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Das weisse Haus Gol Baithak

4.3.1995, Bodnath


Die grosse Stupa von Bodnath am Tag des Lhosar Festes (buddhistische Neujahrsfeier)
Das eigentliche Fest war schon vorbei, als wir ankamen. Aber die große Stupa war noch immer zauberhaft. Noch war der Himmel blau, kleine Schäfchenwölkchen und die dreizehn Reifen und die Krone und die blaurotweißen Ringe des Stupa-Turmes und die vielen vielen bunten Fähnchen, die an Schnüren sternenförmig von der Spitze der Stupa heruntergespannt sind, und in den Himmel hineintanzten und sich farblich reizvoll abhoben. So ein buntes leichtes Bild, daß man gleich gut aufgelegt wurde.
Wir sitzen im "Stupa-View"-Restaurant in Bodnath. Austrian Style. Hans hat Kaiserschmarren bestellt. Auf dem Dach, auf dem wir uns befinden, ein Mordswirbel. Mußten lange warten. Wir sind erst um zirka 11 Uhr hergekommen. Es brauchte lange, bis wir ein Taxi kriegten und der Weg war sehr verstopft. Noch sehr viele Leute hier. Viele Ausländer. Aber auch betende Tibeter und Tibeterinnen, lustige schön und bunt angezogene Kinder. Burschen bespritzen die Stupa mit Farbe. Sie schöpfen aus Kannen Farbe in eine Schlüssel und schleudern die Farbe aus dieser auf die Stupa. Ein Mann schleppt jeweils zwei Kannen mit der Stange über der Schulter herbei. Das scheint eine Mordshetz zu sein. Jetzt ist schon die ganze große Stupa von oben bis unten mit orangen Halbkreisen versehen, vielleicht soll das eine Lotosblüte bzw. deren Blätter darstellen.

Der Apfelkuchen war köstlich. Die Frauen hier haben beneidenswert prächtige Haare, meistens zu einem acht Zentimeter, mindestens aber fünf Zentimeter dicken Zopf geflochten. Es gibt praktisch keine Frauen mit kurzen Haaren.
Ich kann das nicht oft genug schreiben, die Menschen sind so hübsch hier. Die malenden Buben drahtig, dunkel, gut gebaut. Die Frauen und Mädchen anmutig im Gesicht, Haare schön, im Sari schlanke Figuren, sie gehen gemessenen Schrittes dahin. Ich habe versucht, zu beobachten, wie sie sitzen. Oft im Schneidersitz, auch die Frauen, oder hockend oder die Beine vor dem Körper aufgestellt. Sie hocken auf dem Boden oder sitzen auf Hockern und vor den Geschäften.
Wäsche
Sie waschen Wäsche bei einer Wasserstelle vor dem Haus oder an der Straße. Sie haben die Wäsche am Boden liegen, reiben mit einer Bürste darauf herum, winden die Sachen dann unter dem fließenden Wasser aus und hängen sie überall zum Trocknen auf. Auch das Gemüse liegt offen ausgesetzt dem immensen Staub und Verkehrsdreck der Straße. Lasten werden hier natürlich auch mit Tragkörben transportiert.

Nun kommt der Kaiserschmarrn - auf der Speisekarte "Emperor's rubbish" - nein "Imperial nonsense".
Also transportiert wird mit Tragkörben auf dem Kopf, oder Tragkörben an einer Stange, die auf der Schulter balanziert wird oder mit einem Stirnband. Riesige Lasten, Kästen etc. werden so transportiert. Sie liegen, befestigt nur mit diesem Stirnband, das um die Stirn des Trägers geht, auf dem gebeugten Rücken dieser Männer.

Gestern, als wir vom Mountain Flight zurückkamen, begann gerade die Schule. Die dürfte um zehn Uhr beginnen und um zirka drei Uhr aufhören. Um diese Zeit ist, außer am Samstag und an Feiertagen, alles voll von Kindern in Schuluniformen. Wir wohnen, glaube ich, in einer Art Schulgegend. Sicher drei, vier Schulen befinden sich dort. Heute las ich in der Zeitung, daß soviel private Schulen in Kathmandu eröffnet werden, oft, ohne vorher als qualifiziert approbiert zu sein - das sagt eine Frau Singh, die selbst eine Schule führt. Jedenfalls wimmelte unsere Gegend um den Müllfluß von adrett gekleideten Kindern - die Buben in hellen Hosen und weißen Hemden.
Es ist jetzt heiß auf unserer Terrasse. Vielleicht werden wir bald gehen.
Auf dem Weg hierher fuhren wir durch den Thamel, am Royal Palace vorbei, an der WWF-Vertretung, an einer Social-Welfare-Institution, an einer Schule - eine "English boarding school". Ein Schneider saß auf dem Boden, vor seiner Nähmaschine, und arbeitete.
Ob wir zurück ein Taxi finden oder die sieben Kilometer zu Fuß gehen müssen?

