Ruth Linhart | Japanologie | Fotos | Ukiyoe | Alle Ama-Artikel


Taucherin am Strand mit Netzen
Fotos, Landkarte, Ukiyoe

hinauf

Ein Paradies der Männer?

Der vorliegende Artikel ist eine Dokumentation über die Taucherinnen des Fischerdorfes Katada im Distrikt Shima, Präfektur Mie, sein. Das verwendete Quellenmaterial wurde während zweier Aufenthalte in Katada in den Jahren 1978 und 1983 gesammelt.

Im ersten Teil gebe ich Interviews mit drei Taucherinnen wieder. Sie sollen Lebensläufe von Ama (1) und Arbeitsbedingungen des Ama-Berufes authentisch veranschaulichen.

Sodann werden die drei persönlichen Schicksale in einem deskriptiven Teil in den breiteren Rahmen der Dorfstruktur von Katada und der Ama-Gemeinschaft eingebettet.

Schließlich folgt die Fragestellung: Entspricht das Bild der Ama, wie es durch Tourismus, bildliche und schriftliche Darstellungen gefiltert wird, der Wirklichkeit?

Ist "die Ama" jenes Fischermädchen, jene schöne Nixe, die Fosco Maraini (1963) vor 20 Jahren auf der Insel Hekurajima filmte? Ist sie wirklich eine "Amazone", wie die Taucherinnen von Braw und Gunnarson (1982:176) genannt werden? Genießen die Taucherinnen von Katada tatsächlich Verfügungsgewalt über die Produktion, wie es lwata Junichi (1971:1) wohlmeinend behauptet? Paßt die wahre Existenz der Ama mit der Klischeevorstellung von kakâdenka - Frauenherrschaft (2) zusammen, die ihre Erwähnung immer wieder heraufbeschwört?

Nach Wochen Beobachtung aus nächster Nähe - ich wohnte in einer von einer Ama geführten Privatpension an einem der Tauch-Strände von Katada -, nach Gesprächen und Interviews, scheint es jedenfalls klar, daß die Ama und ihr Leben sich von romantisierenden Vorstellungen, wie sie bei japanischen Stadtbewohnern und im Westen verankert sind, unterscheiden, daß aber die Stellung der Ama im Dorf und in der Familie nicht in dem Maß von jener der städtischen Japanerin differiert, wie es die allgemeine Vorstellung erwartet.

Herrschaft impliziert nämlich Entscheidungsgewalt und Machtausübung. Herrschaft ist "institutionalisierte Machtausübung, die zur Differenzierung einer Gesellschaft in Herrschende und Beherrschte führt (König 1962:112). Die Attribute dieser Macht sind Überlegenheit und Einfluß, Führung und Gehorsam, Überordnung und Unterordnung, Prestige und Autorität (König 1962:117). Die im folgenden geschilderten Tatsachen von Katada zeigen, warum die Taucherinnen in diese Definition nicht hineinpassen, Herrschaft scheint in Katada noch immer oder auch wieder Herr-schaft zu sein.

hinauf

Drei Taucherinnen berichten

Seit 50 Jahren im Salz - Murata Kuzuko, 68 Jahre alt


Mit 18 habe ich zu lernen angefangen (3). Heute geht man mit dem Reifen (4) aber als ich jung war, gingen wir mit dem Bottich. Zwei Jahre habe ich mit dem Bottich geübt, dann bin ich aufs Boot. Und zwar haikara (5). Der Großvater dieses Hauses (6) nahm mich auf sein haikara-Boot. Ich tauchte so wie Toshimi von diesem Haus jetzt, hinunter mit dem Eisenpflock (7) und herauf mit den Händen aus eigener Kraft. Das machte ich vier, fünf Jahre. Bevor ich noch wirklich awabi (8) zusammenbrachte, heiratete ich. Ich kam als Braut in dieses Haus. Nach vier, fünf Jahren wechselte ich in ein ippaibune, allein mit dem Vater (9). Daß ich zu üben begonnen habe, ist heuer gerade 50 Jahre her. Daß ich mit dem Vater fahre, ist zirka 42 Jahre her.

Vor 20 Jahren gab es plötzlich keine einzige awabi mehr, als ich ungefähr 40 Jahre alt war. Es gab keinen einzigen Fisch, und alle awabi starben. Warum, weiß ich nicht genau. Vielleicht wegen der Kohlenschiffe, große Schiffe, die mit Kohle beladen waren. Ich glaube, es gab einen Unfall auf dem Pazifischen Ozean. Es dauerte zehn Jahre, bis wieder awabi kamen. In der Zwischenzeit haben wir Seegräser gesammelt. Die Fischer gingen alle nach Kyûshû hinüber.

Jetzt bin ich 68 Jahre alt, ich fahre noch mit dem Vater hinaus. Ob das schwere Arbeit ist? Ich tauche mit dem Eisenpflock hinunter, suche soviele awabi wie möglich, und dann geht es mit Hilfe der Maschine nach oben, am Seil. Es ist sicher schon zehn Jahre her, daß wir die Maschine haben, oder gar 20. Früher gab es das nicht, da zog mich der Vater hinauf.

Ich tauche heute ungefähr acht bis zehn Armlängen tief hinunter. Als ich jung war, tauchte ich zehn bis zwölf Armbreiten tief. Ich bringe zirka 20 Kilo awabi herauf. Das bringe ich zusammen, weil ich seit meiner Jugend dabei bin.

Ich und der Vater, wir sind beide in Katada geboren. Mein Mann ist aus diesem Haus, das ist das Haupthaus, er ist der jüngere Bruder.

Ich wurde zwar in Katada geboren, aber meine Eltern arbeiteten für Mikimoto (10) und wurden nach Kyûshû versetzt. Dort züchtete Mikimoto Muscheln. Mein Vater hatte die Verantwortung. Ich wurde hier eingeschult, ging dann nach Kyûshû, und als ich in die erste Klasse Oberschule ging, soviel wie jetzt die Mittelschule, kamen wir nach Katada zurück" (11). In der zweiten Klasse übersiedelten wir wieder, in die Präfektur Wakayama. Aber mein Vater war bei schwacher Gesundheit - die Fischerei und der Sake - und er starb früh. Die Mutter tauchte mit 70 noch! Sie tauchte für Mikimoto in der Ago-Bucht, bei Kashikojima. Als man die akoya-Muscheln zu züchten begann, tauchte sie im Pazifik nach awabi.

Wir waren drei Geschwister, zwei Mädchen und ein Bub. Nur ich wurde Ama. Eine Schwester lebt in Tokyo.

Mit 20 heiratete ich. Heute schleppen die jungen Leute ja jeden Beliebigen daher, aber zu meiner Zeit war das anders. Ich war eine hakoiri-musume, ein Mädchen in der Schachtel. Ich durfte überhaupt nicht aus dem Haus. Meine Mutter war sehr streng. Sie hatte sogar ein Auge auf mich, wenn ich aufs Klo ging.

Ich bekam vier Kinder, eines starb, der älteste Sohn. Die Kinder leben alle in Katada, eine Tochter und zwei Söhne.

Ich habe bis zur Geburt getaucht. In der Früh tat mir schon der Bauch weh. Damals tauchte man dreimal am Tag, also, ich tauchte trotz der Schmerzen dreimal und habe am Abend um acht Uhr geboren. Die heutigen jungen Leute arbeiten nicht so viel wie wir, nirgends. Wenn die heute Kinder kriegen, machen sie ein Getue und gehen ins Krankenhaus, nachschauen lassen. Aber zu meiner Zeit hat man gesagt, wenn man nicht arbeitet, werden die Kinder zu groß und die Geburt wird schwierig. Drum hieß es damals, bis zur Niederkunft: "Beweg dich, beweg dich!"

Ich habe zu Hause mit Hilfe einer Hebamme geboren. Heute gehen alle ins Krankenhaus. Ich habe sechs Enkel.

Meine Tochter ist nicht Ama geworden. Sie hatte mit drei Jahren eine Ohrenkrankheit und konnte deswegen nicht ins Meer.

Hart ist unsere Arbeit, wenn man sich nicht wohl fühlt und doch tauchen gehen muß. Und dann gibt es nicht nur Tage, an denen man viele awabi findet, sondern auch solche, an denen man keine einzige im Netz hat, an solchen Tagen ist unsere Arbeit hart.

Es gibt auch Sachen zum Fürchten - jetzt nicht mehr so, aber früher, Ich bin ja mit dem ipponbiki gefahren. Das Hüftseil, mit dem man hinuntertaucht, war damals lang, damit man zwischen den Felsen herumschwimmen kann, und da kam es vor, daß man sich darin verwickelte. In solchen Situationen hatte ich Angst. Haie? Hm, die gibt es auch. Einmal, als ich noch jung war, ich suchte zwischen den Felsen nach awabi, da war auf einmal eine Schildkröte vor mir, eine Riesenschildkröte. Es war schon zu spät, sich hinaufseilen zu lassen. Da hatte ich Angst. Aber gewöhnlich gibt es nichts zum Fürchten.

