangen die Eltern das nicht mehr.

F.: Gibt es nicht auch in Japan bei fast allen jungen Frauen Liebesbeziehungen?
(Durcheinander, Lachen).
Gibt es nicht sehr viele, die keine haben? Wenn sie an einer Frauenuniversität studiert haben und nicht viel ausgehen...
F.: Sie sagen also, es gibt in Japan viele Frauen, die mit 26 heiraten und noch nie eine Beziehung mit einem Mann hatten?
Die Frage ist, ob es sich um eine seelische oder um eine sexuelle Beziehung handelt.
So einfach ist das nicht. Wenn man von Liebesbeziehung spricht, kann das sexuell sein, aber auch nicht so weit gehen. Überstürzt geht eine Frau nicht so weit. In Japan ist das noch nicht so.
Nicht seelisch, sondern sexuell - gibt es das nicht auch massenhaft? (Uneinigkeit unter den anwesenden Frauen)
Ich glaube nicht, daß das unter jungen Leuten so allgemein üblich ist wie in Europa.
Wenn ich mit Freundinnen spreche, haben fast alle Liebesbeziehungen. Im Hotel etc. (Lachen). Ich höre staunend zu. Für mich gibt es keine solche Gelegenheit. Ich bin auf einem Arbeitsplatz, wo nur Frauen sind.
Ich habe zuviel zu tun, um am Abend auszugehen! Und eine junge Frau muß um zehn Uhr zu Hause sein.
Es gibt keine Gelegenheit zu dates.
Es ist keine Zeit dafür.
Es gibt keine andere Möglichkeit, als mit einem schlechten Gefühl ein miai zu machen...
Auch Männer haben keine Zeit dafür, wenn sie einmal in einer Firma sind.
Zuerst kommen sie in ein Firmenheim, dort müssen sie beim Eingang läuten, wenn sie in der Nacht heimkommen.
Die Männer in unserer Firma heiraten fast alle innerhalb der Firma (shanai kekkon). Entweder sie finden jemanden beim Studium oder in der Firma.
Die japanischen Männer können schlecht miteinander reden und mit Frauen schon gar nicht. Sie können Frauen gegenüber nicht natürlich sein - ihnen nicht ihr wahres Gesicht zeigen.
Ich arbeite im Krankenhaus. Die Ärzte gehen kaum nach Hause. Vielleicht am Wochenende. Sonst übernachten sie im Krankenhaus. Frauen und Kinder werden ihnen gegeben.
Für Frauen ist es wirklich schwer, jemanden zum Lieben zu finden. Den Männern ist es egal, wen sie heiraten. Auch ob die Frau hübsch ist. Für Rendezvous ist sowieso keine Zeit, höchstens einmal. Und in der Ehe ist er fast nicht zu Hause.
So ist es. Und trotzdem ist der Ehewunsch sehr groß. Bei mir im Krankenhaus gibt es viele alleinstehende Frauen. Deswegen bin ich nicht so unter Druck gestanden, zu heiraten. Wenn ich heirate, möchte ich auch mit jemanden zusammen sein. Ich glaube, ein starkes Motiv für das Heiraten ist in Japan, daß eine unverheiratete Frau irgendwie als komisch angesehen wird.
So wie alle anderen sein, das ist das Ziel.
Ich glaube aber, daß die Entwicklung in gewisser Beziehung gut ist. Ich, ohne Familie, wäre früher... (Durcheinander).
F.: Haben Liebesbeziehungen vor der Ehe und der Entschluß zur Heirat etwas miteinander zu tun?
Das ist je nach Fall verschieden. Aber mit 17 oder 18 denkt eine Frau noch nicht an Heirat.

