Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara

1. Einleitung

"Bitte laß mich einem wunderbaren Menschen begegnen, der gut zu mir paßt und mit dem ich mich gefühlsmäßig gut verstehe..."
Kiyomizu-Tempel, Inschrift auf einem Votivbild, März 1988

"Das Glück kommt nicht vom Ehemann, sondern von uns selbst."
Kimi Komashaku

Im Zentrum des Buches "Onna da kara Weil ich eine Frau bin - Liebe, Ehe und Sexualität in Japan", das 1991 erschienen ist, stehen japanische Frauen zu Ende des 20. Jahrhunderts. Die Fragestellung kreiste in erster Linie um eine Behauptung, die mich lange fasziniert hat: Japanische Frauen seien zwar ökonomisch und sozial abhängiger von ihren Partnern als Frauen im Westen, emotionell seien sie jedoch unabhängiger.

Meine grundsätzlichen Fragen hießen daher: Stimmt das? Wie schaut die Beziehung zum Partner aus? Welche Rolle spielt die Liebe für japanische Frauen? Bei wem stillen sie ihre emotionellen Bedürfnisse? Wie schützen sich japanische Frauen vor Verletzungen und Enttäuschungen? Und: Unterscheidet sich die Antwort auf diese Fragen zwischen den Generationen?

Zwei Hypothesen erschienen mir in diesem Zusammenhang plausibel:

  1. Die Bedürfnisse und Gefühle der Japanerinnen sind nicht anders als in unserem Kulturkreis, anders sind einige Strategien, mit Bedürfnissen und Gefühlen umzugehen.
  2. Diese Strategien sind im Umbruch.
Methodisch ging ich auf zwei Ebenen vor:
  1. Ich führte Intensivinterviews mit japanischen Frauen verschiedener Altersstufen, Sozialschichten, Ausbildungsgrade sowie Familien- und Arbeitsverhältnisse zur genannten Fragestellung durch.
  2. In einer Befragung mit Fragebögen konfrontierte ich eine größere einheitliche Gruppe von Frauen mit denselben Fragenstellungen, wobei in die online-Version nur die Interviews aufgenommen werden.

Ich habe die Einzel- und Gruppeninterviews nur soweit bearbeitet wie es für eine Publikation unbedingt nötig ist. Das heißt, ich habe sie übersetzt, gekürzt und teilweise umgegliedert, sie aber nicht in zum Fragebogen passende Variable aufgelöst und in eine statistisch definierbare Beziehung mit den Fragebögenergebnissen gesetzt. Die Interviews und Gespräche waren keine Vorarbeit oder Ergänzung zur Befragung, sondern stehen gleichrangig als eine Medium der Informationserhebung und -übermittlung da.

Die Befragung von 500 Japanerinnen, die zum Großteil nach dem Pazifischen Krieg, zu einem kleinen Teil davor die Städtische Oberschule von Hamamatsu absolviert hatten, sollte quantifizierbare und vergleichbare Daten liefern. Ziel der Befragung war es

  1. die Beziehung zum Partner sowie Vorstellungen und Meinungen zu Liebe, Ehe und Sexualität zu erfassen;
  2. den möglichen Wandel in den Einstellungen zu Liebe, Ehe und Sexualität objektiv faßbarer zu machen als es einige Individualinterviews ermöglichen. Die Variable Alter spielte daher bei der Auswertung eine entscheidende Rolle;
  3. ständig in der Öffentlichkeit und in Privatgesprächen (inklusive Interviews) wiederholte Behauptungen über Ehe, Liebe und Sexualität zu überprüfen.

Bei der Erarbeitung der Fragebögen ging ich von meinen eigenen Fragestellungen aus, und hielt mich nicht an bereits vorhandene Befragungen. Ich versuchte nicht, meine eurozentristische Sichtweise von Liebe, Ehe und Partnerschaft aus den Fragen zu eliminieren, da sie hilft, Unterschiede zu erfassen. Eine "japanisierte" Sichtweise hätte vorausgesetzt, daß ich das, was ich erfragen wollte, bereits weiß.