Wir tragen alle ein Amulett oder ein Handtuch mit magischen Zeichen zum Schutz um den Kopf. Auch heute tragen die Ama das noch. Ich pilgere jedes Jahr am 10. März zum isobe-san (12).

Die Tauchsaison dauert vom März bis zum 14. September. Früher fingen wir schon vorher an, gleich nachdem das Shimenawa (13) zu Neujahr erneuert worden war. Ja, da war es noch sehr kalt. Wir hatten auch nicht diese wet suits, nur das Lendentuch und das Hemd aus weißer Baumwolle (14). Aber besser war damals, daß man selbständig tauchen konnte, wie man wollte und wann man wollte. Es gab keine Zeitbegrenzung. Man ging und kam, wann man Lust hatte. Das war gut. Jetzt gibt's die rote Fahne (15).

In der Amahütte (16) sitzen die Frauen nach dem Tauchen, aber ich bin allein mit dem Vater, ich gehe mich gleich in mein Haus abtrocknen. Jedes Boot hat eine Amahütte für sich allein. Früher sangen wir Lieder, aber heute singt niemand mehr. Was ich tat, als ich kleine Kinder hatte? Wenn eine Großmutter vorhanden ist, schaut sie auf die Kinder. Ich habe eine Kinderfrau engagiert. Wir sind nämlich beide den ganzen Tag draußen gewesen. Nach dem Aufstehen habe ich den Kindern die Brust gegeben, wenn ich heimkam, habe ich sie wieder gestillt. Bis zur Geburt tauchte ich also, dann blieb ich zirka einen Monat zu Hause, nachher nahm ich die Kinderfrau und tauchte wieder.

Als ich jung war, hatte ich auch eine Landwirtschaft, ich pflanzte Getreide. Ich stehe auch jetzt noch um vier in der Früh auf. Damals besorgte ich die Felder, erzog die Kinder, kochte und flickte und nähte, und wenn es regnete, machte ich Strohsandalen. Zum Vergnügen hatte ich keine Zeit, keine Minute. Am Abend hatte ich auch Arbeit. Wenn ich die Kinder gestillt hatte und sie schliefen, schlief ich auch oft ein. Um 11 Uhr nachts erwachte ich und erledigte noch das Wäschewaschen. Ich hatte keinen Rasttag. Ja, heute machen sie sich's leicht. Die haben auch keine Landwirtschaft.


Ama divers mit Schwimmreifen

Heute gibt es mehr Ama als früher, vor allem solche mit Schwimmreifen und ohne Boot. Solche mit Boot gibt es sogar weniger als früher. Insgesamt sind wir vielleicht 150 oder 200.

Es gibt auch Ama, die nicht schon als Kinder getaucht haben, die erst anfangen, wenn sie über 40 sind, die von auswärts zurückkommen, und weil es keine andere Arbeit für sie gibt, die Ama-Arbeit machen. Aber derzeit fallen mir eigentlich wenig solche ein. Ama ist kein Beruf, den jede ausüben kann. Andere Arbeiten kann auch jemand, der nichts davon versteht, wenn er ein bißchen zuschaut. Ama hingegen ist ein Beruf, den man nicht lehren kann. Da kommt es auf die Einstellung an. Man muß das von klein auf tun.

In Zukunft wird es mehr Ama geben, die mit dem Reifen an seichten Orten schwimmen. Ama aber, die weit hinaus auf awabi-Suche fahren, werden weniger werden.


Fünffach belastet - Yamamoto Tamae, 58 Jahre alt

Ich habe hier am Strand fünf Häuser. In einem wohne ich mit dem Vater, in einem wohnt mein ältester Sohn, in einem die Tochter, dann ist da das Gästehaus, in dem Sie (Autorin) wohnen, und in einem wohnt der Onkel vom Vater. Der war sehr arm und drum haben wir ihm weiter hinten noch ein Haus hingebaut. Ja, der Großvater - mein Vater -, der wohnt auch gleich hier in der Nähe.

Ich bin in Katada geboren. Mein ältester Sohn Toshitaka wurde 1947 geboren, er ist das zweite Kind. Das älteste ist die Tochter Kazuko, ihr Mann ist Perlenzüchter (17). Dann kommt Toshimi, sie ist Ama. Der zweite Sohn lebt in Osaka.

Ich habe mein Lebtag hier gewohnt. Ich besuchte die frühere Volksschule, sechs Jahre lang, und begann schon mit zehn, so aus Spaß, mit dem Bottich zu tauchen. Meine Mutter und meine Großmutter waren auch Ama. Alle waren Ama, schon drei Generationen. Der Vater, mein Mann, war Fischer. Vom Jahr 1952 an arbeitete er auf einem Hochseefischerboot. Er fuhr sehr weit, bis über den Äquator und nach Neuseeland. Der Vater meines Mannes war kein Fischer, der war aus Kyûshû. Seine Mutter starb früh. Der Mann, in dessen Boot Toshimi ausfährt, ist mein jüngerer Bruder. Und dann habe ich noch einen zweiten jüngeren Bruder. Alle leben hier. Alle sind Fischer.


Yamamoto Tamae

Ich war nicht immer kachido, sondern bin mit meinem jüngeren Bruder, mit dem jetzt Toshimi arbeitet, im haikara gefahren. Drei Ama und mein Bruder. Wir fuhren weit hinaus und haben viele awabi mitgebracht.

Ungefähr 1969 wurde ich krank. Zuerst dachte man, im Wechsel sei das normal, und die Ärzte haben nichts gefunden. Ich konnte nicht mehr richtig arbeiten. So ging das sechs, sieben Jahre dahin. Dann hatte ich eine Gebärmutteroperation. Die Kinder sagten: "Hör auf mit dem Tauchen, hör auf!" Aber mir fiel das schwer, so mit dem Meer verbunden, wie ich es bin.

Damals bauten wir das Haus, in dem jetzt der älteste Sohn mit seiner Frau und seinen zwei Kindern wohnt, und wohnten dort. Es war mir langweilig, der Vater war weg. Weil ich mir allzu verlassen vorkam, hatte ich die Idee mit dem Gästehaus. 1971 begann ich damit. Davor wohnten wir, seit ich heiratete, in dem Haus, in dem jetzt meine Tochter Toshimi wohnt.

Nein, das Tauchen ist keine harte Arbeit. Ich tat es sehr gern. Es ist bei weitem lustiger, zu tauchen, als im Haus zu arbeiten. Wenn ich zu Hause den ganzen Tag arbeite, verdiene ich 4000 oder 5000 Yen, aber im Meer verdiene ich im Frühjahr in zwei und im Sommer in drei Stunden 20 000 Yen.

Bis neun Uhr hat man die Hausarbeit erledigt, am Abend kommt man früh genug zurück, daß man sich noch um die Kinder kümmern kann. Der Vater kriegt ein Jausenpaket!

Meine Kinder sind alle von der Großmutter betreut worden. Damals gab es keinen Hort oder Kindergarten wie heute. Dort hat Toshimi ihre Kinder untergebracht.

Nein, ich hörte nicht zu tauchen auf, als ich heiratete. Alle machen weiter, in unserer Gegend sind die Leute nicht so reich. Meine Heirat wurde arrangiert (18). Auch unser ältester Sohn und Toshimi heirateten so.

Mein Mann war immer Hochseefischer. Als er 1977 auf Heimaturlaub war, wurde er im Nachbarort Wagu auf der Straße von einem Auto niedergestoßen. Er hatte eine Kopfverletzung und ist seither bettlägrig.

Vorher ging er in Shimizu an Bord der großen Bonito-Schiffe. 14 Jahre bin ich regelmäßig dorthin gefahren. Früher kamen die Schiffe zweimal im Monat in den Hafen zurück, die waren kleiner. Jetzt kommen sie nur einmal im Monat. Auch mein Sohn war auf einem solchen Schiff und fuhr bis Hawaii. Als der Vater verunglückte, mußte er heiraten und in Katada bleiben. Er ist noch immer Fischer.

Nein, die Frauen sind nicht traurig, wenn die Männer so lange weg sind. Die machen nur Umstände, wenn sie ab und zu einmal nach Hause kommen. Früher waren der Vater und ich im Jahr vielleicht einen Monat beisammen. Das ist in unserer Gegend sehr häufig. Freilich tauchten wir, wenn wir schwanger waren. Als ich jung war, tauchten wir bis zur Geburt. Die Kinder waren klein. Mein ältester Sohn kam schon im siebenten Monat. Auch Toshimi ist noch mit dem großen Bauch hinaus.


Amahütte - Rastplatz für die Muscheltaucherinnen

In der Amahütte rasten die Ama, die zusammen auf einem Boot sind. Bei uns sind das Toshimi, die Frau meines jüngeren Bruders und Miyoko. Toshimi und Miyoko sind sehr starke Taucherinnen. Da gibt es dann auch Neid. Sie zahlen dem Bootsführer Geld, 25 Prozent vom Ertrag. Dem Bootsführer gehört auch die Amahütte. Er stellt sie für die Ama auf, rastet aber selbst nicht dort. Der Bootsführer entscheidet, wohin die Fahrt geht. Nur die kachido-Ama entscheiden das selbst.

