Ruth Linhart | Reisen | Donau Teil 1 | Donau Teil 2 | Donau Teil 3
„Die Donau ist ein österreichischer Fluss“, schreibt Claudio Magris in seiner „Biographie eines Flusses“, und bezieht sich dabei auf die Lebenseinstellung des alten Österreich. Weniger tiefgründig als Magris dachte auch ich bisher immer: „Die Donau ist ein österreichischer Fluss“. Und der Donauwalzer „unseres“ Johann Strauß besiegelt quasi als „Nationalhymne“ der Donau diesen Besitzanspruch. Erst auf der Reise von Tulcea in Rumänien über Bulgarien, Serbien, Kroatien, Ungarn und die Slowakei an den Handelskai in Wien wurde mir bewusst, dass „wir“ nur einen kleinen Anteil dieses zweimächtigsten Stromes in Europa „besitzen“. Eher ist die Donau ein rumänischer Fluss, oder auch ein deutscher, ungarischer, serbischer oder ein bulgarischer. Tatsächlich gehört die Donau aber niemandem, sondern ist internationales Gewässer.
Ich wachte auf, die Sonne schien durch die französischen
Fenster unserer Kabine, das Ufer und der Fluss zogen vorbei.
Glücksgefühl. Zirka 50 km nach der Abzweigung des „Canalul
Dunarea - Marea Neagra“. Dieser Kanal verkürzt den Weg von der
Donau zum Schwarzen Meer um zirka 240 Kilometer. Die ersten
Ideen dazu reichen bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts
zurück, fertig gestellt wurde er erst in den achtziger Jahren
des 20. Jahrhunderts. Jetzt steht das Schiff – oder fährt es
ganz langsam?
Es ist ¾ 8 am Morgen und still. Der Motor rauscht leise.
Vogelstimmen vom Ufer sind zu hören, alles sehr diskret. Ich war
gerade oben auf dem Sonnendeck. Es ist zum Weinen schön. Das
große Wasser, umgeben von den niedrigen bewachsenen Ufern und
Himmel. Sonst nichts. Ich dachte nie, dass etwas so Einfaches so
schön sein kann, dass es Tränen in die Augen treibt. Die Sonne
scheint. Im braunen Wasser spiegeln sich Wolken. Wir sitzen
gegenüber auf den schmalen Sofas unserer Kabine, unter denen wir
die Koffer verstauen konnten. „Dass es da so lauschig ist!“,
sagt Hans. Bei 180 Passagieren an Bord und Dutzenden Personal
und vielen – wie vielen? – PS im Motor. An der Kabinenwand das
Schattenspiel der Wellen. Jetzt braust ein Motorboot daher und
macht Lärm. Hier ist die Donau glatt wie ein großer See.
So, jetzt wissen wir einiges mehr über unser Schiff, unser
schwimmendes Hotel, eine Woche unser „Zuhause“. Sie trägt den
Namen eines österreichischen Dichters, wurde in den Niederlanden
gebaut und fährt unter Schweizer Flagge. Einmal im Jahr muss sie
nach Basel zur Überprüfung. Fertiggestellt wurde sie 2007, sie
ist 124,85 Meter lang, 11,45 Meter breit und hat einen Tiefgang
von 1,55 Meter.
Niki hat auch ein paar Worte über die DDSG verloren. Diese wurde
als „Erste Donau Dampfschifffahrtsgesellschaft“ 1829 gegründet
und war zur Zeit der Donaumonarchie die größte
Binnenschifffahrtsgesellschaft der Welt. Der DDSG gehörten
damals nicht nur Schiffe, sondern auch zahlreiche andere
Betriebe. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie unter
den Nachfolgestaaten der Monarchie aufgeteilt. Die
österreichische DDSG wurde 1991 privatisiert. Die
Passagierschifffahrt war stark defizitär, und es fand sich kein
Käufer. „Einen Großteil der Fahrgastschiffe übernahm die DDSG
Blue Danube Schifffahrt GmbH, die diesen Geschäftsbereich bis
dato erfolgreich weiterführt,“ erfahre ich in Wikipedia. Seit
1995 gehört die „DDSG Donaureisen“ zu 50 % je dem Wiener Hafen
und dem Österreichischen Verkehrsbüro. Sie konzentriert sich auf
Ausflüge in die Wachau. Mit Partnerunternehmen werden aber auch
die Strecken Wien-Passau, Wien-Bratislava und Wien-Budapest
angeboten.