Im Gegensatz zu den Interviews ging die Befragung anonym vor sich, wurde per Post durchgeführt und operiert hauptsächlich mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Nur diese wurden ausgewertet.

Der Vorteil der Befragung war, daß sie die Möglichkeit bot, eine große Menge derselben Fragen an eine in Einzelinterviews nicht erreichbar große und beschreibbare Gruppe zu richten und Trends zu erfahren. Der Nachteil war, daß die Fragen zum "indiskreten" Thema "Liebe, Ehe und Sexualität" noch subtiler gestellt werden mußten als den Interpviewparterinnen. Individuelle Fragen nach der eigenen Liebe, Ehe und Sexualität hatten bei einer Postbefragung wenig Aussicht auf Beantwortung, sondern gefährdeten die gesamte Beantwortung.

Die Befragung wandte sich an einen Personenkreis von nur 500 Befragten, erforderte aber dennoch die Mitarbeit und Unterstützung von vielen Menschen, kostete viel Zeit und viel Geld. Ich hoffe, daß die Ergebnisse den großen Einsatz annähernd rentabel machen.

Die Interviews führte ich großteils im Sommer 1988 durch. Die Befragung erfolgte Ende August bis Mitte September 1988. Die Rücksendequote der Fragebögen betrug über 55%.

Die Fragestellungen wurden nur an Frauen gerichtet. Nur Frauen selbst können ihre eigene Sichtweise wiedergeben. Faszinierend wäre es gewesen, dieselben Interviews und Fragen an Männer zu stellen. Das war leider aus Zeit- und Geldgründen unmöglich.

Zu Neujahr 1991 schrieb ich an alle Interview-Partnerinnen und bat sie, mir Nachricht über aktuelle Entwicklungen in der Zeit seit den Interviews zu geben. Fast alle folgten dieser Bitte.

Die Auswahl der Interviewpartnerinnen erfolgte nach dem "Bekanntschafts-Prinzip". Ich ersuchte mir bekannte Japanerinnen und Japaner um Unterstützung beim Auffinden von potentiellen Gesprächspartnerinnen nach den oben erwähnten Kriterien. Besonders auf diese Bitte eingegangen ist Professor Yasuko Imai, eine Literaturwissenschaftlerin, die sich seit einem einjährigen Wien-Aufenthalt 1976/77 mit Frauenfragen befaßt. Sie und die mit ihr befreundete Journalistin Mayako Ogino vermittelten mir mit Hilfe ihres Bekanntenkreises alle Gesprächspartnerinnen außer Tomoko O., Masae T., Fukuko I.und Sumie Tanaka. Auch Professor Itsuko Teruoka danke ich für ihre Hilfe bei der Auswahl der Interview-Partnerinnen.

Obwohl die Thematik sehr persönlich war und ich eine Ausländerin bin, kamen mir alle Frauen überraschend offen und herzlich entgegen. Ich führte die Interviews in japanischer Sprache und bedanke mich an dieser Stelle für das Vertrauen und für die Geduld. Die Bekanntschaft mit den Interview-Partnerinnen und den Frauen, die mir diese vermittelten, war für mich ein großer persönlicher Gewinn.

Ich erarbeitete in Österreich einen Interview-Leitfaden.

Dieser wurde vor meiner Ankunft in Japan gemeinsam mit einem Vorstellungsbrief von Yasuko Imai an die Interview-Partnerinnen übermittelt. Insgesamt war ich im Frühjahr des Jahres 1988 zwei Wochen und im Sommer 1988 vier Wochen in Japan. Ohne minutiöse und effektive Vorausplanung hätte ich das vorgesehene Interview-Programm nicht durchführen können. Auch dabei hat mir vor allem Yasuko Imai geholfen. Die Interviews dauerten in der Regel zwei bis drei Stunden. Ich benützte zwar den Interview-Leitfaden für die Vorbereitung, ließ das Gespräch jedoch so weit wie möglich fließen, wie es sich ergab.

