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Das weisse Haus Gol Baithak

6.3.1995, Bhaktapur und Changu Narayan


Nyatapola-Pagode
"Because of our self esteem, don't encourage begging". Changu Narayan.
Abendessen. Am Nebentisch eine Gruppe mittelalterlicher Deutscher. Der junge Mann, der schon einige Tage im Vajra ist, ist ihr Reiseführer. Heute im Stiegenhaus wechselte er einen Händedruck mit einem Kellner und sprach auf Newari oder Nepali mit ihm. Jetzt redet er Deutsch mit Akzent. Er ist per "Du" mit den Leuten, die im Anorak beim Essen sitzen. Er sprach über das Geld, daß jeder sein Gepäck in einer großen roten Plastiktasche mitnehmen solle, daß sie nur ganz wenig selber tragen sollen. Das sei wichtig. Oft glaubten junge Leute, Sherpa seien arm, wenn sie soviel schleppen müssen, aber für diese sei das normal. Die seien das gewohnt. Über Wäsche und über das Essen. Zwischen 1/2 7 Uhr und 7 Uhr kommen Sherpas mit Tee zum Zelt und bringen heißes Wasser und dann gibt es ein reichhaltiges Frühstück. Es sei wichtig, viel zu essen. Es gebe auch ein reichhaltiges warmes Abendessen. Fünf oder sechs Speisen zur Auswahl und mittags ... Das habe ich nun nicht verstanden. Rund um Kathmandu sei man meistens in der Natur, nicht soviel in Dörfern, aber in Sikkim(?).... 16 Tage seien sie unterwegs. Nun essen die Leute.

Vier Millionen Götter gibt es. Hans streitet fast mit mir, weil er "36 Millionen" gehört hat. In Changu Narayan hat uns nämlich ein jüngerer Mann ein bißchen Kommentar zu diesem oder jenem gegeben.

Heute um zehn Uhr Taxi. Ich ging Geld wechseln. Der Dollar steht sehr niedrig, erzählt der Deutsche. Man braucht kein "receipt" mehr für den Zoll, sagte der Angestellte an der Rezeption. Der Taxifahrer war schon da, während wir noch im Hotelzimmer waren. Ein Hotelangestellter kam uns holen. Der Taxifahrer wollte, daß wir mit ihm nach Bhaktapur und wieder retour fahren, wir wollten nur hingebracht werden.
Es war ein Wahnsinnsverkehr, der Taxifahrer recht munter.
Der Taxifahrer fragte uns allerhand. Ich kann schlecht schreiben, weil der Reiseleiter mit lauter Stimme sehr viel erklärt.

Der Taxifahrer hat gefragt, warum wir da sind und wie wir Nepal finden. Wir sagten, es gebe zu viele Leute. Und er sagte, alle wollen nach Kathmandu, weil es hier Schulen und Ämter und Jobs gebe. Er selbst sei aus Kathmandu. Ja, es sei wahr, es seien viel zu viele Leute hier. Und zu enge Straßen und zu viele Autos. Wir blieben häufig im Verkehr stecken und das bis Bhaktapur. Wir fuhren um knapp nach 10 Uhr ab und der Taxifahrer sagte "Office-time".
Wir passierten das Singha Durbar, das Viertel Thapatali und den Flughafen. Beim Royal Palace standen viel Polizisten, die den Verkehr zu regeln versuchten, auch eine dicke Polizistin.
Ich bemühte mich, zu ergründen, wie die Frauen die Schals tragen. Viele wickeln Schals über Sari und Pullover. Heute war es sehr bewölkt. Die Frauen haben die Tücher ähnlich um den Körper geschlungen wie die Saris, glaube ich. Sie beginnen vom Rücken her und wickeln den Hauptteil vorne über die Brust.
Ficus religiosa in Bhaktapur, Nepal 1995
Wir sind an Slums vorbeigefahren und an Rapsfeldern. Hinter Bussen her und Lastwägen und schließlich - schon im Stadtgebiet von Bhaktapur - an zwei Monsterbäumen vorbei.
Hans glaubt, es hätte sich um Ficus religiosa gehandelt. Einer der Bäume überwucherte Ziegelmauern, vielleicht wurden die Wurzeln von den Ziegeln festgehalten. Bursthöhendurchmesser drei bis vier Meter! Die Krone war so riesig, wie ich es noch nie bei einem Baum gesehen habe, der Blattbesatz aber relativ schütter. Ficus scheinen hier immergrün zu sein. Jetzt ist die trockenste Zeit und das merkt man überll. Die Bananenbäume haben vertrocknete Wedel. Interessanterweise ist es neben dem dünnen Rinnsal des Bagmati am allertrockensten.