Ehe ohne Trauschein und Kind ohne Ehe

Warum reden wir nicht mehr über uns selbst? Ich zum Beispiel habe sehr komplizierte Familienverhältnisse - ich habe ein Kind von einem früheren Partner, mit dem ich formell nicht verheiratet war -, aber mein jetziger Partner und ich haben trotzdem eine sehr gute Beziehung zustande gebracht. Ich wollte auf keinen Fall das Heiratsformular ausfüllen, und habe auch meinen Mann gebeten, es nicht zu tun.
Dann bist du eigentlich eine "ledige Muttter".
Ich habe mein Kind am Arbeitsplatz gemeldet. Auch das Zusammenleben mit dem neuen Mann. In der Firma gibt es bei einer Heirat ein "Festgeld" (iwai-kin). Wenn man ein Gesuch macht, bekommt man das bei uns zu 80% auch ohne formelle Heirat. Ich werde an meinem Arbeitsplatz unter meinem ledigen Namen gerufen.
Mein Kind ist ein Mädchen. Es lebt bei der Mutter meines früheren Partners. Ich besuche es einmal die Woche.
Wenn der Vater wieder heiratet, wird das Probleme geben!
Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, es ist für ein Kind besser, wenn es viele Bezugspersonen hat. Ich hoffe, daß es auch zu einer neuen Mutter eine gute Beziehung hätte. Bei Scheidungen gibt es oft Streit, wer das Kind behalten soll. In meinem Fall soll das Kind die Beziehung zu Vater und Mutter aufrechterhalten. Das wurde beim Rechtsanwalt so festgelegt.
Wolltest du denn dein Kind nicht selbst aufziehen?
O ja, aber gerade, als ich mich von dem Mann trennte, konnte ich mir einen Hort nicht leisten. Zu meinen Eltern konnte ich das Kind nicht geben, weil sie von vorneherein gegen diese Verbindung waren und ich mein Elternhaus verlassen habe. So habe ich die Mutter des Vaters gebeten, das Kind zu betreuen. Ich habe zu ihr Vertrauen. Und ich habe das Gefühl, daß das Kind bei ihr richtig erzogen wird.
Mein jetziger Lebensgefährte kommt auch gut mit dem Kind aus. Bis jetzt läuft alles gut.
Vor vier Jahren, als ich mich trennte, gab es noch nicht Bestrebungen wie jetzt, daß nach einer Trennung beide Elternteile sich um ein Kind kümmern sollen. Am Anfang waren alle um mich herum sehr kritisch mir gegenüber, weil ich das Kind aufgebe. Aber wenn meine Tochter erwachsen ist, möchte sie sicher nicht hören: "Deine Mutter hat sich wegen dir geopfert, wegen dir nicht die Arbeit machen können, die sie machen wollte". Daß ich für sie dieses Opfer nicht gebracht habe, ist eine Vorbedingung für ihr glückliches Leben.
(Schweigen).

F.: Unverheiratete Mütter sind sehr selten in Japan?
Ja, aber in meinem Fall haben wir das Kind vorerst gemeinsam erzogen, daher gab es diesbezüglich keine Probleme.
Vor 20 Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Wenn an einem Arbeitsplatz eine ledige Mutter arbeitet, denkt man, was für ein Arbeitsplatz ist das nur! Für die Mutter ist das sehr arg. Es ist ja schon ein Nachteil, wenn man sich scheiden läßt.
Bei uns würde das in der Firma akzeptiert, wenn jemand ohne Trauschein zusammenlebt. Das hört sich aber auf, wenn ein Kind da ist.
Bei uns würde man sich denken, das ist jedem seine eigene Sache!
In meinem Fall wußte von der Verwandtschaft gar niemand, daß ich ein Kind habe. Nicht einmal seine Großmutter.... (Die Frauen kommentieren die Geschichte heftig, jemand schlägt vor, zwischen dem Kind und seiner Großmutter ein "miai" zu machen).
Ich habe mit den Eltern vollkommen gebrochen.
Das ist sehr selten in Japan, überhaupt keine Beziehung mehr zur Familie. Das hast du gemacht, weil deine Eltern gegen deine Heirat waren?
Mein Vater gar nicht so, er vertritt eher den Individualismus, aber meine Mutter. Ich denke mir, man müßte akzeptieren, was eine erwachsene Tochter tut, auch wenn man selbst nicht damit einverstanden ist.

