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Das weisse Haus Gol Baithak

10.3.1995, Besuch im weißen Haus, Patan


Patan. Cafe de Temple. Dachterrasse. Hier ist es etwas angedreckt, aber der Blick auf den Durbarplatz ist märchenhaft. Ein schöner Tag. Jetzt gibt es Apple Pie und Momos.

Gol Baithak
Heute war der zweite große Tag. In bezug auf "das Haus". Wir fuhren nach Thapatali. Wir fanden das Haus. Der Sohn sah uns wieder von der Veranda aus. Er bat uns hinein. Wir zogen die Schuhe aus und setzten uns in einer Art Salon auf die mit einem weißen Schonbezug überzogene Polsterbank. Der Sohn saß gegenüber auf einem weiß überzogenen Fauteuil. An den Wänden jede Menge Fotographien mit Mitgliedern der Rana-Familie.
Ob wir Tee oder Kaffee wollen. Ich zeige meine Fotos mit dem Haus und mit meinem Vater. Dann kommt der Hausherr, er hat ein rotes Tika auf der Stirn. Ein älterer Mann in Pullover, Hemd, Turnschuhen. Der Sohn trägt einen weißen Trainingsanzug. Wieder weise ich die winzigen verdrückten Schwarzweißbilder aus dem Jahr 1958 vor.
Dr. Fischer
Der Vater denkt nach. "There was Dr. Dann here, in the sixties. Yes, an American doctor." Der Sohn wirft ein, daß Doktor Fischer vorher hier war. Ich sage: "He worked at the United Nations, ILO." Da funkt es bei dem Vater. "Now I remember. He was the first who rented this house. I remember him. I worked with him actually. Yes, and once he was sick. I got a doctor for him."
Schon vorher haben wir mit dem Sohn besprochen, daß damals das Erdgeschoß "in a devastated state" gewesen sei, unbewohnt (ein Hahn kräht, Trommelmusik, Hupen).
Wir unterhalten uns, wie das Haus damals ausgeschaut hat. Das Erdgeschoß, wo wir jetzt sitzen, war unbewohnt. Die Küche lag hinten im ersten Stock. Ein zusätzliches neues Haus wurde errichtet, wo früher das Eingangstor war und das Gärtnerhaus stand. "Ja, ja, das gab es!" Auch auf der Hinterseite des Gebäudes wurde angebaut. Und noch ein Haus dazugebaut, in ähnlichem Stil.
Wir dürfen "das Haus besichtigen. Die Stiegen hinauf. Das Geländer wurde geändert. Es gibt neue zusätzliche Fenster. Wo die Küche war, ist ein zweites Bad. Der Vater öffnet uns jede Tür. Schlafzimmer, Wohnzimmer. Überall Leute drin. Er wohnt hier mit seiner ganzen Familie. "All on one pack", sagt der Sohn. Wir steigen auf das Dach. Auch hier schaut es anders aus als damals. In den Räumen wurde ausgemalt. Die Holzbalken an den Decken, unter denen nachts die Kakerlaken hervorkrochen, sind bereinigt.
Es ist wunderbar, in diesem Haus herumzugehen. Es entdeckt zu haben. Ich bin glücklich. Wir besichtigen auch den Garten. Der war viel größer. "No use to have much land today", sagt der Vater. Dann serviert ein Diener der Tee in großen Tassen. Mit Milch und Zucker. Ich frage um den Namen der Familie und die Adresse des Hauses. Der Vater gibt uns seine Visitenkarte, ich überreiche ihm meine. Er fragt , woher wir kommen. "From Vienna". Have you been there?" "No, once I got to Italy, but somehow I made it not to Vienna. Vienna is one of the most important cities of Europe".
(Der Hahn kräht wieder).
Das Familienoberhaupt heißt Parthiv Shamshere J.B. Rana. "The name of the house is GOL BAITHAK, which means `The Round Palace´. It was the private rsidence of the first prime-minister Jung Bahadur Rana". Mr. Rana erzählt, daß Jung Bahadur Rana, als er 1850 nach England fuhr, Architekten mitnahm, die Londoner Oper beeindruckte ihn, sie war rund, daher wünschte er sich in seinem Haus einen runden Erker.
"The Chinese-Nepalese Treaty was signed here - sometime in the 19th century".
1934 beim Erdbeben sei das Haus eingestürzt, es wurde aber neu aufgebaut, in seiner jetzigen Form, die der ursprünglichen gleich sei.
Jung Bahadur war derjenige Krieger und Politiker, der mit einem blutigen Umsturz 1846 die Macht erringt. Er gründet die Rana-Dynastie und ist der erste einer Folge von erblichen Premierministern, die Nepal hundert Jahre regieren. Das Königshaus führt während dieser Epoche ein Schattendasein. Erst 1950 kommt es zu einem Umsturz, als Resultat bekommt Nepal wieder einen mächtigen König, vorerst Tribhuvan, ab 1955 seinen Sohn Mahendra und Ansätze einer demokratischen Verfassung. Die ist jedoch den Königen scheinbar ein Dorn im Auge.
Singha Durbar
Jung Bahadur Rana war auch der Herrscher, der sich das Singha Durbar erbauen ließ, die größte Privatresidenz Asiens (Baedecker). Eine seiner weiteren Privatresidenzen war unser weißes Rana-Palästchen? "Runder Palast - Gol baithak". Ein Märchen! Der Sohn holt ein dickes englisches Buch und sucht darin ein Bild von dem Haus. Das Buch heißt "Nepal unter den Ranas". Den runden Palast findet er nicht, nur die großen Gebäude in der Nähe, die zum "Thapatali Durbar" gehören.
Nach einer Weile tritt auch die Frau, die Mutter der Familie, ins Zimmer. "My wife". Eine äußerst dünne große Frau, graue Haare, gelber Sari. Sie setzt sich in den Fauteuil neben dem Vater. "Where have you been in Nepal?" fragt sie, aber wir können nicht antworten, denn Mr. Rana ergreift wieder das Wort. "We also have a travel agency, my son leads it. If your friends come to Nepal, they can call us". Die Travel Agency des Parthiv Shamshere Rana-Sohnes heißt "Nirwana Travels".
Ein großer Hund kommt ins Zimmer, auch andere Hunde tummeln sich um uns. Ich fotographiere Herrn und Frau Rana mit Hund. Mr. Rana fragt, was meine Eltern nach ihrem Nepal-Aufenthalt weiter machten. Ich sage, der Vater sei noch oft im Ausland gewesen, in vielen Ländern Asiens und Afrikas. Der Rana-Vater sagt: "Give my regards to him."
Das Hotel Vajra kennt er, er sei zwei-, dreimal dort gewesen. "Out of place", ein Ort wie eine fremde Welt.
Wir trinken den Tee aus. Vor dem Haus fotographieren wir die Familie und den Sohn und der Sohn uns mit Familie. "Call us, when you come to Austria". Händedruck zum Abschied. Die Frau sagt: "Thank you for having come after such a long time and God bless you." Sohn und Vater bedanken sich, daß wir so "kind" waren, sie zu besuchen. Ich sage, wie glücklich ich hier war und wie glücklich ich bin, daß ich dieses Haus wirklich gefunden habe und daß ein Zweck meiner Reise die Suche nach diesem Haus war. Dann gehen wir. Glücklich.