Bhaktapur
Wir fahren auf den Parkplatz und schon hängen sich fünf Burschen an das Auto. Diese Burschen wollen uns alle führen! Ich sage sehr mürrisch: " We have been here already!" Auch Hans schimpft. Wenn man schimpft, antworten die Leute alle beschwichtigend: "No problem, no problem!"
Bhairav
In Bhaktapur besichtigten wir zuerst die Nationalgalerie.
Da waren viele Bilder, aus dem 19. , auch aus aus dem 17. und 18. Jahrhundert, sogar aus dem 15. Jahrhundert. Diese Bilder waren wahrscheinlich alle Thankas, auf Stoff gemalt, in leuchtendsten Farben, die herrlichsten Götter und Damönen. Die waren wirklich faszinierend, Bhairavs oder Bhairav-ähnliche Götter mit Flammenhintergrund. Bhairav ist die blutrünstige zornige Inkorporation von Shiva. Allüberall grimmige Gestalten mit verzerrten Gesichtern, vielen Armen, vielen Köpfen, aus Gehirnschalen Blut triefend, mit Ketten aus Totenköpfen, Arm- und Halsbändern aus Schlangen, Kobras, stehend auf anderen Göttern, Heiligen, Dämonen und Tieren, die vielleicht gerade getötet worden sind oder darauf reitend. Das ist eine Vielfalt an Fantasie! Die vielen Gestalten der Götter mit den vielen Attributen. Übrigens, Beine gibt es eigentlich immer nur zwei.
Diese Vielfalt gibt der wirklichen Vielfalt und Vielseitigkeit des menschlichen Inneren einen scheinbar ungehemmten Ausdruck. Es ist aber wahrscheinlich in der Darstellung keineswegs alles erlaubt, sondern die Formen sind sicher in ihrer Künstlichkeit und Üppigkeit doch stark reglementiert.
Wir sahen auch viele Krishna-Darstellungen. Krishna, Flöte spielend im Baum, sich verbergend den Milchmädchen beim Bade zuschauend. Oder die Mädchen, die ihn entdecken und hinaufschauen zum blauhäutigen Krishna in dem dicken grünen Blattwerk. Krishna ist ein "Schwerenöter", sagt Hans. Es gab auch eine Abbildung mit den Chakras, sieben Stück Energiezentren im Scheitel, in der Stirn (das dritte Auge), im Hals, Sonnengeflecht, Nabel, Geschlecht - das siebente, das Wurzelchakra im Damm.

Jetzt sitzen wir im Zimmer. Heute will es mit dem Schreiben nicht recht weitergehen.
Wir besuchten in Bhaktapur auch die Tourist Toilet mit Wasserbesatz am Boden und einem in die Nase beißenden Geruch aus irgendeinem Toilettenduft und Pisse.
Heute waren viel mehr Leute in Bhaktapur als am letzten Samstag. Deswegen wurden wir relativ wenig belästigt. Naja, ob das stimmt? Eine alte Frau verkaufte uns drei Täschchen. Daraufhin zog sie aus ihrem Beutel eine Gebetsmühle. Als wir die nicht wollten, gab sie klein bei. Sie sah sehr schlau aus und beantwortete den Versuch von Hans, zu handeln, kurz und bündig abschlägig.
Wir spazierten durch die diversen Höfe des Palastes. Er stammt aus dem 14. Jahrhundert und später. Die filigranen Schnitzarbeiten sind wunderbar. Wir machten viele Fotos und kamen in einen Hof, in dem es scheinbar Ausgrabungen gab. Ich muß im Baedeker nachschauen, d.h. Hans tut das gerade. An Ort und Stelle kann man den Reiseführer nicht auspacken, das ist nämlich das Signal für die ungebetenen guides, einen zu überfallen.
Das müsse der Goldene Brunnen gewesen sein, meint Hans. Nagh Pokhari, das Badebecken der Mallas. Vielleicht heißt er so, wegen der goldenen Kobra, die dort mehrere Meter hoch ihren Hals und Kopf aufstellt.
Wenn man die schmale Straße, die vom Dhurbarplatz zum Taumadhi-Tol führt, daherkommt, erscheint plötzlich die fünfstöckige Nyatapola-Pagode mit spitz zulaufenden Dächern mitten im blauen Himmel - sehr beeindruckend.
Hans war am meisten beeindruckt vom Uhren- und Uhrbandverkäufer, der mit einer kleinen Vitrine am Straßenrand stand und ihm um neun Rupien ein Lederuhrband verkaufte und befestigte.