Konzert:
1. Nummer: Someone who gives pressure on Shiva
Ragas
Gespielt haben:
Mohan Sundar, Royal Palace Musician, Sarod
Daniel Birch, Sarod
Rabindra Lal, Tabla
Das war ein wunderbares Konzert. Mir kam vor, ich ritte auf den Wellen dieser Musik wie auf einer Wolke, einem Wolkenpferd, und war ganz leicht und schaukelte auf der Mondsichel, die flach am Himmel hängt. Und am Schluß kamen mir die Tränen. Aber in dem Raum gingen zum Glück keine Lichter an, die einen bloßstellen. Es war ein dunkler Raum, zwei Kerzen vor den drei Spielern und an der bunt gestalteten Decke fünf Leuchter, Lampen, jede anders, aus Metallwerk, fein gemacht, durchbrochen wie die Holzgitterfenster. In der Pause gab es Tee auf der Dachterrasse, und der Mond strahlte heller als Swayambunath, das auch strahlte. Vorher waren wir auf der Dachterrasse gesessen und tranken Tee respektive Bier, und die Sonne war schon weg, der Himmel färbte sich rosa, Swayambunath und die Zweige der Bäume und ihre Blätter hoben sich wie Scherenschnitte ab. Nur der waagrechte Mondteller leuchtete leicht am noch hellen Himmel auf. Dann wurde auch Swayambunath beleuchtet. Schließlich tauchten Sterne auf. Wirklich unwirklich. "Das ist fast zu kitschig", fand Hans.
Nach dem Konzert gingen wir essen. Die Künstlerin und Dorothea saßen unten. Dorotheas letzter Abend. Sie ging. Ich drehte mich um und fragte die Künstlerin, ob mein Eindruck richtig sei, daß die Leute hier trotz des Drecks und des Elends nicht unglücklich seien. Sie forderte uns auf, an ihren Tisch zu kommen und meinte: "Die sind viel herzlicher als bei uns." Das sei alles nur durch die Religion zu verstehen, sagte die Künstlerin. Die Menschen hier glauben an die Inkarnation, darum können sie dieses Leben gelassener nehmen. Und eigentlich suche jeder seinen Gott irgendwie. Und der Buddhismus sei viel heiterer als das Christentum.
Jedenfalls fand ich einiges in dem Gespräch, worüber ich mich nachher, bei Hans, aufregen konnte. Denn ich sehe das alles sehr kritisch und es sozusagen dabei zu belassen, daß, weil alles vorbestimmt ist, es den Menschen nie besser gehen kann als es ihnen jetzt geht, das will ich nicht. Im Buddhismus ist das Leben, ebenso wie im Christentum, ein Jammertal. Und die Möglichkeit der Inkarnation ist eine Art Sisyphusqual und kann die Leute ebenso dauernd unter Druck halten wie die Aussicht auf die Hölle. Und dann gibt es Erleichterungsmechanismen hier wie dort, Beichte, Bußen, Spenden, Wallfahrten etc.etc. Und Blutiges, Grausliches gibt es auch überall.
Daß die Menschen bei uns auch nicht zufriedener oder womöglich unzufriedener sind als hier, daß eine große Familie nicht nur Unterdrückung des einzelnen, sondern auch Unterstützung bedeutet, daß bei uns das Sterben einsam gemacht worden ist etc., was wir unlängst an einem Abend besprochen haben, das stimmt.
Mit dem deutschen Doktor konnte ich mich besser verständigen als mit der deutschen Künstlerin. Ich wußte einfach nicht, was ich auf ihre Feststellungen sagen sollte. Sie erklärt alles durch die Religion, ist "als kreativer Mensch hier vielfältig inspiriert", macht Kyudo (Bogenschießen), und leider mußte ich ihr sagen, daß ich zwar Japanologin, aber nicht in Religionen fit bin, sondern mich mehr mit der Gegenwart beschäftige. Doch das interessierte sie nicht. Über Frauen weiß sie nur, daß in Mithila ein UNESCO-Projekt bzw. ein Zentrum eingerichtet worden ist. Sie reist dorthin.