Abends. Wieder habe ich bemerkt, dass alle Hans ansprechen. "We have Tandoori, Sir." Auch der Rana-Vater redete zu Hans gewandt, obwohl er sich mit mir unterhielt. So ist das halt hier. Bei dem Besuch der Familie Rana in "unserem Haus" fiel mir auf, wie völlig unwissend ich bin, was die Sitten und Gebräuche in Nepal betrifft. Zieht man die Schuhe aus, wenn man in ein Haus eintritt? Wie grüßt man? Wie unterhält man sich? Wie lange ist ein Höflichkeitsbesuch? Ich hoffe, wir haben uns nicht zu sehr daneben benommen.

In der Zeitung stand auch heute einiges über den Frauentag und diverse Aktivitäten aus dessen Anlaß.
Japaner haben hier ziemlich stark ihren Fuß in der Tür. In der Kathmandu Post lese ich von diversen Delegationen und Hilfsaktivitäten japanischer Art. In Patan wurde ein schönes Haus - oder ein Tempel oder ein Palast - renoviert: Von government and Japanese Technical University. Und die Brücke nach Patan über den Bagmati wird erweitert. Oder renoviert. Dort steht auf einem großen Spruchband "Grant of the Government of Japan - Japanese development corporation agency". Viele, viele Autos sind japanisch. Motorräder tragen die Embleme der Firmen Hero-Honda, Bajaj- Kawasaki, Ind-Suzuki und Yamaha und zahlreiche Einachs-Schlepper stammen von der Firma Suzuki. Motorradfahren gehört anscheinend zum Modesport junger Männer des Kathmandutals.