Ich tauche als kachido seit 1980 wieder.

Die Ama sind alle ziemlich gesund. Heuer ist eine mit dem Fahrrad gestürzt, aber auf dem Meer gab es keine Unfälle. In Wagu gibt es das Gesundheitszentrum, und einmal im Jahr kommt ein Arzt in die Amahütte. Früher waren die Leute gesünder, die haben das nicht gebraucht. Die haben ungeschälten Reis gegessen!

Ich habe neun Enkel und Enkelinnen, sechs hier und drei in Osaka. Nein, Naomi und Eri, meine Enkelinnen, werden sicher nicht Taucherinnen.

Tauchen, ein Job - Hiraga Miyoko, 50 Jahre alt

Ich bin 1933 in Katada geboren. Meine Mutter war Ama. Ich war nicht von Jugend an Ama. Bevor ich heiratete, habe ich allerhand gemacht, stricken, Teezeremonie, Blumen stecken, alles mögliche. Als ich heiratete und Kinder bekam, arbeitete ich bei den Perlen. Seit 13, 14 Jahren arbeite ich als Ama.

Mein Vater und meine Mutter fuhren zusammen zum Tauchen aus, sie sind jetzt schon gestorben. Wir waren vier Geschwister, nur ich wurde Ama. Eine Schwester hat in Wagu ein chinesisches Nudelrestaurant.


Hiraga Miyoko

Ich heiratete mit 28. Mein Mann ist Perlenhändler. Es war eine Liebesheirat! Wir haben zwei Kinder. Die Tochter studiert an der Erziehungsfakultät der Mie-Universität, sie möchte Lehrerin werden. Der Sohn ist an der Nagoya-Universität. Meine Tochter wird sicher nicht Ama!

Ich begann die Ama-Arbeit, weil damals eine Perlenflaute war. Es tat mir leid um die Zeit und drum versuchte ich das Tauchen ein bißchen, und es brachte gleich ziemlich viel Geld. Ja, und jetzt bin ich eine puro no ama, eine professionelle Ama!

Die Arbeit, die ist lustig. Sie beginnt am Morgen ziemlich spät, und die bloße Arbeit dauert nur drei Stunden.

Mein Mann ist als Perlenhändler im Winter sehr beschäftigt, aber im Sommer hat er nichts zu tun, da werden die Kerne in die Muscheln getan (19).

Nein, der tut im Sommer auch nichts im Haushalt! Im Sommer spielt er, Majong und Pachinko. Nein, die Männer rühren im Haushalt keinen Finger!

Ich bin seit 15 Jahren auf demselben Boot, haikara. Bekannte haben mich aufs Boot genommen. Wir sind drei Ama. Ja, es hat etwas gekostet, daß ich mitfahren konnte. Ich zahle dem Bootsführer. Mein Haus ist ziemlich weit weg, fünf Minuten mit dem Rad. Wir haben ein Auto und ein Boot. Das haben fast alle in Katada. Die Ama-Arbeit kann so ziemlich jeder bald, wenn er tauchen und schwimmen kann, sofern man Spaß dran hat.

Es gibt natürlich geschicktere und weniger gute Taucherinnen. Zum Fürchten gibt es dabei nichts. Es ist schön. Die Fische schwimmen herum und die Seegräser sind da. Und wenn man awabi findet, dann ist es am schönsten! Aber wenn der Ertrag klein ist, ist es weniger lustig.

Ich bringe durchschnittlich 20 Kilo am Tag herauf, manchmal auch 30 Kilo. Ich tauche zirka 12, 13 Meter tief.

Am 14. September ist Saisonschluß. Die anderen fahren dann gemeinsam irgendwohin, aber ich mag Reisen nicht sehr gern. Ich züchte zu Hause Blumen, schneidere europäische Gewänder und stricke, aber besonders gern züchte ich Blumen, alles ist voll damit, und man ist damit immer beschäftigt. Im Garten habe ich auch Gemüse.

Ich stehe jeden Tag um zirka sechs Uhr auf, wasche, räume auf und kaufe ein. Unser Haus ist ziemlich groß, vor acht Jahren haben wir ein neues Haus gebaut, einen Hund haben wir auch.

Im Winter stricke ich Wollhemden, wie die Ama sie bei der Arbeit tragen. Früher war die Ama-Arbeit ziemlich anders, heute stecken alle in dicken schwarzen Gummisachen. Aber wenn Sie etwas Genaueres wissen wollen, müssen Sie die anderen fragen, ich bin neu. Junge Taucherinnen gibt es kaum. Allmählich werden alle Ama alt. Wer wird awabi holen, wenn die Alten nicht mehr können? Bis 60 tauchen die meisten, manche auch bis 70, wie die Tante Kuzuko. Die fahrt mit ihrem Mann. Das ist gut, aber es hat auch schlechte Seiten. Wenn sie wenig holen, haben beide kein Einkommen. Die Eltern drängen heutzutage die Töchter nicht dazu, Ama zu werden. Man muß dafür sehr gesund sein, denn wenn man krank ist, kann man nicht ausfahren. Ich bin sehr gesund, mir fehlt nie etwas. Amulett trage ich keines, ich bin nicht religiös. Aber ein Handtuch vom Schrein, das trage ich. Nützt's nicht, schadet's nicht!

Im großen und ganzen geht es uns heute in Katada ziemlich gut, vor allem wegen der Perlen.

hinauf

Akkordarbeit unter Wasser

Mega Strand Katada

Die drei Taucherinnen Murata Kuzuko, Yamamoto Tamae und Hiraga Miyoko fahren vom Mega-no-hama (Mega-Strand) in Katada aus. Der kleine Hafen liegt zu beiden Seiten des Mugizaki, einer mit einem weithin sichtbaren Leuchtturm bestückten Landzunge, die etwa einen Kilometer in den Pazifischen Ozean hineinragt. In die beiden betonierten Strandmulden werden jeden Abend insgesamt zehn kleine weiße Boote heraufgezogen. Zwischen den Stränden liegt knapp vor der Spitze des Kaps ein staubiger Platz, auf dem Autos parken und der zum Teil einer Mülldeponie gleicht. Um den Platz herum scharen sich einige Amahütten aus Holz und mit Wellblechdächern, zum Rasten nach der Arbeit. Im heißen Juli sitzen die Frauen rund um ein kleines Feuer unter einem Strohdach vor der Hütte.

Mugizaki Landzunge

Von diesem Platz aus führen an Häusern vorbei zwei Wege zum Leuchtturm und zum Inari-Schrein auf der Anhöhe der Landzunge. An diesem äußersten bewohnten Fleck des Mugizaki hat Yamamoto Tamae, von allen oba-san, Tante, genannt, direkt an der mit Beton befestigten Küste ihre Häuschen aufgefädelt. Das Gästehaus ist das allerletzte.

Murata Kuzuko wohnt jenseits des Platzes gemeinsam mit Sohn und Schwiegertochter, Perlenzüchtern. Auch auf dieser Seite des Platzes erhebt sich ein bewaldeter Hügel mit einem Schrein. Der 4000 Einwohner zählende Ort Katada mit 980 Haushalten hat vier ähnliche Strände, von denen insgesamt zirka 40 Ama-Boote auslaufen.

Katada erstreckt sich vom Osten nach Westen zwischen Funakoshi und Fuseda und vom Norden nach Süden über die etwa drei Kilometer breite Landzunge zwischen Ago-Bucht und Pazifik. Geteilt wird der Ort durch die Hauptstraße, die von der nächsten größeren Stadt, Ugata, zum letzten Zipfel von Ôku-shima, dem Ort Goza, führt. Von Goza aus übersetzt man mit dem Fährschiff die seidige Ago-Bucht zum Perlenzucht-Zentrum Kashikojima.

In der gesamten Region Ise-Shima ernähren sich entlang den Buchten Familienbetriebe von der Perlenzucht. Allerdings ist die Verschmutzung des Wassers eine große Gefahr für ihre wirtschaftliche Existenz (20). Der Wohlstand des Gebietes beruht auf Perlenzucht und Perlenhandel. Auch in Katada ist die Perlenzucht Haupterwerbszweig. Zirka 150 Familien leben davon (21). Sie gibt nicht nur den Unternehmern Arbeit, auch viele Frauen, die im Sommer Kerne einsetzen und im Winter die Perlen ernten, haben dadurch einen Zuverdienst. Solche arubaito verrichten unter anderem auch die Ama im Winter.

Hiraga Miyoko

Hiraga Miyoko

Die Perlengenossenschaft ist die wichtigste der vier Genossenschaften von Katada. Geringste Bedeutung hat die Landwirtschaft (zwei Häuser bauen Reis an, eines Süßkartoffeln, einige Gemüse für den Hausgebrauch) und daher auch die landwirtschaftliche Genossenschaft. Neben der Fischereigenossenschaft, die bis auf Präfektur- und Nationalebene verankert ist, gibt es eine Hochseefischereigenossenschaft, in der sich nur die örtlichen Fischer zusammengetan haben.