Nun aber eine kurze Schilderung des bisherigen Verlaufs unserer
Reise:
Abflug gestern um 5.45 Uhr. Die härteste Bandage der Reise. Ich
stand um halb zwei Uhr auf. Um halb vier Uhr mit dem Taxi zum
Flughafen. Das war zu nachtschlafender Zeit. Schon hell, aber
alles wie ausgestorben. Am Flughafen jedoch viel Leben. Unsere
Freunde erwarten uns. Einchecken. Im Restaurant nur Wasser,
obwohl ich sonst gegen Flugangst immer ein Glas Gespritzen
trinke. Aber so früh wollten das meine Magennerven noch nicht.
Gegen sechs Uhr Abflug. Eine Stunde fünfundzwanzig bis Constanța
(„za“ gesprochen). Ich lese erstaunt, dass die Römer hier waren
– und die Griechen stießen auch vor bis zum Eisernen Tor!
Constanța ist jedenfalls eine der wichtigsten Städte Rumäniens
und sein größter Handelshafen. Gegründet wurde es unter dem
Namen Tomis von den Griechen, die hier Wein gegen dakisches
Getreide eintauschten. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt unter
den Römern. Constanța war auch die Stadt, in die Kaiser Augustus
den Dichter Ovid in die Verbannung schickte! Hier starb er 17
nach Christus und schrieb vorher die „Klagelieder“ „Tristia“ und
die „Epistulae ex Ponto“, „Die Briefe vom Schwarzen Meer“.
Obwohl im Reiseführer das milde Wetter der rumänischen
Schwarzmeerküste erwähnt wird, klagt Ovid über das raue Klima,
aber auch über rohe Barbaren, stete Kriegsgefahr und trostlose
Einsamkeit. Anscheinend gibt es heute noch in Rumänien den Namen
„Ovidiu“. Auf dem Piația Ovidiu in Constanța steht ein Denkmal
des Dichters.
Wir sehen aber weder das Denkmal noch das Archäologische Museum
mit einer „beachtlichen Sammlung griechisch-römischer
Fundgegenstände“. Im Flughafengebäude – einem lang gezogenen
niedrigen Bauwerk, das mich mit seinen großen Fensterscheiben an
ein Palmenhaus erinnert – nimmt uns die reizende Reiseführerin
Claudia in Empfang. Sie hat deutsch autodidaktisch gelernt, weil
ihr die Sprache so gut gefällt. Sie lotst uns in den Bus Nummer
2 – alles in allem füllen die Passagiere der MS Nestroy vier
Busse. Später wird sie uns nicht mehr betreuen, denn sie sei die
einzige Reiseführerin hier, die italienisch kann, und muss sich
daher um die Gruppe aus Triest kümmern, die an unserer
Donaureise teilnimmt. Wie wir schon im Flugzeug gemerkt haben,
sind die Passagiere unseres Schiffes zum Großteil Leute ab 60
(wie wir – abgesehen von Hans, der mit 55 zu den Jüngeren
gehört). Ein paar noch jüngere sind auch dabei, zum Beispiel der
Betreuer der älteren italienischen Herrschaften, jene fast alle
Damen mit silbernem Haar.
Rechts von uns glitzert ab und zu in der Ferne ein
Silberstreifen, das Schwarze Meer. Näher kommen wir nicht heran.
Bei der Schiffsreise in umgekehrter Richtung, also von Wien aus
stromabwärts, fährt man bis zum Flusskilometer Null bei der
Stadt Sulina am Schwarzen Meer.
Das Wetter ist halb sonnig, halb bedeckt, kühl, so wie heute.
Wir besteigen kleinere Boote, die uns ins Delta bringen. Im
Delta spaltet sich die Donau in drei Hauptarme auf: Der
Chilia-Arm (Kilia-Arm) im Norden bildet fast auf der gesamten
Länge die Grenze zwischen der Ukraine und Rumänien. Den
Sulina-Arm in der Mitte benutzen die meisten Schiffe. Der
Sfantu-Gheorge-Arm (St. Georgsarm) im Süden ist, so lese ich,
der naturbelassenste der drei Flussarme.
In das 5000 km2 große Delta dringen wir nur ein ganz kleines
Stückchen ein, obwohl wir drei Stunden unterwegs sind. Zum
Vergleich, das Burgenland bedeckt zirka 4000 km2 Fläche. Unsere
Reisebegleiterin, ein zartes lebhaftes Mädchen, verkauft uns
Landkarten vom Donaudelta und zeichnet allen, die es wollen,
unsere Strecke ein. Sie studiert an der Tourismushochschule in
Bukarest und absolviert hier ein Praktikum.