Der "runde Palast" befindet sich wirklich - wie in meiner Erinnerung - ganz in der Nähe des Bagmati. Nach dem Besuch bei der Rana-Familie spazierten wir südwärts und gelangten zum Fluß.
Heute ein Ort für die Verrichtung von Notdurft aller Art und zum Abladen von Mist. Im Flußbett nur ein schmales Rinnsal. Thapatali ist ein vornehmer Distrikt mit großen Villen. Aber hier am nahen Fluß lagern ganz arme Leute. Einer steht im Wasser und holt etwas heraus, wir konnten nicht sehen, was es war. In den trüben Lachen des Bagmati schwammen grüne Algen. Am Ufer blühten Kirschenbäume. Der Himmel war blau. Der Langtang zeigte sich. Es war sehr warm.
Wir gingen etwas weiter, ich glaube flußabwärts. Das wenige Wasser im Fluss bewegt sich nicht, sodass man die Laufrichtung schwer erkennen kann.
Hier waren oder sind noch ghats, hinduistische Badestellen, zum Teil von Gras überwuchert. Es schaute aus, als wohnten Leute direkt am Fluss, ziemlich arme Leute. Auf einem runden Fundament, saß eine alte Frau im Schneidersitz und bearbeitete kräftig etwas mit einem Mörser. Ein kleines Kind schaute aus der Tür in der Mauer zu. Ich fragte, ob ich sie photographieren dürfe. Sehr energisch, sehr kurz angebunden, sehr vital "No!"
Hans meint, der Mann, der mit dem Kübel aus dem Bagmati Wasser schöpfte, habe Sand geschöpft, der Sand werde als Baumaterial verwendet. Wir sahen nämlich nachher einen Lastwagen, der nassen schwarzen Gatsch transportierte. Mehrere Leute suchten im Müll am Fluß allerlei. Eine Motor-Riksha fuhr bis zum Wasser. Der Fahrer stieg aus und urinierte.
Wir stapften zwischen den Rinnsalen herum. Immer wieder riefen uns Leute , aus einem Zelt oder vom anderen Ufer her, "Hallo" zu.
Der Weg am Flußufer endete plötzlich. Es gab noch einige kleine Heiligtümer, wie sie auf meinen Nepal-Fotos von 1958 zu sehen sind. Ein winziger Tempel war mit fein gearbeiteten Reliefs verziert. Wir wendeten uns wieder in Richtung Arniko Marg und spazierten durch enge labyrinthische Gäßchen. Auf einmal gallopierte eine Kuh auf einen kleinen Platz. Kinder und Frauen, vielleicht auch Männer liefen aufgeregt herum. Eine Frau warf der Kuh einen halben Ziegelstein nach, um sie zu verscheuchen. Die Kuh sprang in Panik in die Luft. Ich floh in Panik um eine Ecke. Die Kuh war verhältnismäßig wohlgenährt und braun, mit hübschen Hörnern.
Hans mußte in der Folge als Vorhut die schmalen von Mauern gesäumten Gassen betreten. Falls eine weitere Kuh herbeigesaust wäre, hätte es aber keine Fluchtmöglichkeit gegeben. Ein Haus, an dem wir vorbeigingen, hieß "Nepal-Ashram".
Auf der breiten Straße gabelte uns eine Motorriksha auf. Wir holperten und ratterten entsetzlich über die Brücke nach Patan hinauf, die Motorriksha schien die leichte Steigung nicht schaffen zu wollen. In Patan schaute ich zuerst nicht auf die Tempel, sondern auf ein WC-verdächtiges Gebäude.
(Dieses Lassi, das ich trinke, schmeckt "nepalesisch". Es riecht, wie es oft riecht, auf der Straße, in Geschäften - dieser eigenartige Geruch, ein Geschmack, der auf die Magennerven drückt. Der auf die Zunge wirkt, als werde etwas gegen den Strich gebürstet. Eine Vorahnung von Übelkeit.)
Ich kletterte die Stufen eines Restaurants hinauf. In den Häusern führen ziemliche Hühnerleitern bis zum Dach und von der Leiter weg geht es in die Räume. Das Lokal in diesem Haus befand sich weit oben, im dritten oder vierten Stock, sah sehr sauber aus und es gab niedrige Tische, vor denen man am Boden sitzen muß, aus braunem Plastik, das erinnerte mich an Japan. Gäste waren noch keine da. Es war zirka 12 Uhr mittags. Das Klo war sehr sauber. Im ersten Stock hielt ein Bub Wache. Er stand auf, als ich hinaufging und nach der Toilette fragte und er stand wieder auf, als ich hinunterging.