Fischerei, Sammeln und Verarbeiten von Seegräsern und das awabi-Tauchen dürften in der Vergangenheit Haupterwerb des Ortes gewesen sein, ebenso wie in den benachbarten Gemeinden zwischen Daio im Osten und Goza im Westen, deren Zentrum heute Wagu ist. Da die Einkünfte durch das Meer nicht mehr ausreichten, verließen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts viele ihre Heimat und wanderten bis nach Amerika aus. Die Auswanderungsbewegung betraf Katada besonders, es ist als amerika-mura (Amerika-Dorf) bekannt.

Auf der Anhöhe zwischen Ago-Bucht und Pazifik befinden sich die Volks- und Mittelschule des Ortes, die Fischereigenossenschaft und das Postamt sowie etliche sehr ansehnliche Wohnhäuser, die vermögenderen Perlenhändlern und Schiffsbesitzern gehören sollen. Fremde vermuten manchmal, sie seien im Besitz von reichen Amerika-Rückwanderern, doch nach Auskunft der Dorfleute kam nur zurück, wer dort erfolglos geblieben war.

Die Häuser entlang der Pazifik-Küste sind kleiner, manche schäbig. Hier wohnen viele Fischer und Taucherinnen.

Ein zweiter Haupteinkommenszweig neben der Perlenzucht des südlichen Mie ist heute der Fremdenverkehr. Doch er berührt Ôku-shima nur bis Goza und Daio. In Katada existierten 1983 nur vier Privatpensionen, keine Hotels, weder japanischer noch westlicher Art. Die Wochenendausflügler, die das Gästehaus der Yamamoto Tamae aufsuchten, wollten Abgeschiedenheit, Ursprünglichkeit, schöne Landschaft, Fischen und Ruhe. Tatsächlich stört sie hier nur das laute Rauschen des Pazifik.

In ganz Ise-shima gibt es 2000 Ama (22). In der Fischereigenossenschäft von Katada sind ungefähr 120 Frauen als Taucherinnen eingetragen. Zu ihnen gehören rund 40 Bootsführer. Die Anzahl der Fischer von Katada schwankt je nach Jahreszeit. Hauptsaison für den Fang der bekannten Ise-Garnelen ist der Winter. 40 bis 60 Männer fahren aus, durch den Einsatz diverser Maschinen sind immer weniger nötig. Zirka 200 Männer helfen am Strand. Bonito, Sardinen, Tintenfisch und zahlreiche andere Fischarten werden zusätzlich von den Fischern im Sommer und im Winter aus dem Meer geholt.

400 Leute, meist ältere Taucherinnen, die beim awabi-Tauchen nicht mehr sehr erfolgreich sind, sammeln außerdem die diversen Seegräser: arame, tengusa, funori, hijiki. Sie werden getrocknet, über die Fischereigenossenschaft zur Weiterverarbeitung verkauft und bringen wieder einen beachtlichen Zusatzverdienst.

Außerdem machen die Frauen Heimarbeit und stundenweise arubaito (in der Perlenzucht und im Fremdenverkehr der Gegend). Arbeit bedeutet auch heute noch für viele Saisonarbeit und Taglöhnerarbeit - zum Beispiel für Männer im Straßenbau.

Tauchen ist nicht gleich tauchen

5 Ama divers

Ipponbiki

Haikara

Okedo

Kachido Taucherin

Otawa Tamako 1978







Yamamoto Tamae im isogi





Awabi und andere Meeresfrüchte im Netz

"Tauchen ist nicht gleich tauchen", machen die Ama von Katada den fremden Gast sofort aufmerksam. Sie legen sehr großen Wert auf die Unterscheidung der verschiedenen Techniken. Grundsätzlich trennen sie die Ama in zwei Gruppen, jene, die mit Booten hinausfahren, und jene, die mit dem Schwimmreifen vom Ufer hinausschwimmen. In der ersten Gruppe wird wieder in ippaibune oder ipponbiki, haikara und okedo unterteilt. Die schwimmenden Ama heißen kachido. Inder Ama-Hierarchie steht ippaibune oben, haikara in der Mitte, okedo unten und kachido ganz unten (23).

Die Bootsbesitzer und Lenker, sendô oder tamae genannt, sind ausschließlich Männer, örtliche Fischer, faltenzerfurcht und sonnenverbrannt.

Im ipponbiki sitzt der sendô gemeinsam mit einer Taucherin, in der Regel seiner Ehefrau. Nur ein ipponbiki von Katada macht hier eine Ausnahme, der sendô ist mit der Ama nicht verheiratet.

Das ipponbiki-Paar verdient nur, was die Frau herauftaucht. Der Mann erhält vom Ertrag 50 Prozent, sofern es sich bei der Ama nicht sowieso um seine Frau handelt.

Bei haikara belegen das Boot zwei oder drei, in früheren Zeiten fünf oder sechs Taucherinnen. Der Bootsführer erhält von jeder 25 Prozent des täglichen Gewinnes. Im okedo sitzen bis zu sechs Taucherinnen, der Sendo bekommt von jeder 15 Prozent.

Jede Taucherin hatte, ehe sie in der Regel mit 16 oder 17 professionell zu tauchen begann, zwei, drei Jahre Übung hinter sich. Die meisten Ama von Katada sind zwischen 40 und 60. Nur eine hat 1983 mit 28 Jahren und nach zweijähriger Übungszeit die Ama-Arbeit auf einem okedo-Boot angefangen. Erst wenn man so gut ist, daß man mit dem Tauchen Geld verdienen kann, nimmt einem nämlich folgerichtig ein Bootsführer auf. Die Karriere führt über das okedo zum ipponbiki. Die kachido-Taucherinnen können mangels Booten nur in Küstennähe im seichten Gewässer tauchen, die okedo fahren etwas weiter hinaus, die haikara noch weiter, die ipponbiki gelangen in die fernsten und - mangels Konkurrenz - awabi-reichsten Gefilde. Ebenso steigert sich die Tiefe, zu der die Frauen hinabtauchen, und der Ertrag, den sie heraufholen können. Das Meer ist im Tauchgebiet von Katada bis zu 27 Meter tief.

Otawa Tamako, selbst kachido-Taucherin, beim ersten Besuch in Katada 1978 Vorsitzende der Frauenabteilung der Fischereigenossenschaft, nennt als Voraussetzung für eine gute Ama "ein heftiges Temperament".

Ihre Kolleginnen nennen andere Kriterien für verschiedene Qualifikationen: das Alter, die persönliche Vorliebe, die Familienverhältnisse, das Können und, sehr wichtig, die körperliche Konstitution. Vor allem Nase und Ohren sind neuralgische Punkte, sie müssen dem enormen Wasserdruck gewachsen sein.

Die körperliche Konstitution ist heute aber nicht mehr in dem Maße ausschlaggebend wie früher. Die Technik erleichtert die Arbeit (vor allem allerdings für den Bootsführer).

Die ipponbiki-Ama tauchte seit jeher mit Hilfe des Eisenpflocks tief hinunter und wurde am Lebensseil, das an ihrem Gürtel befestigt ist, heraufgezogen. Die haikara-Ama saust ebenfalls mit Hilfe des Eisenpflocks in die Tiefe, schwimmt jedoch mit eigener Kraft nach oben. Die okedo-Ama hat, ebenso wie die kachido-Ama, einen Schwimmreifen bei sich, mit dessen Hilfe bewegt sie sich frei im Meerwasser. Ihr hilft beim Tauchen nur ein Gürtel, beschwert mit Steinen. Während der Bootsführer früher die Arbeitsgefährtin heraufziehen mußte, erledigt heute eine enjin an Bord diese Mühe.

Eine wirkliche Hilfe für die Frauen ist jedoch das Tauchgewand. Während die Taucherinnen am Japanischen Meer früher nur mit einer Art Tanga bekleidet tauchten, trugen die Ama von Chiba und Shima immer ein Lendentuch aus Baumwolle und ein Handtuch ums Haar. Ab zirka 1925 gesellte sich dazu eine langärmelige weiße Bluse, bald auch weiße Hosen. Das typische isogi (Tauchkleid) war in Katada bis vor sechs, sieben Jahren jenes weiße Gewand, das die Ama jetzt nur mehr vorwiegend für Touristen tragen. In Katada entschlossen sich die Frauen vor 5 Jahren auf Vorschlag der Genossenschaft zu wet suits, einem richtigen schwarzen Taucheranzug aus gummiartigem Material. Er besteht aus Oberteil, Hose und Kappe. Dieses schützt sowohl vor Kälte wie auch vor Verletzungen. Unter den wet suits schlüpfen die Ama in Wollunterwäsche, darüber ziehen sie bunte Hemden und Hosen, meist aus Frottee. An den Händen tragen sie Handschuhe, an den Füßen dicke Wollsocken. Vor dem Tauchen legen sie Schwimmflossen an. Ein wichtiges Gerät ist die Taucherbrille, die es erst seit 30, 40 Jahren gibt (lwata 1971:18).