Profi-Hausfrau

Über die Macht-Beziehungen zwischen den Ehepartnern wissen sicher Profi-Hausfrauen besser Bescheid als Berufstätige. Diese Frauen leben, extrem gesagt, mit einem vom Mann gebrochenen Rückgrat, wenn es ihnen nicht gelingt, sich wirtschaftlich unabhängig zu machen.
So weit kann man nicht gehen. Das ist anmaßend!
Bei kaum einer professionellen Hausfrau gibt es eine wirkliche Sklaverei. Das ist ein guter Punkt bei uns in Japan: Die japanischen Männer sind in wirtschaftlicher Beziehung "weich". Sie behalten sich das Geld nicht selbst, sondern geben alles den Frauen. So lange eine Ehe gut geht, ist alles in Ordnung.
In dieser Beziehung sind die Frauen bei uns "Hausherr".

F.: Ist das nicht auch eine Belastung?
In Japan ist das so: Leute der Oberschicht übergeben nicht das gesamte Geld der Frau. Leute in schlechten Lebensumständen vertrauen das gesamte Geld der Ehefrau an. Frauen, die sozial am weitesten unten stehen, haben sozusagen die meiste Macht. (Lachen)

Die Freiheit, nicht zu lieben


F.: Bei uns wird es als komisch betrachtet, wenn eine junge Frau vor der Ehe keinen Freund hat.

Was, es ist komisch, wenn man keinen hat!?
F.: Ja, es gibt eine Art "Druck zur Liebe".
(Lachen, großer Wirbel)
Aha, bei Ihnen in Europa darf es nicht sein, daß jemand nicht liebt! Und das schon ab der Oberschule zirka?
In Japan würden sich die Eltern Sorgen machen, wenn allzu früh ein boy-friend auftaucht. Sie würden nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.
F.: Bei uns ist Liebe etwas ganz Wichtiges. Wer die Liebe nicht erfährt...
...kann kein Mensch werden, kein Erwachsener? Aha, ich verstehe.
Vielleicht ist darum die lesbische und die homosexuelle Bewegung in Europa stärker als in Japan?
Wo finden Sie in Europa die Freunde? Auf Parties?
Aha, so ist das in Europa. Bei uns ist es auch in Ordnung, wenn ich niemanden lieb habe.
Vielleicht wird Ihnen in Europa das Ideal der vollendeten Mann-Frau-Beziehung zu sehr aufgedrängt. In Japan ist dieses Bild seit jeher schwach ausgeprägt, und weil die Menschen sich nicht soviel erwarten, ist die Zufriedenheit hoch.
Wir leben im Dunklen. Bei euch gibt es das helle Ideal. Wenn das Leben nicht dem Ideal gemäß abläuft, folgt Enttäuschung...
In französischen Romanen kommt keine Beziehung zustande, wenn sich die beiden nicht dauernd ihre Liebe versichern. Wenn sie nicht jeden Morgen beim Aufstehen sagen: "Ich liebe dich", so ist das schon das Ende. In Japan spricht man das nicht aus: "Ich liebe dich." Seine Gefühle auszusprechen, wird als peinlich betrachtet. Wie das unter jungen Leuten ist, weiß ich nicht.

Kontakt mit Männern


F.: Wie verkehren Sie mit Männern? Wenn ich die Leute in der Stadt anschaue, scheint es, daß Paare mehr zusammen ausgehen als vor 20 Jahren. Aber ich habe das Gefühl, daß es in Japan zwischen Frauen und Männern noch immer eine ziemliche Isolation gibt.
(Zustimmung)

Ja, es gibt eine Männerwelt und eine Frauenwelt (otoko no sekai, onna no sekai). Es kommt auch selten vor, daß eine Frau und ein Mann zusammen verreisen.
In letzter Zeit dürfte sich da etwas geändert haben. Es gibt einen neuen Stil.