Nun konnte ich mich leichten Herzens an dem Erlebnis mit "unserem Haus" und an dem herrlichen Tempelplatz von Patan erfreuen. Ein Bub, der sich als "guide" anbot, ließ von uns ab, als ich sagte "We were here already". Allerdings sprach Hans, als ich von der Toilette kam, mit einem kleinen Mädchen, dessen Augen verführerisch wie die der Kumari geschminkt waren - tiefschwarz. "Sie hat mich jetzt gefragt:`Give me a rupie. Give me a pen. Buy me a schoolbook. Buy me a school-uniform". Sie wollte Hans noch verfolgen, er fuhr sie aber ziemlich an: "Verschwinde!" oder so ähnlich.
Diese Bettelei ist ein bißchen widerlich. Touristen sind einfach für diese Kinder Personen, die man auf Teufel komm raus ausquetschen muß.
Wir entfernten uns vom Durbar-Platz und spazierten durch die Gassen, an weiteren Pagoden und Tempeln vorbei. Eine der Pagoden war fünfstöckig und über und über mit Schnitzereien - und zwar bunten - verziert. Viele Leute beteten, falteten die Hände, beugten den Kopf und berührten die Götterstatuen, drehten die Gebetsmühlen. In einem der Tempel fand gerade eine größere Feierlichkeit statt. Viele prächtig gekleidete Frauen, Kinder, Männer, die lachten und in die Hände klatschten.
Wäscherinnen, Patan 1995
Vor einer anderen Tempelanlage befanden sich zwei große Vertiefungen, Gevierte, Brunnenanlagen, wie sie hier üblich sind. In dem einen Brunnengeviert wuschen Frauen Wäsche, im anderen, größeren, wuschen sich viele Leute den Körper, Frauen, junge Männer, wuschen sich hier auch die Haare.
Im Hof eines Hauses spielten Hochzeitsmusikanten mit Trommeln und Trompeten auf, schön angezogene junge Männer schmückten ein großes Auto mit bunten Glitzergirlanden.
Schließlich gelangten wir zur nördlichen, zur Ashoka-Stupa. Eine viel kleinere Stupa als Bodnath mit freundlich blickenden Buddha-Augen darauf. Frauen saßen zu den Füßen der Stupa und strickten. Wir setzten uns auf ein Mäuerchen und schauten über die Rapsfelder, die Häuser bis hin zum Langtang.
Auf dem Rückweg kehrten wir auf die Dachterrasse des Cafe de Temple ein. Plötzlich war auch der große grauhaarige schön anzuschauende deutsche Gast unseres Hotels hinter mir. Er ging aber bald wieder. Wir saßen recht lange dort oben. Blick auf den ganzen Durbar-Platz. Sonne, Pagoden, rotes Ziegelwerk, feinste Schnitzereien an Fenstern, Türen und Pfosten. Glöckchen rund um die Dächer. Auf den Fundamenten der Tempel haben die Souvenir-Verkäufer auf Decken ihre schönen Sächelchen ausgebreitet. Fast nur junge Männer sitzen dabei.
Wir kauften ein Thanka mit Vajra-Yogini in einem Geschäft, an der wir dreimal im Vorübergehen stehen geblieben waren, um das Bild zu betrachten. Und eine kleine blaue Ganesh-Maske und einen Ganesh aus Lime-Holz.
Dann kam die südliche Straße dran. Messing-Händler stellen hier ihre großen Krüge und anderen Waren aus, die Sonne läßt sie schimmern. Lebhaftes Treiben, viele normale Geschäfte. Als wir zum Fleischhauer kommen, bin ich fürs Umdrehen. Zurück wieder zu dem Schnitzereiwaren-Händler in der nördlichen Straße. Dort kaufen wir ein Kistchen, das so geschnitzt ist, wie die durchbrochenen Fenster, aus Teak-Holz. Schnitzereien aus Sandelholz gebe es nicht, sagte der Händler. Es gibt keine Sandelbäume in Nepal. Warum war für mich Sandelholz und der Duft nach Sandelholz immer der Inbegriff Nepals?
Schließlich feilschen wir auf dem Durbarplatz noch um kleine Schmuckdöschen mit Halbedelsteinen, deren Preise sich je nach Händler beträchtlich unterscheiden, und Hans ersteht einen herzigen, leider ziemlich schmutzigen kleinen Ganesh aus Elfenbein. Dieser Ganesh hat ein dickes Bäuchchen und verschränkte Beine. Er schaut ziemlich kokett.
Dann wieder in eine Motorriksha. Sie stirbt oft ab, wir stehen im Vier-Uhr-Stau, rush hour. 100 Rupien vom Lalitpur-Durbar-Platz bis zum Vajra-Hotel. Hier herrliches Abendglühen auf der Dachterrasse. Wir bestaunen unsere Neuerwerbungen und essen Tandoori-chicken.

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