Ohne dieses wet suits genannte Tauchgewand wären viele Frauen im durchschnittlichen Tauchalter von 40 bis 60 nach eigener Aussage nicht mehr zu tauchen imstande.

Da der leichtere Zugang zu den Tauchgefilden aber auch vermehrten Raubbau an den awabi bedeutet, wurde gleichzeitig mit den wet-suits eine zeitliche Beschränkung für die Arbeit eingeführt.

Von Mitte März bis Juni wird vormittags und nachmittags jeweils eine Stunde getaucht, dann bis Juli vormittags eineinhalb Stunden und schließlich bis September vormittags und nachmittags je eineinhalb Stunden. Diese Zeit ist reine Tauchzeit. In Katada beginnt sie um zehn Uhr.

Auch die gesundheitliche Vor- und Nachsorge hat in den letzten Jahren andere Ausmaße angenommen. Vor und nach der Saison gibt es Durchuntersuchungen von seiten der Präfektur, während der Saison mißt ein Arzt in den Amahütten den Blutdruck. Im Bezirksgesundheitszentrum von Wagu wird ein Gesundheitsfest, ein kenkô-matsuri, veranstaltet.

Früher hätten die Frauen aus Angst, der Arzt könne Arbeitsunfähigkeit feststellen, oft die Untersuchungen gemieden, erzählen die Taucherinnen, heute jedoch nehmen fast alle das ärztliche Angebot wahr. Ältere Ama halten sich jedoch lachend an das Sprichwort: "Wenn die Ama ins Salz geht, wird sie gesund."

Objekt der Ama-Arbeit sind in erster Linie die awabi. In den Netzen der Ama befinden sich aber auch Kreiselschnecken, Trompetenmuscheln und Seeigel. Das Tauchen nach akoya-Muscheln für die Firma Mikimoto war jedoch in der tausendjährigen Geschichte der Ama nur ein kurzes Intermezzo.

Die awabi, hell fleischige Muscheln mit perlmuttern glänzenden Schalen mit einem Durchmesser von zehn bis zwanzig Zentimetern, sitzen an den küstennahen Felsen. Sie werden von der Genossenschaft aus Züchtereien in den Präfekturen Chiba und Kanagawa zirka einen Zentimeter groß angekauft und ins Meer gesät. Nach sechs, sieben Jahren, frühestens, wenn sie 10,6 Zentimeter Umfang haben - dies wird mit einem Gerät namens sundo gemessen dürfen sie eingesammelt werden (24).

Mugizaki Landzunge

Das Tauchgebiet ist gegenüber den Nachbarorten streng abgegrenzt. Der Vorsitzende der Fischereigenossenschaft hat unlängst eine 150 Jahre alte Meereskarte gefunden, die zeigt, daß Taucherinnen bereits damals dieselben zirka 40 Felsengruppen anpeilten. Genau dann, wenn der Strandrepräsentant auf seinem Boot die rote Fahne aufzieht, lassen sich die Ama vom Boot ins Meer gleiten. Sie atmen tief ein, tauchen hinab, prüfen, ob und wo awabi sind, sausen nach oben, atmen aus, holen vom Boot oder Reifen ein entsprechend langes Messer oder Brecheisen (nomi), mit dem sie die Muschel auf einen Satz vom Untergrund trennen müssen.

Die kachido-Taucherinnen sind keiner Zeitbegrenzung unterworfen. Sie sammeln sich, wenn die weißen Boote bereits ausgefahren sind, in Gruppen von zehn bis zwölf Frauen, besprechen, an welchem Punkt des Strandes sie es heute versuchen (das hängt von der Strömung und der Verschmutzung des Wassers ab), schwimmen mit Hilfe ihrer Flossen und Reifen hinaus und kehren meist vor den anderen zurück. Während die Boot-Amas beim Zurückfahren keine Kraft mehr brauchen, müssen die kachido auch die Rückkehr aus eigener Kraft bewältigen.

Ama no isobue - das leise Pfeifen der "Küstenflöte"

Typische Geräusche sind der ratternde Singsang beim Ausfahren und Heimkehren und dazwischen das leise Pfeifen der "Küstenflöte" über dem Wasser während der Arbeitsstunden. Isobue entsteht, wenn die Frauen beim Auftauchen Luft aus der beanspruchten Lunge entleeren. Dieser Vorgang schmerze, sagen sie. Deshalb ist das leise Pfeifen für die Japaner die melancholische Begleitmusik des harten Ama-Berufs.

Mugizaki Landzunge

Die eingebrachten awabi werden am Boot und nochmals in der Amahütte gewogen. An das jeweilige Netz wird ein Namensschild gesteckt. Die meisten Ama führen ihren Fang mit Fahrrad oder Moped selbst zum awabi-Markt, der täglich um 4 Uhr nachmittags neben der Fischereigenossenschaft abgehalten wird.

Die awabi werden vor dem Verkauf in männliche und weibliche getrennt. Die männlichen sind angeblich von weitaus geschätzterer Qualität und doppelt so teuer.

Den Preis bestimmt täglich die Genossenschaft, und diese richtet sich nach den Fischhändlern von Nagoya. Die Genossenschaft verkauft die awabi um den zweifachen Preis weiter, den sie den Ama bezahlt. Rasttage in der sechsmonatigen Saison sind jeweils der zweite und der vierte Samstag im Monat, weil am darauffolgenden Tag die Fischhändler ruhen.

Festtage, die die Saison unterbrechen, sind im März, im Juni, am 23.7. das hama-asobi (Strandfest), am 4. August das gozai (religiöser Rasttag, weil "die Haie kommen") und das Bon-Fest Mitte August, bei dem am Strand noch die alten Amalieder gesungen werden sollen.

Außerdem bekommen die Ama keine Erlaubnis zum Ausfahren, wenn es stürmt oder regnet. Durchschnittlich können sie mit 90 bis 100 Arbeitstagen rechnen.

Mugizaki Landzunge

Beim hama-asobi am 23. Juli versammeln sich Ama und sendô gemeinsam mit den Funktionären der Genossenschaft an einem der Strände. Ein Shinto-Priester betet zu hachidai-sama und zu sengen-san. Während der erste Gott die Aufgabe hat, das Meer zu beruhigen, soll der zweite die Menschen beschützen. Anschließend opfern die Taucherinnen am Wellenrand und am Mugizaki-Kap gestampften Reis (mochi) und Reiswein. Den größten Anteil des Reisweins, den sie opfern, trinken jedoch die anwesenden Männer aus.

Bei diesem Strandfest geht es um Sicherheit und Schutz vor den Gefahren, denen die Ama am Meeresgrund ausgesetzt sind. Denn obwohl die Taucherinnen stets beteuern, keine Angst zu haben, ist doch das Wort abunai (gefährlich) eines, das man sehr oft hört. Anlaß für das Fest ist die Sage von einigen Ama, die vor vielen Jahrhunderten bei ihrer Arbeit von den Wellen verschlungen wurden.

Ähnliche Festtage werden um dieselbe Zeit in allen Ama-Gemeinden Shimas eingelegt. Ôta Ichio, der Vorsitzende der Fischereigenossenschaft, meint dazu: "Taucherinnen haben eine großartige Konstitution. Jeden Tag arbeiten sie bei brennender Sonne im Meer. So haben sie eben irgendwann einmal diese Geschichte erfunden, damit sie nach vielen Arbeitstagen rasten können." Tatsächlich erwarten die Frauen im offenen Pazifik genug Gefahren, um ihnen Recht auf einen Bettag zu geben: Haie, plötzliche Strömungen, Unglück mit dem Lebensseil, das für viele Ama zum Todesseil geworden ist, weil sie sich darin verwickelten und erstickten. Schließlich Krankheiten, die sie sich zuzogen, weil sie ohne Rücksicht auf die gesundheitliche Verfassung dem awabi-Erwerb nachgehen.

Wenn man übrigens nachfragt, warum im Laufe der Jahrhunderte der Ama-Beruf immer vorwiegend auf Frauen beschränkt war, heißt die Antwort überall: "Weil Männer körperlich dafür nicht geschaffen sind." Frauen vertrügen die Kälte des Wassers besser, und ihre Lungen wären für den Tauchvorgang ohne Sauerstoffgerät geeigneter. Die Frauen selbst sprechen über dieses Thema nicht gern. Es ist anzunehmen, daß sie nicht erfreut wären, würden Männer ihnen diesen Arbeitsbereich ganz entwinden.

hinauf

Klischees sind stärker: Sexy girl und Weiberherrschaft

Den Beruf der Ama kann man bis in mythologische Zeiten zurückverfolgen. Es hat ihn quasi "immer gegeben". Besonders eng ist er in der Präfektur Mie mit dem Ise-Schrein verbunden. Awabi als Symbol langen Lebens und höchster Reinheit gehören zu den wesentlichen Requisiten des Schrein-Rituals (Yano 1983:83ff). Steuern und Abgaben an tennô und Schrein wurden in Form von Meeresfrüchten bezahlt.