Bhaktapur ist viel sauberer als die anderen Städte, man zahlt Eintritt, wenn man auf den Dhurbar-Platz kommt, aber außer auf den beiden Hauptplätzen scheint sich normales Leben abzuspielen. Von den Hausdächern krähen Hähne. Hühner, Hähne, Enten, Ziegen und Kühe laufen in den Gassen herum. Am Fluß zeigten sich etliche große und kleinere Schweine, dunkle und hellere. Am Fluß sahen wir auch Büffel.
Wir gingen flußabwärts. Laut Reiseführer ziehen sich die Wohnviertel der verschiedenen Kasten in Abstufungen von der Ober- zur Unterstadt. Oben leben zu 90% Brahmanen, unten die Unberührbaren, die Lederverarbeiter. An den Ghats gab es gerade ein Begräbnis, durch eine halbhohe Mauer, auf der die durchwegs männlichen Trauernden saßen, etwas von neugierigen Blicken geschützt.
Der Fluß war fast ebenso schmutzig und eine fast genauso solche graubraune Brühe wie der Bagmati oder Bishnumati. Ab und zu trifft das Auge auf einen angestaubten blühenden Baum, ein bißchen Raps oder sonstiges Grünes und eine lichtgrünbeflaumte Weide. Ansonsten eine "Gstettn", wie man bei uns sagt.
Wohnhaus in Bhaktapur
Wir gehen wieder bergauf, enge Gassen, gepflastert mit ziegelfarbenen Platten, zweistöckige Häuser aus Ziegeln mit schwarzen Eingängen ins Erdgeschoß. Die Leute wohnen oben in den oberen Stockwerken.
Frauen, die vor den Häusern hocken oder geschäftig dahineeilen. Von den Häusern hängen meterlange Schnüre mit Kräutern, ich weiß nicht welche, sie sind grün - zum Trocknen. Manche Häuser sind mit Stroh gedeckt. Als wir an einer engen Stelle glauben, in einen Hof gemündet zu sein, deutet uns eine ältere Frau, wir könnten ruhig weiter gehen.
In der engen Gasse sind die Kanäle offen, Männer stehen um ein Loch herum. Es scheint etwas mit dem Abfluß zu haben.
Die Frauen tragen Saris, schwarze mit breitem roten Saum oder umgekehrt, rote mit schwarzem Saum oder in anderen Farben.
Wir kommen in eine Gasse in der Nähe des Taumadhi-Tol. Eine normale örtliche Einkaufsstraße, keine Touristenstraße. Tonwaren werden feilgeboten, die hier erzeugt werden. In einer Bude, das heißt in einer Art Nische, wie üblich zirka einen halben Meter über Straßenniveau, sitzt ein alter Mann mit einer riesigen Wasserpfeife. Die heißt Hukka. Wir schauen neugierig. Hans meint, der Mann raucht damit Opium oder Marihuana. Der alte Mann macht mit der Hand und mit den Augen eine einladende Geste, so wie: "Nehmt's euch auch einen Zug!" Wir deuten: "Nein danke!" Ohne mich hätte Hans die Einladung wohl angenommen.