Bald nach der Abfahrt beginnt das ukrainische Nordufer mit der
Stadt Reni bei 128 Stromkilometern, ein wichtiger ukrainischer
Handelshafen. Auch das Stückchen Moldawien passieren wir hier
irgendwo. Vor dem Dunkelwerden, das jetzt im Sommer erst gegen
zehn Uhr eintritt, fahren wir an den Städten Galați (gesprochen
„zi“) und Brȃila vorbei. Städte am fernen Ufer, in einer anderen
Welt, Städte mit in den Himmel ragenden Kränen und Werften.
Galați bei Flusskilometer 150 wurde 1445 erstmals erwähnt und
hatte ein historisches Zentrum, das aber im Zweiten Weltkrieg
völlig zerstört wurde. Bewohnt wurde es schon viel früher von
den Dakern und den Römern. Die Daker, lese ich, lebten schon im
5. Jahrhundert vor Christus in den westlichen
Schwarzmeergebieten, im ersten Jahrhundert vor Christus
vereinten sie sich mit den Geten. Der römische Kaiser Trajan
unterwarf dann die ganze Gegend und machte sie zur römischen
Provinz Dacia. Diese reichte aber weit über das heutige Rumänien
hinaus und schloss Teile der heutigen ungarischen pannonischen
Tiefebene, des heutigen Moldavien und Bulgarien ein. Jetzt ist
die Stadt Galați mit rund
300.000 Einwohnern von der Schwerindustrie geprägt, unter
anderem ist hier die größte Eisenhütte Rumäniens und die größte
Schiffswerft. Der Hafen von Galați gilt als der größte
Binnenhafen Rumäniens. Und es gibt auch Fährverkehr zum rechten
Donauufer.
Bei Galați macht die Donau eine mächtige Kurve und in unserer
Fahrtrichtung, also stromaufwärts gesehen, ändert sie ihre
Richtung vom Osten steil nach Süden.
Bald folgt Brȃila. Auch dies eine antike Handelsniederlassung –
die ältesten archäologischen Funde stammen aus der Zeit um 5000
vor Christus - , die heute ein großes Industriezentrum ist.
Metallverarbeitung und Schiffsbau sind ihre Schwerpunkte. Die
Kräne und Gebäude am Ufer betrachte ich eher als Störung der
stimmungsvollen Landschaft.
Magris ist im Unterschied zu uns in Brȃila selbst gewesen, hat
die historische Altstadt besucht und schreibt, dass es im 19.
Jahrhundert ein Sammelpunkt bulgarischer Emigranten war, die von
hier aus die Revolution vorbereitet haben. Welche Revolution?
Ich bin verwirrt über die verschlungene und vielfältige
Geschichte dieser Region, wie sie mir schon in den ersten
Stunden der 1880 Kilometer langen Schiffsreise begegnet.
Vor allem konzentriert sich Magris in der Stadt Brȃila auf
Panait Istrati, Sohn eines griechischen Schmugglers und einer
Wäscherin, der hier geboren und später in Frankreich ein
weltberühmter Dichter wurde. Wobei ich gestehen muss, dass ich
ihn bisher nicht kannte. Er lebte von 1884 bis 1935 und führte
ein abenteuerliches Leben. Romain Rolland nannte ihn einen
„Gorki der Balkanländer“. Seine Bücher wurden in fünfundzwanzig
Sprachen übersetzt. Am berühmtesten sei sein Buch „Auf falscher
Bahn“, lese ich. Darin kritisierte er die stalinistische
Sowjetunion.
Aber auch Brȃila verschwindet bald, denn wir bewegen uns,
langsam zwar, im Durchschnitt 22 Kilometer die Stunde,
unaufhaltsam vorwärts, die Donau bergauf, und so gleiten wir
auch vorbei an der 60 Kilometer langen Donauinsel Brȃila.
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http://de.wikipedia.org/wiki/DDSG_Blue_Danube
http://de.wikipedia.org/wiki/Babadag_%28Rum%C3%A4nien%29
http://de.wikipedia.org/wiki/Constan%C8%9Ba
http://de.wikipedia.org/wiki/Dobrudscha
http://de.wikipedia.org/wiki/Sulina
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http://de.wikipedia.org/wiki/Daker
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http://de.wikipedia.org/wiki/Panait_Istrati
http://de.wikipedia.org/wiki/Br%C4%83ila
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