Ama tauchen früh in der Literatur auf, zum Beispiel im Manyôshû, einer berühmten Gedichtsammlung aus dem 8. Jahrhundert. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts treffen wir sie auf erotischen Holzschnitten, den sogenannten abunae (bedenkliche Bilder). "Unter denjenigen ukiyoe, die halbnackte Frauen darstellen, also unter den sogenannten abunae, gibt es am meisten Ama-Darstellungen" (Yoshida 1977:31).

Bekanntester Name eines ukiyoe-Künstlers, der das Ama-Motiv des awabi-tori (awabi-Holen) aufgriff, ist Kitagawa Utamaro (1754-1806).

Auf diesen erotischen Holzschnitten bringen sehr oft Ama vor einem stimmungsgeladenen Hintergrund wie Futamigaura oder Enoshima dem Prinzen Genji die köstlichen Muscheln dar. Diese Taucherinnen sind alabasterne schlanke Meereswesen, tragen rote Lendentücher malerisch um die Hüften gewunden, das nasse Langhaar ringelt sich reizvoll, häufig frisieren einander die Meermädchen anmutig ihre schwarze Haarflut.

Yano Kenichi bringt die rote Farbe des koshimaki mit dem erotischen Zweck der Bilder in Zusammenhang, meint aber, daß damals die Lendentücher als Schutz vor den Haien möglicherweise tatsächlich rot gefärbt gewesen sein könnten (25).

Die Ama auf den schönen ukiyoe sind Klischeefiguren, die als erotische Stimulation für die Betrachter dienten. Unnötig zu betonen, daß mit der Realität des Ama-Lebens wahrscheinlich nicht der geringste Zusammenhang bestand. Auch Fosco Marainis Ama-Buch (1963) dient, neben dem volkskundlichen Interesse, auch erotischem Vergnügen. Die Ama wird durch diese Darstellungen zu einer Art Lustobjekt. Im Tourismus der Region Ise-Shima bedient man sich heute ebenfalls der Zweideutigkeit dieses Ama-Klischees.

unechte Ama im Aquarium

Wer im Perlen-Mekka Toba war, kann diese Juwelen und die Taucherinnen nicht mehr auseinanderdividieren, obwohl die Ama in den Dörfern darauf bestehen, nichts (mehr) mit der Perlenzucht zu tun zu haben. Aber der Nimbus der Ama von Nacktheit, Juwelen und Meerestiefe verleiht der Gegend ihr exotisches Flair und darum wird sie so gezeigt, auch wenn sie in Wirklichkeit ganz anders ist: Ama machen auf der Perleninsel vor Toba ihre Arbeit vor. Ama spielen auf der Delphininsel vor Toba mit den putzigen Walen. Im Aquarium von Kashikojima müssen sie alle 20 Minuten zu den Fischen hinabtauchen und sie zur Touristenbelustigung füttern. Diese Taucherinnen sind gertenschlank, in ein weißes Gewand gehüllt, alle sind jünger als die jüngste Ama von Katada.

Hier ist also von "Herrschaft" keine Rede. Von der Taucherin im Fischerdorf wird ein "auf schön" retouchiertes Bild abgezogen. Die Ama werden zwar dadurch wirtschaftlich nicht beeinträchtigt, das Ganze kümmert sie kaum, sie lachen höchstens darüber. Aber das scheinbar unausrottbare Klischee der Ama als sexy girl, das im Wasser nach Perlen plätschert, ist weitaus bekannter als die Wirklichkeit.

Wie sind Ama in Wirklichkeit? Ama sind hart arbeitende berufstätige Frauen. Der tägliche Arbeitsplatz ist das Meer. Wenn sie Gewand und Geräte abgelegt haben, bleiben "normale" Frauen über, die sich allerdings von japanischen Städterinnen in ihrem offenen Benehmen und ihrer unverblümten Sprache unterscheiden. Berechtigt diese Realität zum zweiten Klischee, zu dem abwertenden der kakâdenka (Weiberherrschaft) oder zum feministisch heroisierenden der Ama-zone?

Der Volkskundler lwata Junichi hat 1939 über die Ama von Shima ein Buch geschrieben. Er benützt im Zusammenhang mit ihnen nicht kakâdenka, aber der Sinn seines Einleitungskapitels ist ähnlich: "Demzufolge sind die Frauen seit alters her die Haupternährerinnen, und wenn man auch von den Fischern auf der Männerseite hört: 'In anderen Dörfern mögen die Frauen Bosse sein, aber bei uns sind es die Männer', so haben in Wirklichkeit immer die Ama die Macht und auch von der Situation des Dorfes her kann man es nicht anders sehen, als daß die Männer quasi die Hilfskräfte der Frauen sind. Auch wenn man sie mit dem gemeinsamen Hochseefischen der Männer vergleicht, sind die verschiedenartigen Pflichten der Frauen weit anstrengender" (lwata 1971:1-2).

Er schildert weiter, wie die Frauen Hausarbeit und Kindererziehung neben dem Tauchen erledigen und daß sie im Gegensatz zu den Männern keine Stunde der Muße fürs Zeitungslesen oder Spielen finden. Die Frauen, meint Iwata, zögen aus dieser Arbeitsteilung, die ihnen soviel mehr auflastet, ein Überlegenheitsgefühl. Es gebe die Redensart: "Eine Frau, die nicht einen Mann ernährt, ist nichts wert."

Seit lwata seine Studien betrieb, sind kaum fünf Jahrzehnte verstrichen, aber es hat sich viel geändert (26) Die Töchter treten nicht mehr automatisch in die Fußstapfen der Mütter, sondern meiden sie.

Die Produktionsmittel gehören den Männern

Der Status quo in Katada: Nichts spricht für eine Weiber- oder eine Frauenherrschaft. Statt mehr Macht erworben, scheinen die Ama einen Machtverlust erlitten zu haben. Die Entwicklung der Technik und die Einverleibung früherer individueller Entscheidungen in männlich dominierte Institutionen scheinen dabei im Spiel zu sein.

Männer warten auf die Ausfahrt

Die Produktionsmittel gehören den Männern. Das Boot, mit dem die Ama ausfährt, gehört dem sendô (wörtlich übersetzt "Haupt des Bootes"). Nicht die Ama nimmt sich quasi einen Chauffeur, sondern der Mann nimmt sich eine geschickte Taucherin an Bord. Jene Taucherinnen, die geringere Erträge erwarten lassen, müssen in den kargeren ufernahen Gewässern tauchen. Der sendô kassiert für vergleichsweise wenig Arbeit vergleichsweise viel. Er bestimmt auch inhaltlich, nämlich wohin die Fahrt gehen soll.

Wenn man die Männer ruhig im Boot sitzen sieht, während die Frauen hustend herauftauchen, wenn man beim Zurückkehren in den Hafen beobachtet, wie die Frauen, Gondolieren ähnlich, mit langen Stangen die Boote in die richtige Stellung bringen, während die Männer herumstehen, wenn die Männer sich bald nachher der Muße erfreuen, während die Frauen nach der Rast in der Ama-Hütte die Hausarbeit erledigen, ist man versucht, die Beobachtung eines Sommergastes, der seit 12 Jahren nach Katada kommt, zu teilen: "Katada ist ein Paradies der Männer." Ein Paradies der Männer bedeutet aber doch wohl nicht Frauen- oder gar Weiberherrschaft!

Männer warten auf die Ausfahrt

Die Ama ihrerseits widersprechen übrigens. Ihr Status hängt vom Ansehen der Männer ab. Otawa Tamako: "Früher haben unsere Männer gefaulenzt, aber jetzt arbeiten sie das ganze Jahr über fleißig."

Auch die Institutionen sind in der Hand der Männer. Jeder Strand hat einen Strandrepräsentanten. Er wird alljährlich bei der Generalversammlung der Fischerei- genossenschaft, knapp nach dem Ende der Saison, aus der Reihe der sendô gewählt.

Angeblich geht es dabei nicht um Können oder Ansehen, sondern jeder kommt einmal dran. Dieser hama no daihyôsha oder nengyôjisan trifft gemeinsam mit den Kollegen die alltäglichen Entscheidungen: ob das Wetter gut genug ist für die Ausfahrt; er bestimmt mit der roten Fahne auf seinem Boot, die aufgezogen oder gesenkt wird, Beginn und Ende der Tauchzeit.

Bei Festen nehmen die Männer die Vorrangzeichen der Macht entgegen: so tritt beim hama-asobi zuerst der Vorsitzende der Genossenschaft, dann ein Vertreter der sendô und als letztes die Vorsitzende der Frauenabteilung der Fischereigenossenschaft vor, um ein Gebet zu sprechen.

An der Spitze der Fischereigenossenschaft steht - selbstverständlich - ein Mann.