Singha Durbar
Von Bodnath fuhren wir mit einem netten Chauffeur mit der Motorriksha zum Singha Durbar. Der Chauffeur hatte Mühe, das heftig ratternde Gefährt mit seinen Händen zu bändigen. Es hat drei Räder, hinten eine schmale Bank für zwei und auf jeder Seite ein aufklappbares Stofffenster. Manchmal, wenn wir direkt hinter einem anderen Auspuff waren, wehten graue dicke Abgaswolken zu uns herein. Singha Durbar ist eine üppige ehemalige Rana-Residenz im Maharadscha-Barock, blendend weiß. Der Palast soll 1700 Zimmer gehabt haben, jetzt gibt es nur mehr die Fassade, ich glaube, seit dem Erdbeben von 1934. Beim Singha Durbar waren die Auffahrtstraßen breit, gute Luft, weil kein Verkehr. Im Park sahen wir einen Baum, der gleichzeitig rosa und weiß blühte und Kamelienbüsche, wie Rosenbüsche, in gelbweiß und rot, voll mit Knospen und einigen geöffneten Blüten. Wir gingen über den Maiden - eine große freie Fläche mit Rasen inmitten der Stadt - zur New Road und erregten die Heiterkeit zweier Burschen, weil wir ungeschickt unter einem Stacheldraht durchkletterten. Über den Durbar Platz kamen wir "heim". Heute gab es viele Hochzeiten, gekennzeichnet durch eine Prozession von Tubabläsern in bunter Uniform, die man meilenweit hört, der die Autos mit Braut und Bräutigam und den Gästen folgen. Auch direkt vor dem Hotel spielte sich das ab.

Wir kauften viel.
In Bodnath: einen Hahn, Silber, Koralle, Türkis, in Patan hergestellt, 1800 Rupien statt 2000. Die Silberpfeife (Mischsilber) um 160 Rupien statt 200. Dann Bidis, die Thomas sich wünscht, Ansichtskarten, zwei tibetisch gebundene Heftchen, zwei Stempel aus Holz (Om und Stupa-Augen).
Am Bansantpur-Platz versuchten wir, uns an den Händlern vorbeizuschleichen und nur die auf den Decken ausgebreiteten Waren anzuschauen. Das führte zu einer Glocke mit lieblichem Klingeln, das lange nachtönt, um 300 Rupien, zu einem Kamasutra, einer Art Leporello, sehr bunt und einfach bemalt mit Tips für den Sexualverkehr und goldener Schrift auf Schwarz. Mir gefiel nur das bunte Bild auf der Vorderseite, ich sah gar nicht, worum es sich handelte und wollte es sofort wieder weglegen. Aber der Händler verfolgte uns mit seinem Kamasutra in der Hand über den gesamten Platz. Zuerst verlangte er 1200 Rupien. Es sei wunderschön, handgemalt, besonders, sonst überall 3000, 4000 Rupien und nur, weil er Geld brauche (dieses Argument habe ich schon öfters gehört) müsse er so billig sein. "Wieviel geben Sie - sagen Sie, wieviel Sie geben..." Wir wollten es gar nicht.
Schließlich, als er bei 500 angelangt war, willigten wir ein, er hatte uns zermürbt.
Das Silberkettchen für den Hals und das für den Fuß aus Münzensilber kostete 300 Rupien, zuerst verlangte er für eines 350 Rupien, als der Händler auf 250 Rupien kein Wechselgeld hatte, gab er das zweite dazu.
Dann schauten wir zwar noch viele Auslagen an, beschlossen aber, heute nichts mehr zu kaufen. Als wir in Bodnath das österreichische Lokal "Stupa View" verließen, bettelten zwei Kinder vor allem Hans an und der Kleinere umklammerte plötzlich das Bein von Hans. Da riß mir der Geduldsfaden. Ich packte den Buben am Arm und schrie: "Aus!!" Die Leute schauten und die Buben waren weg. Vielleicht haben wir in dem Lokal den Chef und seine österreichische Schwiegermutter gesehen. Jedenfalls könnte der Nepali, der mit der dicken österreichischen Dame aß und dann wieder ging, gut der Mann einer Österreicherin gewesen sei, mit der er das florierende Geschäft mit "imperial nonsense" führt.

Für heute genug. Die Künstlerin sagte, in Nagarkot hätten sich bisher alle den Magen verdorben. Vielleicht sei dort das Wasser schlecht. Sie hat bisher sechs Bilder gemalt während ihres Aufenthaltes. Mich zwickt der Bauch jetzt auch. Aber hoffentlich nur, weil ich spät gegessen und dabei viel geredet habe.

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