Bei einem Stoffgeschäft bleiben wir hängen. Es blitzt violett und gold und türkis und dunkelrot, mit schönen Borten, Seide, Chiffon, Baumwolle. Ich bleibe solange stehen, bis der Verkäufer aufmerksam wird. Ich steige die Betonstufe hinauf, über eine Schwelle auf den Streifen Linoleum, den die Kunden mit Schuhen betreten dürfen. Es gibt Hocker, auf die wir zum Sitzen eingeladen werden. Die Verkäufer befinden sich auf einem zitka einen Meter breiten Podest aus Holz. Hier liegen gefaltet Stöße mit Saris, und die Musterstücke sind auf Kleiderhäken aufgehängt. Das ganze Geschäft ist zirka eineinhalb Meter tief, vier Meter lang und zwei Meter hoch. Außer unserem jungen Verkäufer befindet sich noch ein älterer Mann hier, vielleicht der Vater. Der Junge zieht die Saris heraus, die mir gefallen. Der erste kostet 600 Rupies. Chiffon. Türkis. Der andere ist auch aus Chiffon, 800 Rupies, ein schönes Rot, das Muster ist mir zu unruhig, obwohl es sehr indisch erscheint. Dann ein steifer Seidensari ganz in violett, leuchtend, mit goldenen Tupfen. 2000 Rupien (ös 500.--)
Und dann weichere Seide, auberginefarben mit einem Muster aus Elefanten. Immer die schönen breiten Streifen der Säume mit dazupassendem, aber anderem Muster. Und ein türkiser Sari, wieder aus anderer Seide, ein cremefarbener mit grün. Und Baumwollsaris zu 500 Rupien. Es ist ein Genuß, wenn der Verkäufer den gefalteten Sari auseinanderzieht und die Seide oder der Chiffon sich über den Boden ergießt. Schimmernd und fließend.
Ich nahm drei Saris, zwei aus Seide, einen davon für Ursula. Wir haben seinerzeit in Nepal von unserem Vater je einen billigen Baumwollsari bekommen. Ich einen violetten mit Goldstreifen, den habe ich mitgenommen und besitze ihn noch immer. Ursula hatte einen türkisfarbenen. Sie hat ihn in der Völserstraße gelassen. Ich habe für sie und für mich Seidensaris gekauft, die ich damals schon gerne gehabt hätte. Jetzt kann ich mir das selber leisten.
Ja, ch kaufte einfach zwei Seidensaris! Und einen aus Baumwolle - 300 Rupien!. Auch dieser sehr schön, schwarz mit rot und ein bißchen weiß.
Dann verließen wir mit unseren Schätzen, verpackt in Nylon und Zeitungspapier, das Geschäft.
Zuvor war uns übrigens ein junger Bub fast bis zum Fluß gefolgt, obwohl wir, bzw. Hans darauf beharrte, er wolle seinen Kukri nicht. Der Bub ging mit dem Preis von 1000 Rupien auf 350 Rupien herunter. Endlich ließ er von uns ab. Als ich mich umdrehte, um zu schauen, ob er endlich weg sei, schaute er auch gerade um, deutete meine Kopfbewegung als Doch-Interesse und war uns schon wieder auf den Fersen. Schließlich ging er tieftraurig davon.