Bevor eine Frau als Ama arbeiten kann, muß sie einen Bürgen für ihre Fähigkeiten finden und bei der Genossenschaft schriftlich beeiden, daß sie deren Preisgestaltung anerkennt. Die zieht übrigens fünf Prozent des täglichen Kauferlöses für sich ab. Praktisch ist es unmöglich für eine Frau, ohne Verankerung in der Genossenschaft als Ama tätig zu sein. Die Aufgaben der Genossenschaft definiert ihr Vorsitzender folgendermaßen: Verkauf des täglichen Fanges, Verwaltung der Spareinlagen der Mitglieder, Verkauf von Ausrüstungsgegenständen und solchen des täglichen Bedarfs an die Mitglieder, Rat und Weiterbildung für die Ama (27).

Die Frauenabteilung (fujinbu) scheint in ihrer Funktion ziemlich reduziert. Bei der Generalversammlung wird auch ihre Vorsitzende gewählt, nach Meinung der Ama ein Job ohne Bedeutung, der sie nur von der Taucharbeit abhält. Ihre Aktivitäten: Information und Belehrung, Sparen und Versammlungen. Ein Zeitpunkt für die Sitzungen ist nicht fixiert, in der Regel finden sie zweimal im Monat statt. Jede Ama gehört automatisch zum fujinbu (28).

Gegenseitige Hilfe und gemeinsame Freizeitgestaltung sind offenbar, zumindest heute nicht mehr, keine Funktionen der Frauenabteilung. Die übernimmt die Verwandtschaft.

Soweit ist also klar, daß die Taucherinnen keine funktionelle Macht imDorf haben, daß sie für die Genossenschaft und für die sendô arbeiten. Nach Abzug von deren Anteilen aus dem täglichen Gewinn, bleibt ihnen noch immer ein beträchtlicher Rest. Diesen verwalten sie selbst. Allerdings ist dies in Japan kein Zeichen von Frauenherrschaft, sondern allgemein üblich. Anders als in den meisten städtischen Familien ist wahrscheinlich die Höhe des Verdienstes der Frau. Im Sommer erarbeitet sie oft mehr als die Fischer- und Perlenhändler- Ehemänner.

Die nicht als Taucherin tätigen Frauen von Katada sprechen stets mit einem Anflug von Neid über die Ama. Der eigene gute Verdienst gibt den Frauen sicher Stolz und Selbstsicherheit und würde ihnen ökonomische Unabhängigkeit ermöglichen; da diese Möglichkeit sich aber nicht nach außen in den sozialen Beziehungen niederschlägt, macht sie die Ama wahrscheinlich weder freier noch mächtiger.

Es stimmt, daß ältere Ama als Hobby manchmal Trinken oder karaoke (Singen zu instrumentaler Tonbandmusik) angeben, daß sie lauter lachen und unbekümmerter schreien als Stadtfrauen, aber diese Freiheiten dürften sich ältere Frauen am Land und in städtischen Unterschichten schon immer genommen haben. Das selbstverdiente Geld macht die Ama auf keinen Fall frei vom traditionellen geschlechtsgebundenen Rollenklischee. Hausarbeit ist weibliche Domäne. "Die Männer verachten Hausarbeit", hört man.

Noch nicht untersucht wurde, inwiefern Frauen im Intimraum der ehelichen Beziehungen Entscheidungsgewalt haben. Nach außen wird jedenfalls streng darauf geachtet, dem Mann den nötigen Herrschaftsanschein zu geben. Auch im Ama-Dorf gilt: "Wenn ein Mann den Ruf hat, ein Pantoffelheld zu sein, werden er und seine Frau verspottet."

hinauf

"Entmachtung" durch den Fortschritt?

Zusammenfassend kann nicht festgestellt werden, daß Frauen in Katada eine höhere Stellung als in anderen japanischen Gemeinden haben, auch nicht im relativ kleinen Teil der Bevölkerung, der aus Ama-Familien besteht. Im Ort dürften die Ama eher zu den Schichten gehören, denen ein niedriger sozialer Status eingeräumt wird. Das bedeutet, daß viele gesellschaftliche Konventionen höherer Schichten für sie nicht gelten. Wenn, dann verfügen sie demnach über einen Freiheitsbereich nicht durch Macht, sondern durch Abwesenheit von Macht.

Die soziale Staffelung unter den Taucherinnen von der hochgeschätzten ippaibune-Taucherin zur wenig geschätzten kachido-Taucherin deutet übrigens darauf hin, daß in dem Ort, in dem traditionell Männer rar waren, der "Besitz" eines Mannes den Frauen sehr wohl Prestige einbringt.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Lebensstandard auch in den Dörfern von Ôku-Shima ziemlich gewandelt. Es geht den früher überaus armen Leuten heute gut. Sie besitzen alle Symbole des Wohlstands, vom Auto über Klimaanlagen bis zu mehreren Fernsehern. Es gibt in der Region heute auch andere Arbeit als jene, die das Meer offeriert: Perlenzucht, Fremdenverkehr, Handel, Verwaltung. Sie bietet Männern sicherere Arbeitsplätze als die von der Witterung abhängige See.

Enkelinnen

Es scheint, als habe sich dadurch und durch die strenge Reglementierung des Tauchens die Ama-Tätigkeit von einem Haupteinkommen zu einem sehr guten Zuverdienst gewandelt und als habe sich dadurch die Stellung der Taucherinnen verschlechtert.

Wohlstand und mehr Arbeitsmöglichkeiten haben es mit sich gebracht, daß junge Mädchen nicht mehr Ama werden wollen.

Die Mütter drängen die Töchter auch nicht dazu. Die nachwachsende Generation entzieht sich dem "Privileg", durch besonders viel Arbeit eventuell Ansehen bei den Männern zu erlangen. Berufstätigkeit, die (oder vielleicht, weil sie) Frauen individuelle Selbstachtung und Unabhängigkeit ermöglicht, ist in Japan für verheiratete Frauen im allgemeinen nicht erwünscht. Der soziale Druck, "zu Hause" zu bleiben, ist enorm und dringt durch die Medien auch in das entlegenste Dorf. So entschuldigte sich die Frau des Vorsitzenden der Fischereigenossenschaft für ihre Ama-Arbeit und beteuerte, sie sei nur ein Hobby. Die Tochter des Paares, eine Mutter zweier Kinder, erklärte, es sei heute unmöglich geworden, kleine Kinder allein zu lassen, darum lehnten viele junge Frauen den Ama-Beruf ab.

Zusammenfassend scheint es also so zu sein: Der eigene Verdienst gibt den Taucherinnen von Katada individuelle Stärke, die sich jedoch nicht in die dörflichen Machtstrukturen fortsetzt. Sie befinden sich in der sozialen Hierarchie in machtloser Position. Da sie selbst die Geschlechterrollen und die traditionellen Aufgabenteilungen nicht in Frage stellen, hat ihr Einkommen auf ihr soziales Leben keinen Einfluß, möglicherweise - und das ist nicht zu unterschätzen - jedoch auf ihre persönliche Lebenszufriedenheit.


 

hinauf Anmerkungen:
 