Aufgrund des "Bekanntschaftsprinzips" ergab sich Hamamatsu als örtlicher Schwerpunkt des Buches: die Befragung wurde dort durchgeführt, zwei der Interview-Partnerinnen sind dort wohnhaft, zwei stammen von dort (insgesamt vier der jungen Frauen zwischen 20 und 30); das Beratungszimmer für Frauen, das vorgestellt wird, befindet sich in Hamamatsu, und auch informelle Gespräche wurden am häufigsten mit Frauen aus Hamamatsu geführt. Hamamatsu ist eine mittelgroße Industriestadt in Mitteljapan und geeignet, um ein repräsentatives Bild (wenn auch nicht im statistischen Sinn) von japanischen Frauen der Mittelschicht zu vermitteln.

Weitere Schwerpunkte waren der Raum Ôsaka und Kyôto sowie Tôkyô, wobei die Weltmetropole Tôkyô als am fortschrittlichsten, der Raum Ôsaka und Kyôto (speziell Kyôto) als konservativ gilt.

Der Aufbau des Buches sieht so aus: Der erste Teil des Buches enthält die Gespräche und Interviews, jeweils versehen mit einer kurzen Einleitung und Angaben zum weiteren Leben der Befragten.

In "Reisenotizen Japan 1988" bringe ich andere für das Thema einschlägige Erlebnisse und Gespräche unter. Auch jene Interviews, die wegen sprachlicher oder technischer Probleme nicht auswertbar waren, finden hier, unterstützt durch Tagebucheintragungen, einen Platz.

Als zweiter großer Abschnitt folgt die Präsentation der Befragungsergebnisse, die ich verbal und mit Tabellen und Abbildungen vorstelle. Ich übernehme sie nicht in die online-Version, da sie sperriger darzustellen sind und ich aus heutiger Sicht (2008) an der Befragung einiges auszusetzen habe.

Das Resümee halte ich absichtlich kurz, denn ich möchte den Leser/innen keine neue Theorie über japanische Frauen servieren, sondern Sie bitten, sich ein eigenes Bild zu machen.

Die durchgehenden Themen beider Bereiche sind:

Die Beziehung zum Partner, Liebe und Ehe, Sexualität, Partnerschaft, Resignation, Treue und Untreue, Berufstätigkeit, Rollenfixierung und Normentreue, Fremdbestimmung und Selbstbestimmung.

Im Anhang finden sich zwei Aufsätze von Japanerinnen: ein sozialhistorischer Essay von Yasuko Imai und eine literaturwissenschaftliche Arbeit von Mitsuko Morisaki. Beide Aufsätze können, ebenso wie die Interviews und Gespräche, als individuelle Sichtweisen von Japanerinnen betrachtet werden.

In der Literaturliste gebe ich vor allem jene Bücher an, die in deutscher Sprache zur behandelten Problematik Stellung nehmen. Sie umfasst aber nur Werke bis zur Publikation der print-Ausgabe des Buches 1991.

Die Altersangaben sowohl der Interviewpartnerinnen wie auch der Befragten, beziehen sich sämtliche auf das Jahr 1988, dem Zeitpunkt der Erhebung.

Geldangaben operieren ebenfalls mit dem Yen-Kurs zum Zeitpunkt der Erhebung: 1000 japanische Yen waren nicht ganz 10,00 öS oder ca. 00,70 Euro.

Die Namen schreibe ich, da der Wiener Frauenverlag (heute Milena-Verlag) sich an ein deutschsprachiges Publikum wendet, nicht nach japanischem Usus, sondern den Vornamen vor dem Familiennamen. Nur die Namen jener Interviewpartnerinnen, die in der Öffentlichkeit bekannt sind, schreibe ich aus, ansonsten nenne ich zum Schutz der Gesprächspartnerinnen nur die Vornamen.