Bhaktapur, Durbar Platz
Baumstammtransport in Bhaktapur
Wir saßen später eine Weile im Pagoden-Cafe und betrachteten wieder den prächtigen Platz mit seinem Treiben. Von einem kleinen Laster fiel ein Riesenbaumstamm herunter. Großes Drama.
Der Taxichauffeur hatte erreicht, daß wir zusagten, um zwei Uhr mit ihm nach Changu Narayan zu fahren. Wir mußten also langsam los. Da fragte uns ein Junge, ob wir an Thankas Interesse hätten. Nach den schönen Bildern der Nationalgalerie sagte ich "Ja."
Er führte uns in ein kleines Geschäft. Vorne hingen Schaustücke, im hinteren Raum, vielleicht zweimal 1.50 m groß, erwartete uns eine jüngere Frau im Sari, die nun begann, uns Unmengen von Mandalas vorzulegen. In diversen Größen, alle auf Baumwolle mit Gemüsefarben gemalt. Von heutigen Künstlern, vielen verschiedenen Künstlern, darum sei jedes Bild anders, auch bei gleichen Motiven. Für ein Bild brauche der Künstler zwei, drei Wochen, bis er fertig sei. Der Junge hielt die Lampe jeweils so, daß das Bild, das wir ansahen, gut beleuchtet war. Zuerst Mandalas, dann Götterbilder, die grüne Tara, eine grüne Tara mit einem netteren Gesicht, einem freundlicheren Ausdruck, Bhairav, noch ein detaillierter gezeichneten Bhairav, eine schwarzgoldene Vajra Yogini, dann eine weiße Tara, Manjusri, der Gründer des Kathmandutales, diverse Buddhas und das Lebensrad mit dem Zeitgott, der ein grauslicher Typ ist, schwarz oder violett, mit rollenden Augen und mehreren Händen und Dämonenfüßen. Und er steht da und schaut, was die Menschen mit ihrer Zeit machen und dreht das Lebensrad.
Mandala-Geschäft in Bhaktapur
Manche Mandalas sind von Darstellungen erfüllt, manche strukturierter, in den Farben verschieden. Leider begreife ich die Symbole auf den meisten Abbildungen nicht. Im Lebensrad - im Zentrums dieser Bilder - ist immer ein Schwein - desire -, die Schlange - anger - und ein Geier, der greed bedeutet, und die drei jagen einander. Erst wenn alle besiegt worden sind, kommt man ins Nirwana.
Wir ließen uns die Bilder zeigen und erklären, die Preise sagen. Die Händlerin meinte aber immer wieder: "No worry sir about the price, I give you a special discount." Wir ließen schließlich zirka öS 1500.-- dort, Hans handelte von 185 Dollar auf 130 Dollar herunter. Er wählte den blauen Bhairab, ich ein sehr spartanisches Mandala, für die Kinder und die Freunde Zeitgötter mit Lebensrad und eine sehr schöne in blau gehaltene teure Mandala. Endlich verließen wir, reicher und ärmer, den Laden.
Hans hatte sein Paket Dollars aus der Tasche der Lederjacke geholt und 30 Fünfdollarscheine hingeblättert. Der Junge, der uns in den Laden gebracht hatte, begleitete uns weiter und fing nun an, zu betteln. Wir sollte ihm ein Buch kaufen. Wir sagten "No", worauf er sich endlich per Handschlag verabschiedete.
Wir bestiegen die fünfstöckige Nayatapola-Pagode, von der aus die Umgebung der Stadt sichtbar wurde. Bhaktapur, eingebettet in sanfte Bergzüge, und im Norden begannen sich die hohen Berge noch umhüllt von Wolken zu zeigen.
Wir hatten aber nicht lange Ruhe. Ein Bub, der Hans nach seinem Namen fragte und sagte, er heiße Picasso, wollte auch, daß Hans ihm ein Buch kauft. Die Leute hier sprechen immer eher den "Sir" an. Jedenfalls war Hans hartherzig und wir kamen doch noch dazu, einen Rundgang in dieser Höhe zu machen und den schönen Blick zu genießen.

Bhaktapur
Auf dem Durbar-Platz wartete schon der Taxifahrer. Hier herrschte ein Auflauf, denn es wurde gefilmt. Ein Newari-Film, sagte der Taxifahrer. Es gab Männer mit großen Masken, schwarzen, gräßlichen, weißen, sanften,eine geschminkte Schöne, Kameraleute und große Spiegel, die hin- und herbewegt wurden.
Abschied, wir fuhren.

Nach Changu Narayan, der ältesten Tempelanlage im Kathmandutal, einem Vishnu-Tempmel. Changu Narayan liegt am Ende eines malerisches Hügelzuges.
Eine schmale Straße, die dann besser wurde und meist auf dem Talboden durch Felder - Gemüse, grünes kniehohes Getreide - und vorbei an kleinen Siedlungen und einer Ziegelei und an Steinezerkleinerern führte. Dann den Hügel in Kurven hinauf. Riesige Bambusgestrüppe hier, wie überdimensionierte Grasbüschel. Das satte Grün der bepflanzten Terrassen und des Bambus, das Orangerot der kleineren und ein bißchen größeren Ziegelhäuser am Hang hier und dort, und ein wunderbares Licht, das jetzt schien, der Himmel blau mit weißen Wölkchen. Eine Traumlandschaft, grün, gelb, zarte Blätter, immergrüne Bäume, blühende Äste, bunte Saris, hübsche Leute, Kühe, Büffel. Und an den Pagodendächern der Tempel die Glöckchen, unzählige Glöckchen, die bei jedem Windstoß klingen. Das Paradies könnte hier angesiedelt sein.
Aber der junge Mann in Changu Narayan mit den leuchtenden traurigen Augen sagte: "The valley is in a very difficult situation".