(1) Ama ist das japanische Wort für Taucherin. Es wird mit den Zeichen für "Meer" und "Frau" geschrieben. Das Wort Ama, das mit den Schriftzeichen für "Meer" und "Mensch" geschrieben wird, ist ein Sammelbegriff für Fischer, Taucher und umfaßt auch Taucherinnen.
(2) Kakâdenka zu deutsch "Pantoffelregiment", "Weiberherrschaft", bezeichnet ein Eheverhältnis, in dem die Macht der Ehefrau groß ist und der Mann seinen Kopf einziehen muß.
(3) Keiko suru ist der allgemein gebräuchliche Begriff für das Erlernen des Ama-Berufes.
(4) Reifen Seit einigen Jahren tauchen die Ama mit dem bui, Schwimmreifen. Die awabi-Taucherinnen ohne Boot und auf den okedo-Booten benützen rote Schwimmreifen; in deren Mitte ist ein Netz, in das die Ama die Muscheln werfen; auf ihm ist ein Brett (ita) mit diversen Messern oder Brecheisen (nomi) verschiedener Länge angebracht, außerdem eine kleine gelbe Fahne, die der Sicherheit der Taucherin dient. Auch alle anderen nötigen Geräte, wie Flossen, Brille, Handschuhe etc. werden bei Bedarf darauf befestigt. Im Wasser bewegen sich die Ama fort, indem sie sich mit beiden Händen am Reifen festhalten.
Die arame(Seegras)-Taucherinnen benützen größere schwarze Reifen von etwa einem Meter Umfang.
Früher tauchten die Ama mit oke, Holzbottichen.
(5) Haikara... Haikara, ippaibune oder ipponbiki, okedo und kachido sind diverse Tauchtechniken, siehe Kapitel "Akkordarbeit unter Wasser".
(6) Die Verwandtschaftsverhältnisse: Murata Kuzuko ist die Schwägerin von Yamamoto Tamae, in deren Haus das Interview aufgenommen wurde.
(7) Fundo Fundo, ein zirka 20 Kilogramm schwerer Metallstab, ist mit einem Seil am Boot befestigt. Die Taucherin benützt ihn, um schnell hinabzutauchen; die Länge des Arbeitsvorganges unter Wasser ist, da sie ohne Sauerstoffgerät taucht, durch die Kapazität ihrer Lungen auf natürliche Weise mit höchstens einer Minute begrenzt. Die Taucharbeit ist Akkordarbeit unter Wasser. Der Bottsführer - sendô - zieht den fundo nach oben.
(8) Awabi Abalone oder Seeohr, in Japan als Delikatesse betrachtete Muscheln. (Das Seeohr ist aber zoologisch gesehen eine Seeschnecke aus der Familie der Haliotidae.) )Die Muscheln müssen heute, da sie in Japan rar sind, bereits aus Korea, Taiwan und Amerika eingeführt werden. Von dort stammen die meisten der awabi-sashimi, die in den Hotels von Toba aufgetischt werden, wird erzählt.
Im Durchschnitt zahlte die Genossenschaft 1983 für ein Kilo awabi (sie werden in männliche und weibliche oder schwarze und weiße getrennt) 4000 Yen. Von Spezialisten werden sie am awabi-Markt in die beiden Gruppen und außerdem in schöne und beschädigte sortiert.
(9) "Vater" ist der Ehemann; die Frauen bezeichnen die Familienangehörigen immer aus der Sicht ihrer Kinder.
(10) Mikimoto Mikimoto Kôkichi gelang 1893 die Produktion der ersten Zuchtperlen in der akoya-Auster. In der Folge baute er von Toba aus ein Perlenimperium auf. Während die Perlenzüchter der Region früher ihre Perlen für Mikimoto züchteten, konnten sie nach dem Ende des Urheberschutzes eigene Betriebe eröffnen.
(11) Das japanische Schulsystem heute: sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Mittelschule, drei Jahre Oberschule.
(12) Isobe-san populäre Bezeichnung für den Izôgu-Schrein in Isobe, gehört zu den von den Ama am häufigsten aufgesuchten religiösen Stätten (vergleiche Wakamori und Tokuyama 1965:108).
(13) Shimenawa ist ein Strohseil, das für kultische Zwecke verwendet und zu Neujahr als Schutz vor Bösem über das Eingangstor gespannt wird.
(14) isogi Das traditionelle Tauchgewand heißt isogi. Bis zur Shôwa-Zeit (1926) tauchten die Frauen im Lendentuch (koshimaki) und Handtuch (tenugui) um den Kopf, in dem schwarz ein Zauberspruch (mayoke) eingezeichnet war. Dieser und Amulette, die die Taucherinnen vor Übel schützen sollen, stammen von den diversen Wallfahrtsstätten. Material dazu gibt es im 1982 eröffneten Volkskundemuseum von Ugata (Ugata minzoku-shiryô-kan).
(15) Tauchzeit Eine rote Fahne wird aufgezogen, wenn die Tauchzeit beginnt, und eingeholt, wenn sie zu Ende geht.
(16) Amahütte Die Amahütte, japanisch amagoya, ist Raststätte der Taucherinnen. Hier bewahren sie ihre Geräte und das Tauchgewand auf, hier waschen sie sich nach der Rückkehr, trocknen ihre Sachen, rechnen ab und rasten rund um ein kleines Feuer, das alte Frauen, die nicht mehr tauchen, vorbereiten. Ein bis zwei Stunden dauert die Muße, die die Taucherinnen mit Plaudern und Lachen verbringen. Männer sind in der Amahütte selten anzutreffen. Die Amahütte ist Symbol für den Freiraum, den sich die Taucherinnen durch ihre Arbeit schaffen.
(17) Die Tochter Yamamoto Tamaes, Kazuko, ist Frau des Sohns von Murata Kuzuko, also deren Schwiegertochter. Sie hat ihren Cousin geheiratet
(18) miai-kekkon Die arrangierte Heirat - miai-kekkon - war früher die übliche Form der Eheschließung. Auch heute noch finden ca. 50 Prozent der Eheleute sich durch "Vermittlung".
(19) Bei Zuchtperlen werden winzige Kügelchen aus Muschelschalen in die akoya-Muscheln eingesetzt. Diese umhüllt den Fremdkörper sodann mit Perlmutterschichten.
(20) Die Umwelt ist besonders vom Norden her bedroht, von der Hafenstadt Nagoya und dem Industriekombinat Yokkaichi in der Ise-Bucht.
(21) Die Angaben über Katada beruhen auf den Informationen von Ôta Ichio, dem Vorsitzenden der Fischereigenossenschaft von Katada, und speziell auf einem Interview mit Ôta am 23.7.1983.
(22) Diese Zahl findet sich auf einer Informationstafel im Volkskundemuseum von Ugata.
(23) Diese und die folgenden Informationen erhielt ich in diversen Gesprächen, vor allem aber in einem Gespräch mit fünf Ama: Hamaguchi Tokiko, 54, Okumura Hitomi, 57, Hamaguchi Mie, 54, Takeuchi Yoko, 49, Vorsitzende der Frauenabteilung der Fischereigenossenschaft, und Otawa Tamako, 55, am 4.8.1983.
(24) Die awabi-Ernte pro Tag war 1983 ungefähr doppelt so groß wie 1982, was eine Preissenkung zur Folge hatte. 1982 betrug sie täglich durchschnittlich 400 kg, 1983 800 kg. 1983 wurde für ein Kilogramm "schwarzer" awabi zirka 4900 Yen gezahlt, für ein Kilogramm "weißer" 2900 Yen.
(25) Gespräch mit Yano Kenichi am 29.7.1983.
(26) Wertvolle Aufschlüsse dazu und zum Thema Ama insgesamt sind bei Segawa 1955 zu finden.
(27) Gespräch mit Ôta am 23.7.1983.
(28) Gespräch mit Ama am 4.8.1983.

 

hinauf Literatur:
 
Bohner, Hermann
1954 Japan-Bilder. Osaka: Eigenverlag (= Beiträge zur Ostasien-Kunde 2/1).
Braw, Monica und Hiroe Gunnarson
1982 Frauen in Japan. Zwischen Tradition und Aufbruch Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag (= Fischer, Die Frau in der Gesellschaft. Fischer Taschenbuch 3730).
Kodansha International Ltd., Japan, A Bilingual Atlas, Nihon nikakokugo atorasu,Tokyo, New York,London, 1991
lwata Junichi
1971 Shima no ama (Die Ama von Shima). Toba: Shima bunka kenkyûkai.
König, René
1962 "Herrschaft", René König (Hg.): Soziologie Frankfurt am Main: Fischer Bücherei (= Das Fischer-Lexikon 10), 112-122.
Maraini, Fosco
1963 Die Insel der Fischermädchen Aus dem Italienischen von Bettina Berger. Stuttgart: Henry Goverts Verlag.
Mishima Yukio
1962 Die Brandung Aus dem Japanischen von Gerda von Uslar und Oscar Benl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (= rororo Taschenbuch 299).
Segawa Kiyoko
1955 Ama Tokyo: Kokin shoin.
Tanaka Noyo
1983 Amatachi no shiki (Die Ama während der vier Jahreszeiten). Tokyo: Shinjuku shobô
Uraguchi Manichi
1981 Shima no ama (Die Ama von Shima). Tokyo: Nihon kamerasha.
Yano Kenichi
1983 Same (Haie). Tokyo: Hôsei daigaku shuppankyoku (= Mono to mengen no bunkashi 35).
Sakana no bunkashi (Kulturgeschichte der Fische). Tokyo: Kôdansha
Yoshida Eiji
1977 Ukiyoe jiten (Ukiyoe Lexikon). Tokyo: Gabundô
Wakamori Tarô und Tokuyama Naoko
1965 "Ama no seitai" (Lebensweise der Ama), Wakamori Tarô (Hg.): Shima no minzoku (Volkskunde von, Shima). Tokyo: Yoshikawa kôbunkan, 103-112.

Leicht gekürzte Fassung eines Artikels, der publiziert wurde in: Sepp Linhart (Hrsg.), Schriftenreihe Japankunde, Japan, Sprache, Kultur, Gesellschaft, Festschrift zum 85. Geburtstag von Univ. Prof. Dr. Alexander Slawik und zum 20-jährigen Bestehen des Instituts für Japanologie der Universität Wien, Literas Universitätsverlag, Wien, 1985, S. 87-107.

Alle Daten und Fakten des Artikels beziehen sich auf eine Untersuchung, die im Juli und August 1983 in Katada durchgeführt wurde sowie auf eine Recherche im Sommer 1978.

Ins Internet gestellt im Oktober 2004.


Mehr: Alle Ama Artikel von Ruth Linhart. | Photos | Ama ukiyoe und
Frauen der Meere, Text Anke Lübbert, Fotos Felix Seuffert, mare online, Dez 2008, Sonderheft 2008
Dolores P. Martinez: Identity and Ritual in a Japanese Diving Village, Honolulu 2004

Ruth Linhart | Japanologie | Texte | Fotos | Ukiyoe Email: ruth.linhart(a)chello.at