F.: Haben Sie, abgesehen vom Ehemann oder Liebhaber, Männer als Freunde?
(Großes Durcheinander)
Eine vertraute Freundschaft mit einem Mann ist schwierig.
Ich habe einen Freund, nur so. (Gelächter)
Mit Frauen kann ich mich anfreunden, aber mit Männern... Zum Beispiel ich lebe allein. Wenn mich ein Mann allein besucht, dann hat er offensichtlich eine Absicht. (Lachen)
Ich habe keinen Freund, aber es gibt Männer in der Arbeit, die mir sympathisch sind und die ich öfters treffe.
(Die Frauen lachen und reden mehr durcheinander als bei allen vorher angeschnittenen Themen. Ich verstehe kein Wort).
Es kommt vor, daß ich mit jemandem etwas trinken gehe. Es gibt Männer, mit denen ich Sachen reden kann, die ich mit meinem Mann nicht besprechen kann.
(Staunen)
In der Schule verkehren die Mädchen mit Burschen, aber später, wenn sie heiraten, hört der Kontakt auf.
Die Möglichkeit, daß eine verheiratete Frau vom rechten Weg abkommt, ist groß.
Aber es gibt auch in Japan Frauen, die sehr viel mit Männern verkehren!
Diesbezüglich ändert sich sehr viel. Hausfrauen gehen zusammen aus, trinken. Und Hausfrauen gehen auch einmal mit einem anderen Mann aus. Früher waren die Frauen eingesperrt. Wenn eine Frau einen anderen Mann traf, wurde geredet. Heute ist das meiner Meinung nach nichts Besonderes. Das Klima ist ziemlich liberal geworden.
Bei uns am Arbeitsplatz gibt es viele Männer, darum treffe ich privat lieber Frauen!
Ich arbeite in einem technischen Bereich und habe sehr viel mit Männern zu tun. Ich habe in der Arbeit, aber auch privat viel Kontakt mit ihnen.
In Japan arbeiten sowohl Frauen wie Männer in einer ziemlich neutralen Welt. Nach amerikanischen Filmen zu urteilen müssen Frauen sich dort in der Arbeit weiblich geben, sonst werden sie nicht anerkannt. Das muß schwierig sein.
Bisher festgefügte Erwartungen und Meinungen sind jetzt in Japan in Bewegung geraten. Aber wie, wohin sie sich bewegen, dafür gibt es die verschiedensten Möglichkeiten. Es ist alles im Fluß. Wir wissen noch nicht, was wirklich weiblich oder wirklich männlich ist. Und wenn man glaubt, es endlich zu wissen, kommt die nächste Stufe.
In einer Männergesellschaft, wie es die japanische ist, haben die Männer die Vorstellungen von "Weiblichkeit" gemacht.
Auch in der Arbeit entdecken die Frauen langsam ihre Weiblichkeit, nämlich nicht das, was als weiblich festgelegt wurde, sondern was natürlich zum Ausdruck kommt.
Die wichtigste Frage ist, ob junge Leute die Kraft zum Widerstand gegen das Familiensystem haben.
Sie haben gesagt, in Europa gibt es den "Druck zur Liebe" und daß Liebesbeziehungen aus verschiedenen Gründen in der Ehe kaputt gehen. In Japan ist es so, daß sich das Ehepaar nach der Heirat nicht mehr liebt.
(Lachen, auch Widerspruch).
Das ist auch von Fall zu Fall verschieden!
Nein, nach der Ehe dreht es sich nicht mehr um "liebhaben" oder "unsympathisch sein". Da ist die Beziehung einfach "selbstverständlich". Die Ehepartner werden zu Mama und Papa.
Ja, so ist es?
Also , ich, ich streite dauernd mit meinem Mann. Seitensprünge macht er wahrscheinlich wenig.
Der betrügt dich sicher!
Wenn mein Mann nicht mehr wäre, könnte ich mich wieder verlieben!
Kannst du dir denn das noch vorstellen?
Ich glaube, das hat mit dem Alter nichts zu tun!
Also, ich habe soviel zu tun, dafür habe ich keine Energie!
Mir scheint, über 40 hat man nach Liebe nicht mehr viel Bedürfnis!

Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at