Changu Narayan - Schafe auf den Stufen
Zuerst ein Parkplatz mit einem kleinen Restaurant, zu beiden Seiten des Hügels traumhafte Ausblicke. Hier ist alles so vielfältig, auch die Hügelwelt im Tal. Dann Spaziergang durch ein idyllisch wirkendes Dorf, ein Weg in Stufen, rechts und links Ziegelhäuser, getrocknete Türkenkolben aufgehängt, und Schafe, eine ganze Herde Schafe auf den Stufen und eine Frau, die ihr Kind stillt und uns friedlich anschaut, herzige Kinder, die "Hallo" rufen und das Transparent mit dem Text "For your self-esteem, don't encourage begging". Kinder und alte Leute, die trotzdem betteln.
Hans kann es nicht lassen, einem alten Mann ohne Finger etwas geben zu wollen, er hat nichts. Ich gebe ihm 20 Rupien, der Alte ist wie ausgewechselt, leidet nicht mehr, sondern hüpft und springt und plaudert die Polizisten an, die im Tempelinneren offensichtlich nach Recht und Ordnung zu schauen haben.

Eckstütze mit Klammeräffchen an einer Pagode
Ein prächtiger großer Tempel mit bunt bemalten Holzschnitzwerk, die Figuren an den Eckstützen haben tolle Penise, an denen jeweils ein Äffchen klettert. In Stein oder Metall an allen vier Ecken rund um den Tempel sehr alte Vishnu-Darstellungen verschiedener Art.
Wir gehen herum, photographieren, schauen, lassen uns von dem jungen Mann ein bißchen etwas erklären, sehr mißtrauisch gleich, weil gewöhnlich jeder etwas will, der das Wort an einen richtet.
Ruhig ist es hier, sehr angenehm. Beim Zurückgehen ist es vier Uhr. Die Schule ist aus. Kleine Kinder in dunkelroten Jacken stehen zu einer Art Appell vor dem Schulhaus. Unter den Augen des Lehrers und des Schildes "For your self-esteem..." flüstern Mäderln mit strahlenden Augen "One Rupie" oder "Do you have coins?" oder "One pen". Wir verneinen.

Dann geht es heimwärts. Ich studiere die Häuser an der Straße. Es scheint, daß jedes Haus, in dem mehrere Leute wohnen, auch mehrere Dachterrassen hat, daher das Gestufte, Verschachtelte, das Erkerhafte.
Der Fahrer fährt einen Schleichweg und kommt über die südliche Brücke, über die wir am ersten Tag gingen, zurück. Wir fragen ihn, ob man an einem Tag nach Gurkha fahren kann und er läßt uns jetzt deswegen nicht mehr in Ruhe. Wir legen uns aber nicht fest. Hans gibt ihm die Zimmernummer! Nur, ab morgen sind wir eh nicht mehr im Zimmer 301.
Dann noch Sonnenuntergang auf der obersten Dachterrasse. Ebenso idyllisch wie vorgestern. Haare waschen, essen. Hans schnarcht schon. Hoffentlich schreibt der Kuli noch ein Weilchen. In Nagarkot gibt es vielleicht keinen zum Kaufen. Morgen müssen wir raus aus dem Zimmer 301. Zwei Nächte Nagarkot. Dann noch vier Nächte hier. Heute ist die 13. Nacht in diesem Hotel.
Morgen um 8 Uhr Aufstehen, um 11 Uhr fahren. Aber wir müssen packen und zahlen. Eine Reisegruppe wäre nichts für mich. Andererseits - wir müßten uns um gar nichts kümmern.
Ich träume hier sehr viel. Zum Beispiel, daß ich eine geile Vajra mit Superbusen bin.
Und, daß ich in irgendeiner Stadt munter ins Meer sprang bis mir einfiel, daß ich ja ins Büro muß und jetzt patschnaß bin, im schönen Bürokostüm...

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