  • Zum Schluß einige Bemerkungen, die für die gesamte Arbeit gelten:
  • In drei Punkten waren mir Grenzen gesetzt: Ich hatte äußerst ökonomisch mit Geld, Zeit und Platz umzugehen. Nicht nur deswegen, aber auch deswegen stehen japanische Frauen und ihre Realität im Mittelpunkt. Die Arbeit konzentriert sich nur auf die von mir durchgeführten Erhebungen. Sie bietet in erster Linie Primärmaterial, das als Referenzmaterial verwendet werden kann. Ich vergleiche im Buch weder mit der Vergangenheit, noch mit dem Westen noch mit Meinungen von anderen Japanologen, Soziologen oder Psychologen.
  • Das gesamte Material mußte übersetzt werden. Die japanische Sprache ist auf dem emotionellen Sektor sehr differenziert. Manche Begriffe haben keine Entsprechung im Deutschen. Ich habe daher häufig japanische Ausdrücke im Text angegeben und im Glossar Übersetzungsvarianten angefügt. Insgesamt habe ich versucht, so weit wie möglich im Deutschen die Eigenarten der japanischen Ausdrucksweise und des japanischen Satzduktus zu erhalten.
  • Ich hoffe, daß es den Leser/innen so ergeht wie mir: Die Interviews und die Befragung haben mein Bild über das Leben japanischer Frauen wesentlich schärfer belichtet und detailreicher werden lassen.
  • Ich hatte bei der Arbeit zu diesem Buch sehr viel Glück: Ich konnte ein Projekt nach eigenen Vorstellungen durchführen, und erhielt dabei von allen Seiten Wohlwollen und Unterstützung. Danken möchte ich an dieser Stelle dem Jubiläumsfond der Österreichischen Nationalbank für die finanzielle Förderung des Projektes. Namentlich danken möchte ich nochmals Professor Yasuko Imai und Mayako Ogino für die freundschaftliche und uneigennützige Hilfe, die sie viel Zeit und Mühe gekostet hat. Hisako Terada, der Vorsitzenden des Absolventinnenvereines der Städtischen Oberschule von Hamamatsu möchte ich stellvertretend für alle Frauen danken, welche die Befragung ermöglichten - unter anderem, indem sie sich Zeit für den langen Fragebogen nahmen. Mag. Karin Protze führte mit Engagement und Akribie die Auswertung der Fragebögen im Rechenzentrum der Universität Wien durch. Eva Schaudy übersetzte den literaturwissenschaftlichen Artikel ins Deutsche. Die japanischen Zeichen am Buchtitel stammen von Mag. Megumi Maderdonner. Das Institut für Japanologie der Universität Wien (heute Japanologie am Institut für Oastasienwissenschaften der Universität Wien) stellte mir seine Infrastruktur zur Verfügung. Viele Freundinnen und Freunde haben mich mit verschiedenartigem Rat und Ermutigung unterstützt. Ihnen allen bin ich sehr dankbar - nicht zuletzt auch dem Wiener Frauenverlag, der mir bei der Arbeit völlig freie Hand gelassen hat und mich nur in einem drängte, nämlich, das Buch überhaupt zum Abschluß zu bringen.
Online-Version
Für die Mühe der Erstellung der online-Version danke ich Hans Hauer. Sie wurde durchgeführt, da das Buch vergriffen ist, und ich es schade finde, wenn die Interviews mit japanischen Frauen aus einer Zeit, in der sich sehr viel in ihrer Lebenssituation bewegte und veränderte, nicht mehr gelesen werden können. Die online-Version wird sämtliche Interviews sowie die zwei Beiträge von Imai Yasuko und Morisaki Mitsuko im Anhang umfassen, jedoch nicht die Befragung. Bis auf einige Kürzungen und Anmerkungen in der Einleitung wird die print-Ausgabe unverändert übernommen. Daher entspricht die Rechtschreibung ebenfalls dem Standard des Jahres 1991.

Ruth Linhart

November 1991 print-Ausgabe

August 2008 online-Version


Ruth Linhart | Japanologie | Onna da kara Email: ruth.linhart(a)chello.at